Franz von Baaders philosophischer Gedanke der Schöpfung
Grund als Mitte
Leibhaftigkeit ist das erreichte Ziel des Geschehens, der Gliederung, Ziel des sich selbst als leibhaftig, sich in seinem Leibe wollenden Prinzips, das eben im Leibe aufgeht, „ist“. Leibhaftigkeit, Gestalt des eigenen Seins, begreift: von sich aus den zu ihr führenden Prozeß bereits als einen „vermittelten“ ein: Das Ziel ist das Anfängliche des Ausgangs zum Ziel, sonst finge dieser nicht an, und er bleibt nur Ausgang zum Ziel, sofern dieses selbst in ihm als Ziel anwesend bleibt. Die Vorwegnahme des Zieles im Anfang ist die vom Ziel geforderte Vermittlung, die den Anfang zu einem solchen macht, den Weg eröffnet. Das Prinzip muß je sich „wollen“, sich als sein Damit auf Leibhaftigkeit hin fassen, um in und über dieser als es selbst aufzugehen. Wie der Wille sich „fassen“ muß, um die entschiedene Gestalt seines Wollens, sein Damit, das, was er „anfangen soll“, zu erreichen, so deutet sich von allein die Bewegung des Seins zu seiner Vollendung als ein „Fassen“ des Zieles; der im Sein als Akt je ausgesagte Ausgang bringt sich selbst je mit, er ergreift, faßt das und sich als das, bei dem er „bleiben“ will, sonst wäre er bloßes Verschwinden, bloßer Verlust.
Baader bezeichnet das ausgehende Prinzip als „Ursache“ oder „Kausalität“, die vermittelnde Fassung als „Grund“. Er gewahrt im „Grund die Mitte des Begründeten oder sich Begründenden“1. Die „Immanenz der Kausalität in ihrem Grund (ratio sufficiens)“ bedeutet „das ohne Ausnahme für alles Offenbaren oder Ins-Dasein-Führen geltende Gesetz der Vermittelung desselben“2. Der Grund gibt der Bewegung die sie vom Versinken ins Nichts bewahrende „Stützung“3. Er ist als die dem Ausgang antwortende und ihn so erst tragende Identität seiner selbst mit sich auf sein Ziel hin sein „basisches, reaktives Prinzip“: „Kein Wesen, (Ursache, agens), kann wirken, wirklich oder existent sein, ohne seinen Grund als basisches, reaktives Prinzip, das jenes Wesen also zur immanenten Verwirklichung in sich selber haben, zur emanenten aus sich setzen muß, ohne es darum aus sich zu verlieren.“4 Leib und Grund entsprechen sich und sind gleichwohl unterschieden: Leib, Gestalt ist Ergebnis, ist „gezeitigt“ [84] vom Geschehen der Ursprünglichkeit; Grund ist die zur Zeitigung selbst, zum aktiven Ereignis gehörende „reaktive“ Vorwegnahme des Ziels, der Vorwurf, in welchem die Ursache sich selbst als „Ziel“ nimmt. Vor dem Erreichen der Ist-Gestalt faßt sich das, was in ihr ist, auf dieses „Ist“ hin, es „ist“ anfänglich, vor dem Ist, als etwas, das sein „kann“, auf Sein hin ist.
Im Blick auf das leitende Phänomen des sich selbst auf sein Gewolltes hin fassenden menschlichen Willens zeigt sich das Ereignis der Gründung als „Glaube“, als Sich-Bestimmen auf ein noch ausstehendes Ziel, in welchem der Wille eben seine Gestalt finden will. Baader spricht von jenem „einfachen von den Psychologen noch wenig beobachteten Willens- oder Gemütsakt des Zusammenfassens, Zusammennehmens oder Schöpfens aus einer Ungefaßtheit . . . Der Fassungsakt des Gemüts ist also der Grün dungsakt, welcher als Mut- oder Herzfassung auch der Glaubensakt heißt, und womit sich das Schöpferische des Glaubens begreifen läßt.“5 Das Selbstanfangen ereignet sich also, indem ich mich fasse, mich entschließe, und das heißt zugleich: mein Woraufhin fasse, mein gefaßtes Herz auf ein Ziel hin setze, „glaube“. Ich nehme mich nur, indem ich mich nehme „als“ . . ., mich in meiner Gestalt, etwas als meine Gestalt erwählend, „glaubend“ eben, vorwegnehme.
Baader bemerkt zur „Selbstbestimmungdes Willens“6, der „nicht un mittelbar handeln oder wirken kann, sondern hiezu der Vermittelung des Eingangs (des Sichaufhebens) in einen Grund (Basis, Zentrum, Kreis) oder, wie man auch sagt, in einen Beweggrund als eine Stätte seines Wirkens (Produzierens) bedarf“7 : „Anima est, sentit et agit, ubi (quamdiu) amat (vult); d.i. die Seele ist nur empfindlich und wirkend, wo und wann sie liebt, und ihre wahre Lokalität sowie ihre Dauer ist nur in ihrem Affekte . . . In diesem Sinne sagt auch Paulus, daß der Mensch sein Gesetz, dem er sich, ihm dienend, eingibt, selber sich wählt. Diese Stätte (Mutter) ist es darum auch . . . welche sowohl die Gestalt oder das Bild des Willens, als die Weise des sich Findens, Empfindens oder Befindens in jener bestimmt.“8
Das Bild des Kreises korrigiert sich so: Die Mitte ist nicht eigentlich der Ursprung, sondern bereits seine „Vermittlung“ zu dem im Umfang vollbrachten Kreissein. Der Ursprung, das, was sich alsdann als Kreis vollbringt, ist in der Mitte zusammengenommen, um von dort aus eben vollbracht zu werden. Sie ist der tragende Einstich zum Zirkelschlag. Um die Allgemeinheit des Gesetzes der Gründung auf die verschiedenen Bereiche des Seienden zu umreißen: Die Vorhandenheit des nur Vorhandenen besteht darin, daß es die sein Wirken tragende Mitte, den Grund, nicht in sich selbst birgt9, sein Wirken also nicht selbst trägt, vielmehr im Wirken bloß getragen, bloß „handeln gemacht“ wird10. Das Selbst- [84] seiende (die „selbstische Kreatur“) hingegen „hat und ist“ „eine Mitte“11, ein Grund, der hier indessen nicht ontisch, sondern nur dynamisch von der Ursache unterschieden ist. Sein Anderes bestimmend bestimmt das Selbst zuerst sich selbst zu seinem Bestimmen, legt somit aber sich selbst seinem Ausgang zum Andern zugrunde, erfaßt sich selbst als das seine Wirksamkeit Vermittelnde. Wo dies unterbleibt, wo das Selbst als sein Grund vom Tun übergangen wird, tut das Selbst als solches gar nicht. Geschähe das Tun des Selbst als grundloser, unvermittelt geradliniger Übergang ins Getane, so wäre solches „Aufgehen“ ein „Daraufgehen“12. Nur wenn das Selbst sich selbst „zusammennimmt“[^36], als den Grund für sein Tun gewinnt, behält es sich im Tun als sich selbst, und nur wenn es sich im Tun behält, ist auch das Getane; denn nur so unterscheidet es sich selbst an sich selbst von dem, der tut, an ihm selbst. Das Selbst und entsprechend sein freies Wirken sind nicht“ grundlos“, sondern“ grundfrei“13.
Unbedingte Ursprünglichkeit schließt zwar ein Auseinander der genannten Momente aus, aber ebenso notwendig ihr einfältiges Ineinander ein, wie an anderer Stelle ausführlicher zu erörtern bleibt14.
Als „Mitte“ erweist sich der Grund freilich nur, weil der Prozeß der Ursprünglichkeit sich in ihm als anfänglicher Fassung nicht erschöpft, sondern diese Fassung je wieder aufhebt: Der Ursprung „vollbringt“ das in ihr Gefaßte, sich selbst aus dem Gefaßten, nimmt es und sich also an sich und – doppelter Richtungssinn der Bewegung – führt es zugleich aus in seinen Umschluß, in die Leibhaftigkeit. Ich fasse, konzipiere, was ich sagen will, und spreche es, in einem, mir zu und über mich hinaus. Ansichnehmen und Ausführen des als gewollt Gefaßten sind dasselbe, im ersten geschieht das zweite. Die „Bewegung“ dessen, was sein kann, ins Ist bringt das so Seiende zu sich, zu seinem Sein: es selbst ist – und bringt es so „hervor“ in die Offenheit des Erscheinens. Baader sieht das Geschehen des Seins und Wirkens so je im Doppelschritt des „Gründens“ und „Geistens“15, im Eingehen der Ursache als des Aktiven in den reaktiven Grund und im Wiederausgehen vom Grund, in welchem die Ursache erst als solche wirksam und „existent“ wird: „Existentia von exire“16. Der Zirkel muß um die Mitte geschlagen werden, der Kreis kommt so zu seiner Peripherie – und zu „sich“.
Die dynamischen Verhältnisse des leibhaftig-vollendeten Seins und seiner Vermittlung durch den Grund fallen ineins. Leibhaftigkeit sagt Kußerlich keit, Bleiben und Wiedereingang des Ursprungs; sein auf dieses Ziel hin vermittelnder, es fassender Urschritt zum Grund ist ebenfalls Ausgang; in ihm aber nimmt er sich auf sein Ziel hin reaktiv zusammen, er faßt das Ziel, bei dem er bleiben will, um so das Ziel in sich zurückzunehmen und es somit zur Gestalt auszuführen.
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Freiheit 31 VIII 179. ↩︎
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SpD 5,2 IX 170; vgl. auch SPh 11 XIV 118. ↩︎
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Vgl. II 500. ↩︎
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III 340 f. ↩︎
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SpD 5,2 IX 174 Anm. 1. ↩︎
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II 501. ↩︎
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II 500 f. ↩︎
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II 501. ↩︎
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Freiheit 31 VIII 179. ↩︎
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So z. B. V 109; vgl. FC 2,7 II 210. ↩︎
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Freiheit 31 VIII 179. ↩︎
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II 5 f. Anm. 2.
[^36] Vgl. II 5 Anm. 1 und SpD 5,2 Zusatz 1 IX 176. ↩︎ -
Vgl. SpD 5,2 Zusatz 1 IX 176. ↩︎
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Vgl. in dieser Untersuchung Abschn. IV 1. B. ↩︎
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Vgl. SpD 1,15 VIII 130; FC 4,16 II 303 ff. ↩︎
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SpD 5,2 IX 173. ↩︎