Grenzgänger der Transzendenz – eine Zielgruppe der Pastoral

Grenzgänger der Transzendenz – eine Zielgruppe der Pastoral

[141] Wer soll das sein: Grenzgänger der Transzendenz? Welcher Personenkreis bildet diese Zielgruppe der Pastoral? Nun, gedacht ist an die Kinder, an die Ordensleute, an die älteren Menschen, an die Kranken, zumal an jene, deren Lebenssituation dazu Anlaß gibt, ziemlich real mit dem „letzten Stündchen“ zu rechnen. Es mag als kühn und fremd erscheinen, als nicht ganz auf der Höhe gegenwärtiger Pastoral, wenn man so unterschiedliche Adressaten der Heilsbotschaft und Heilssorge, die kaum für eine gemeinsame Ansprache und für gemeinsame Maßnahmen in Frage kommen, zu einer Zielgruppe der Pastoral zusammenfaßt. Kinderpastoral, Pastoral der geistlichen Berufe und zumal der Ordensleute, Altenpastoral, Pastoral an Kranken und Sterbenden, das ist jeweils eine eigene Welt. Die folgenden Überlegungen wollen nicht den Versuch unternehmen, diese Unterschiede einzuebnen, wollen beileibe nicht an einer differenzierten Arbeit mit den Menschen in so verschiedener Situation und Disposition rütteln. Aber was wollen sie dann?

Vielleicht darf ich zunächst auf eine persönliche Erfahrung hinweisen. Wenn ich in meinem Dienst als Bischof in eine Gemeinde komme, wenn ich in einer Predigt oder einem Hirtenschreiben eine Anregung gebe, auf eine Sorge hinweise, ein Anliegen dem Gebet anvertraue, so darf ich mir einer besonders sensiblen Reaktion der Kinder, der Alten, der Kranken, der Ordensleute gewiß sein. Die naheliegenden Einwände stechen hier nicht: „Kein Wunder, die haben ja Zeit, die sind nicht durch ihre anderen Sorgen und Probleme so besetzt!“ Oder: „Ganz typisch, wir werden immer mehr zur Kirche der ‚Frommen vom Dienst‘, der Naiven, der Invaliden, der Rentner!“ Unbestritten, die Kirche muß sich verstärkt darum bemühen, daß Anspruch und Angebot des Evangeliums nicht an jenen vorbeizielen, die verantwortlich das Heute und Morgen gestalten. Aber umgekehrt wäre es fatal, im Evangelium nur den Kraftstoff für Funktionstüchtigkeit zu sehen und Menschlichkeit mit Leistung und Brauchbarkeit gleichzusetzen. Was die vorgenannten Gruppen besonders empfänglich macht für die geistliche Ansprache, wird nicht zutreffend gefaßt mit dem Hinweis auf die „Dysfunktionalität“ ihrer Lebenssituation im Blick auf die gesellschaftlichen Zwecke und Ziele. Solche Empfänglichkeit hängt vielmehr damit zusammen, daß ihre Lebenssituation ihnen den Blick öffnet über den Bereich des bloß Funktionalen hinaus. Da das Funktionale bei ihnen nicht ausschließlich das Blickfeld beherrscht, liegt es ihnen näher, sich für den Sinn des Ganzen, das größer ist als das Feld von Leistung und Brauch- [142] barkeit, zu interessieren und diesen Sinn des Ganzen in der Gesellschaft präsent zu halten.

Damit ist keineswegs gesagt, daß solches leicht und nahtlos gelingt. Im Gegenteil. Eine gegenläufige Strömung in Lebensverständnis und Lebensgefühl der Gesellschaft macht es immer schwieriger, die Sinndeutung der genannten Lebenssituationen zu vollziehen und sie dadurch auf einer neuen Ebene für die Gesellschaft fruchtbar werden zu lassen. Hier stoßen wir auf den Punkt, der es dem ersten Anschein entgegen doch rechtfertigt, in der Perspektive einer umfassenden Pastoral von einer Zielgruppe zu sprechen: von der Zielgruppe jener, die in besonderer Weise – sagen wir es im Vorgriff bereits so – zu ihrem eigenen Transzendenzbezug befähigt und in ihm gestützt werden sollen und die zugleich für Gemeinde und Gesellschaft in besonderer Weise diesen Transzendenzbezug offenzuhalten berufen sind. Im folgenden sollen aus einer freilich nur ansatzweise hier durchführbaren – anthropologischen und theologischen Reflexion der menschlichen Grenzsituationen das Proprium dieser Zielgruppe ermittelt, ihre Stellung in Kirche und Gemeinde umrissen und daraus pastorale Konsequenzen gezogen werden – für die Zielgruppe selbst und für die Gesamtpastoral.