Einleitung zum Dokument: Der priesterliche Dienst

Grenzen: Was leistet der Text nicht?

Die Priesterfrage ist in etwa zu einem „Seismographen“ für die vielfältige innere Unruhe geworden, die mit den Umbrüchen [9] und Entwicklungen in der Kirche, mit der Frage nach ihrer Identität in unserer Welt verbunden ist. Von daher läßt sich verstehen, daß eine Fülle von Erwartungen sich auf eine „Lösung“ der Priesterfrage richten. Nach der Meinung vieler hat die vergangene Bischofssynode eine solche Lösung nicht erbracht. Während der einleitende Teil des Textes, die Situationsanalyse, verhältnismäßig klar und griffig die Spannungsfelder aufreißt, in die der Priester und sein Dienst heute gestellt sind, und dabei auch den Zusammenhang der Frage nach dem Priester mit den Grundfragen nach Christentum und Kirche aufdeckt, scheinen die praktisch-konkreten Antworten des II. Teils (Richtlinien) dem keine gleichgewichtige Antwort gegenüberzustellen.

Das Urteil, die Synode sei in der Priesterfrage „ergebnislos“ geblieben, trifft indessen nicht. Es hat dennoch in der Diskussion und im Text der Synode seine Anlässe.

Die Elemente der dogmatischen Aussage des Textes sind in der bisherigen Theologie schon großenteils zu finden und dort sogar detaillierter herausgearbeitet. Das Neue des Synodendokumentes ist jedoch die Einfügung dieser Elemente in eine neue Gesamtsicht priesterlichen Dienstes.

Noch weniger als im Dogmatischen sind in der exegetischen Begründung des Textes neue Elemente zu finden. Einigermaßen unbefangen geht er mit den Aussagen der Schrift um und legt sie auf jene Deutungen hin aus, die sie in der großen Tradition der Kirche gefunden haben. Auch hier ist indessen mehr Reflexion in die Aussagen investiert, als ein rasches Anlesen zeigt.

Mißt man das synodale Papier an einem Dokument wie etwa dem „Schreiben der deutschen Bischöfe über das priesterliche Amt“1 (1969), so ist der Bezug des letzteren zu biblischer, geschichtlicher und allgemeintheologischer Forschung ausgeprägter. Dies darf jedoch nicht verwundern, wenn man an die Voraussetzungen der römischen Bischofssynode denkt: über 200 Bischöfe mit den unterschiedlichsten „Startbedingungen“ für einen theologischen Dialog, dazu eine kurze, mit vielen Aufgaben beladene Arbeitszeit und in mancher Hinsicht er- [10] schwerte Arbeitsverhältnisse. Indessen ist das Synodendokument alles eher als theologisch oberflächlich oder retrospektiv zu nennen. Es kann bei einer Bischofssynode nicht eigentlich um das Weitertreiben theologischer Forschung gehen; dieser ist durch die Bischofssynode keine Tür zugeschlagen, kein Weg erschwert. Sache der Synode mußte es in ihren lehrhaften Aussagen vielmehr sein, die gemeinsame Basis der Glaubensüberzeugung in der Kirche über Wesen und Grundstruktur priesterlichen Dienstes zu formulieren, dies freilich im Blick auf die theologische und die allgemeine religiöse und geistige Situation.

Schwerer als die offenen Fragen im theologischen Bereich wiegen die Einwände gegen die pastoral-praktischen Ergebnisse der Synode zur Priesterfrage – und gerade hier ist doch die Not brennend. Wenn man indessen die frei und leidenschaftlich auf der Synode geführte Diskussion ernst nimmt, die aus der Summe der einzelnen Interventionen, aber auch aus den Ergebnissen der zwölf Sprachzirkel herausscheint, so begreift man das eigentümliche Dilemma, vor dem die Synode stand, vor der mit ihr aber auch die Priesterfrage als solche steht: einerseits lassen sich zu den praktischen Fragen priesterlichen Dienstes weitertragende Antworten, die auf Weltebene alle Situationen einfangen, kaum geben; andererseits sind aber gerade hier gemeinsame Antworten notwendig. Priesterlicher Dienst hat nicht überall dieselben, ja kaum überall vergleichbare Bedingungen; doch ist es gerade Sache des priesterlichen Dienstes, in der Vielheit der Situationen das Verbindende des einen Glaubens und der einen Sendung der Kirche lebendig zu halten. Die unterschiedlichen Situationen in der Welt treten zudem in eine immer dichtere Kommunikation miteinander, so daß es notwendig wird, die bedrängenden Fragen gemeinsam zu bedenken und zu bestehen.

Was die Synode an Richtlinien und konkreten Vorschlägen zu Leben und Dienst des Priesters äußerte, setzt darin freilich erst einen Anfang, der in der Gemeinschaft der Gesamtkirche wie auf den regionalen Ebenen der Kontinente oder der Bischofskonferenzen weiterer Aufarbeitung und Konkretisierung bedarf. Daß die Bischofssynode in der so heiß diskutierten Frage nach der Zulassung Verheirateter zum Priestertum letztendlich [11] eine strenge Linie vorschlug, entsprach durchaus dem inneren Gang des Gesprächs und der redlichen Auseinandersetzung mit der Vielzahl der zu beachtenden Gesichtspunkte. Wird indessen durch den Text selbst genügend deutlich, daß dem so ist? Wird die in diesem Punkt getroffene Entscheidung auch begleitet von der Reflexion darüber, wie dennoch der pastorale Dienst in den Gemeinden aufrechterhalten werden kann? Gerade wenn man die Entscheidung der Synode ernst nimmt und für begründet hält, muß um so dringender nach einem Gesamtkonzept pastoraler Dienste gesucht werden. Und zugleich muß der deutlich in den synodalen Aussagen betonte Charakter der Gemeinsamkeit priesterlichen Dienstes strukturelle und spirituelle Konsequenzen finden: Wie können Bischöfe und Priester und wie können die Priester untereinander lebendige Gemeinschaft verwirklichen? Über die so wichtigen Fragen der Weckung und Förderung geistlicher, zumal priesterlicher Berufe und auch der priesterlichen Aus- und Weiterbildung hat die Synode nichts geäußert. Es wird im einzelnen nicht leichtfallen zu entscheiden, ob und inwieweit jeweils auf gesamtkirchlicher oder auf regionaler Basis hier an den Ergebnissen und an den offenen Fragen der Synode weitergearbeitet werden muß. Gerade dort, wo die Synode Entscheidungen traf oder zumindest konkrete Richtungen wies, kann sie nicht auf sich beruhen bleiben.


  1. (Anm. d. Hg.) Gemeint ist: Schreiben der Bischöfe des deutschsprachigen Raumes über das priesterliche Amt. Eine biblisch-dogmatische Handreichung. Herausgegeben von den Sekretariaten der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Bischofskonferenz. Für den Bereich der Deutschen Bischofskonferenz verabschiedet auf der außerordentlichen Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz am 11. November 1969 in Königstein/Ts, 1970 erschienen in der vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn, herausgegebenen Reihe „Die deutschen Bischöfe“ als Nr. 0.3. ↩︎