Glauben – wie geht das?

Gottesherrschaft und Nachfolge

Jesu Ansage der kommenden Gottesherrschaft ist nicht die Ouvertüre für ein großes kosmisches oder geschichtliches Ereignis, das allen vor Augen stellt: Wahrhaft, Jesus hat recht, die Herrschaft Gottes ist im Kommen! Diese Ansage ist aber auch nicht die dicke Balkenüberschrift, unter der Jesus anschließend ein vielgliedriges System von Anweisungen fürs Privatleben verkündet, die der einzelne bloß hören, mit sich nach Hause nehmen und in seine Gesinnung und in seinen Alltag übersetzen soll.

Nein, es geht anders weiter. Mit einem einfachen „und“ schließt Markus an seine Zusammenfassung der Predigt Jesu vom Kommen der Gottesherrschaft die Geschichte von der Berufung der Jünger an (Mk 1,16–20). Der entsprechende Bericht des Matthäusevangeliums hat grundsätzlich dieselbe Struktur (4,17–22). Für Lukas – in anderem Zusammenhang wird davon noch die Rede sein – ist das Leitmotiv der Predigt Jesu der Geist, der ihn treibt und sendet; doch nachdem zum erstenmal der Charakter seiner Predigt als Verkünden der frohen Botschaft von der Herrschaft Gottes gekennzeichnet ist (4,43), folgt auch bei ihm die Geschichte der Jüngerberufung (5,1–11).

[36] Nachfolgeruf – die Verdichtung der Botschaft von der Gottesherrschaft

Nicht allein aufgrund solcher Komposition der Evangelien muß uns dieser innere Zusammenhang zu denken geben: Jesus ruft das ungeheuerlichste Ereignis der Weltgeschichte aus, Gottes Einbruch in sie, das Kommen der Gottesherrschaft, und er fordert alle auf, neu anzufangen und umzukehren – was das aber heißt, wird anschaulich, indem er ein paar Menschen ruft, daß sie ihm persönlich nachfolgen, buchstäblich nachlaufen.

Sicherlich, nicht alle, die Jesus mit seiner Predigt aufrüttelt, ruft er in seinen unmittelbaren Jüngerkreis hinein. Die Geschichte des Glaubens erschöpft sich nicht in der Geschichte derer, die in äußere Lebensgemeinschaft mit ihm treten. Dennoch steht beileibe nicht nur das Interesse an der individuellen Geschichte der prägenden Gestalten in der frühen Kirche hinter der Tradition evangelischer Berichte von den Jüngerberufungen. Diese Erzählungen sind der Kern, um den sich das ganze, breite Thema Nachfolge, Jüngerschaft, vollzogener Glaube in den Evangelien entfaltet, maßgeblich für alle, auch für uns. Wirklich, so geht Glaube, so geht Antwort auf die Ansage der Gottesherrschaft und den Ruf zur Umkehr: Gott ruft dich – du folge Jesus.

Gottesherrschaft und die Stellung Jesu

Ich, Jesus, sage dir, daß Gott am Kommen ist – und deswegen folge du mir! Auf diese Formel läßt sich, in einer ersten, zur Deutung und Begründung drängenden Stufe, der Anspruch Jesu also bringen. In der Entsprechung zwischen Gottesherrschaft und Jesusnachfolge ist also die Entsprechung zwischen Gottes Kommen und Jesu Anspruch mitgesagt.

Die elementare Kürze, in der Markus den Vorgang beschreibt (1,16–20), rückt das Ungeheuerliche überdeutlich in den Blick. Da sind zweimal zwei Brüder, die bei ihrem Geschäft, dem Fischfang, dem Netzeflicken, in der Welt ihrer Familie leben. Jesus geht vorbei, sieht sie, sagt das eine Wort: Folgt mir! – und nach Auskunft des [37] Evangelisten verlassen sie sofort ihren Lebenskreis und schließen sich Jesus an. Das also heißt nicht mehr von sich, sondern von Gott her leben, das also heißt seine Zeit und sein Leben umkehren, neu orientieren, einen anderen Grund und Boden unter den eigenen Füßen gewinnen als den, auf welchem man sich bisher bewegte und einrichtete. Doch noch einmal: das Ungeheuerliche daran ist der Umstand, daß es dieser Eine, dieser Jesus ist, an dem sich das Ernstmachen mit der Umkehr und dem Glauben entscheidet.

Hier fällt einem das Wort des Kirchenvaters ein: Ipse est regnum coelorum – er ist die Herrschaft Gottes, er das Reich Gottes! In Jesus passiert es, verdichtet es sich, daß Gott Mitte und nicht mehr Peripherie dieser Welt ist.

Bei Markus schließt sich an die Berufungsgeschichte unmittelbar die Erzählung einer Dämonenaustreibung in Kafarnaum an (vgl. 1,21–28). Das „Interessante“ an dieser Geschichte ist die zweimalige Unterstreichung der Vollmacht, in welcher Jesus lehrt und die sich durch das Wunder bestätigt: Er lehrt wie einer der Vollmacht hat, nicht wie die Schriftgelehrten (1,22b). Es ist eine neue Lehre, und sie wird mit Vollmacht verkündet (1, 27b). Was Jesus verkündet und wie er es verkündet, das ist nicht nur Auslegung, vielleicht bessere Auslegung eines schon Gewohnten, sondern Einbruch einer neuen Situation. Und es ist wirklich an ihm, diese neue Situation anzusagen und heraufzuführen; denn in ihm ist die Vollmacht, die sich erweisende Legitimation des handelnden Gottes anwesend. Der die Vollmacht hat, so zu sprechen und so den bösen Geistern zu gebieten, er hat auch die Vollmacht, Menschen zu rufen, sie an sich zu binden, um sie an Gott zu binden, er hat die Vollmacht, es uns zu sagen, daß Gottes Stunde gekommen ist, daß sein Reich anbricht.

Auch Matthäus und Lukas heben in unserem Zusammenhang Jesu Vollmächtigkeit hervor (Mt 7,29; Lk 4,32.36). Die beiden möglichen Anfänge, die sich uns anboten, um den Einstieg für unser Thema zu gewinnen, die Predigt Jesu und die Predigt von Jesus dem Christus, durchdringen sich.

Unser Ansatz drängt uns freilich eine weitere Frage auf: Wie geht das, diese Verbindung zwischen der Gottesherrschaft, die Jesus an- [38] sagt, und der Nachfolge, die Jesus fordert? Wie geschieht seine Vollmacht? Man könnte sagen, das sei die Frage des Johannesevangeliums. Johannes spricht seltener als die Synoptiker, wenn auch deutlich genug die Nachfolge Jesu ausdrücklich an (vgl. 1,35–51; 8,12; 10,4.27; 12,26 indirekt; 13,36f.). Doch da Glaube bei Johannes fast durchgängig die Züge des Glaubens an Jesus trägt und Glaube konkrete Lebensgemeinschaft mit Jesus im Kreis der Jünger bedeutet, dürfen wir der Sache nach von ihm eine fundamentale Erhellung der Struktur und Begründung von Nachfolge erwarten.

Wir greifen einen Satz heraus, der unmittelbar ein anderes Thema betrifft und doch die Grundverhältnisse von Nachfolge prägnant zusammenfaßt: „Wie mich der lebendige Vater gesandt hat und wie ich durch den Vater lebe, so wird auch der, der mich ißt, durch mich leben“ (Joh 6,57). Was hier von der eucharistischen Mahlgemeinschaft mit Jesus gesagt wird, das gilt auch von der Lebensgemeinschaft der Nachfolge – die Brotrede des Johannesevangeliums kennt im einen Bild vom Lebensbrot ohnehin beide Schichten, jene der Kommunion des Glaubens und jene der eucharistischen Kommunion. Der entscheidende Akzent: Jesus lebt aus dem Vater, lebt vom Vater, Stunde für Stunde, es ist seine Speise, den Willen des Vaters zu tun (vgl. Joh 4,34). Was Herrschaft Gottes heißt, ist an ihm, an seinem Verhältnis zum Vater, abzulesen, ja zu erfahren – und in ihm bringt das Leben des Vaters, bringt die Anwesenheit der Gottesherrschaft unsern Glauben in Gang. Unser Glaube aber bedeutet nun: unser Verhältnis zu Jesus, unsere Kommunion mit ihm, unsere Nachfolge Jesu.

Unser Leben aus Jesus und mit Jesus

In Jesus reicht also das Geheimnis Gottes selbst durch in die Geschichte und hinein in unser Menschsein, das im Kontakt mit Jesus, in seiner Nachfolge neues Menschsein wird. Es sei in diesem Zusammenhang daran erinnert, daß die drei ersten Evangelien an den Anfang des öffentlichen Wirkens Jesu, in den Kontext von Ansage [39] der Gottesherrschaft und Nachfolgeruf, die Versuchungsgeschichte rücken. Sie aber ist eine Geschichte vom Gehorsam Jesu, von seinem Leben aus dem Willen des Vaters, eine Geschichte vom neuen Adam, der mehr ist als eben nur ein Adam, ein Mensch (vgl. Mt 4,1–11; Mk 1,12f.; Lk 4,1–13). Der Gehorsame und zugleich Vollmächtige ruft die Gottesherrschaft aus, ruft Menschen zu ihr und dann zu sich.

So geht, von ihrem Ursprung her, Nachfolge: Jesus sagt die Gottesherrschaft an und lebt in sich selbst die Herrschaft Gottes, der Vater ist in ihm und gibt sich in ihm. Und die vollmächtige Anwesenheit des Vaters ruft die Menschen, sie zu Umkehr und Glauben an das Evangelium rufend, zu seiner Nachfolge, zur Nachfolge Jesu, zur Lebensgemeinschaft mit ihm. Diese Lebensgemeinschaft läßt sie eintreten in die Dynamik, in den Bereich der anbrechenden Gottesherrschaft.