Vorspiel zur Theologie

Grundspiel Dasein

Interesse eröffnet das Spiel. Was aber ist der Einsatz dieses Spiels? Ich selbst und alles. Zuhöchst Gott, der sich verschenkt und entäußert. Grundspiel ist das Interesse, weil es Daseinsspiel ist, Spiel meines Daseins und des Daseins von allem. Brechen wir scheinbar die Linie der bisherigen Betrachtung ab und setzen unmittelbar bei dem ein, was Dasein heißt.

a) Der Zugang: ich bin

Um zu erfahren, was Dasein heißt, ist es gut, die Vielzahl unserer Interessen zurückzunehmen und uns zu konzentrieren auf einen Punkt, auf das eine Faktum: ich bin. Dieses Faktum aber läßt sich als wahrhaft mein Fak-[38]tum nicht einfachhin registrieren. Es nimmt mich mit in eine vierfache Strömung seines Geschehens.

Zunächst entdecke ich: ich bin von mir aus. Wenn ich sage: ich bin, so sage ich: ich vollziehe mich. Wenn ich erfahre: ich bin, dann geht etwas auf, dann gehe ich selber auf. Dieses „bin“ ist der Vorgang, der ich selber bin. Es ist wie ein Strahl, dessen Lichtquelle, wie ein Strom, dessen Ursprung ich bin. Ich bin von mir aus, ich bin, indem ich mein Sein „tue“, und täte ich es einen Augenblick lang nicht, so wäre ich nicht. Mein Sein tun – das drückt sich besonders deutlich aus im lateinischen Wort actus, das Wirklichkeit meint, ohne den bloß passiven Charakter dieses deutschen Wortes zu haben; actus ist geschehende Wirklichkeit, Tat, die mein Sein enthält. Sein von mir aus, dieser Sinn von „ich bin“ drückt das Präsentische meines Daseins aus.

Dieses Präsentische aber ist nicht alles. Ich bin, darin entdecke ich des weiteren nämlich: ich bin schon. Wenn ich dessen innewerde, daß ich bin, dann geht mir zugleich auf, daß dieses „bin“ größer ist als mein Machen, als meine Aktivität: es kommt mir zu. Ich stehe in einem Strom, der mich selbst erst zur Quelle entspringen ließ. Wenn ich konstatiere, daß ich bin, so erkenne ich: ich bin schon, ich komme mir selbst zuvor. Gewiß, dieses Sein, das mir zugekommen ist, geht neu von mir aus, wird neu von mir gestaltet und vollbracht. Aber in solchem Gestalten und Vollbringen bin ich mir eine Gegebenheit, der ich mich nicht entziehen, die ich nicht ungeschehen machen kann. Immer sind diese beiden Pole ineinander: ich bin und bin damit lebendiges Zentrum, Ursprung, von dem aus dieses Sein erstrahlt – aber daß ich Zentrum, daß ich Ursprung bin, ist mir zuvor schon zugestrahlt.

[39] Nicht selten überfällt es mich, daß mein Sein nicht einfach läuft und geht, sondern daß ich selber, von mir aus etwas aus ihm machen muß – oder auch daß ich selber etwas aus ihm machen kann und darf. Wie schön ist es z. B., sich am Morgen eines neuen Tages zu finden, der noch unbeschrieben ist, den ich mit der Bewegung meines „ich bin“ erfüllen kann. Aber ebensooft bedrückt und betrifft es uns, daß ein neuer Tag einfach kommt; daß ich es nicht ändern kann; daß ich bin und der bin, der ich bin. Es gibt mich schon, d. h. ich muß sein, ich habe keine andere Wahl. Daß ich entscheiden, daß ich gestalten, daß ich von mir aus sein muß, auch dies kann mir zum Verhängnis, zur Last werden. Meine Gegenwart, mein Sein von mir aus findet sich anheimgegeben der Gegenströmung meiner Herkunft, meiner unentrinnbaren Faktizität, eben meiner Gegebenheit.

Und noch ein Weiteres ist erstaunlich: ich bin noch. Nicht nur daher komme ich mir zu, daß ich, mir voraus, mir schon gegeben bin. Nicht nur die Herkunft ist mir entzogen als die Quelle dessen, daß ich je jetzt, je von mir aus, je gegenwärtig bin. Entzogen ist mir auch die Zukunft. Ich kann planen, was ich mag, ich kann aussein, auf was ich mag, mich interessieren, für was ich mag – daß mein Schritt über mich hinaus den Boden findet, der ihn auffängt, der ihn trägt, ist jeden Augenblick unselbstverständlich, ist Geschenk. Und nicht selten wird dieses Geschenk wiederum erfahren wie ein Verhängnis: daß ich weitermuß. Ich kann nicht beschließen, daß ich morgen da bin, ich kann auch nicht beschließen, daß es kein Morgen gibt. Nicht einmal wenn ich mich aus dem Dasein stehlen wollte, könnte ich dem Morgen entrinnen. Wenn ich von mir aus morgen nicht mehr bin, stehe ich unterdem Gericht des Morgen. Mein Dasein [40] läuft auf seine Zukunft hin; aber wenn es nur mein Dasein wäre, das auf die Zukunft hinläuft, so wäre ich nie sicher, nicht ins Nichts zu laufen. Die Zukunft läuft von sich her in mein Dasein hinein, holt mich ab aus meiner Herkunft und Gegenwart. Zukunft ist Verfügung und Geschenk.

Doch die Zeit meines „ich bin“ ist noch nicht ausgeschritten. Eine verborgene weitere Dimension meiner Zeit ist die Gleichzeitigkeit: ich bin auch. Indem ich bin, weiß ich mich eingewiesen in einen Horizont, in einen Kontext dessen, was sonst noch, was überhaupt und im ganzen ist. Ich bin heißt: ich bin im Kontext mit anderen und anderem. Von ihm her bestimmt sich mein „ich bin“, ihm gegenüber hat es sich zu verantworten, zu bewähren. Und ob ich möchte oder nicht – daß ich bin und wie ich bin, dies prägt das andere, prägt das Ganze mit. Ich bin Geschenk und Verfügung nicht nur für mich, sondern auch für die anderen.

b) Ohnmacht und Macht des Daseins

Ich bin – in den vier Richtungen, die diese Grunderfahrung umspannt, begegnen wir dem Ineinander von Ohnmacht und Macht unseres Daseins.

Ich bin von mir aus. Das ist meine Macht, die Macht anzufangen, so anzufangen, wie ich will, eben von mir her zu sein. Aber indem ich anfange, indem ich selber auf das unbeschriebene Blatt der Gegenwart schreibe, was ich schreiben möchte, muß ich entdecken: dieses Blatt habe ich schon unterschrieben. Jeder Augenblick meines Lebens ist ein bereits von mir vorunterschriebenes Blatt; denn ich kann mich dem nicht entziehen, daß [41] ich es bin, der je jetzt verantwortlich sein Dasein vollbringt.

Der Grund hierfür: mein Ursprungsein ist mir zugekommen, mein Selbersein bedeutet Wiederholung, Einholung meiner Herkunft, meines Gegebenseins. Eine Herkunft haben, sich vorgegeben sein, das ist Ohnmacht – aber nur diese Ohnmacht ermächtigt mich zu mir, gibt mir Halt und Stand, so daß ich nicht ins Grundlose und Wesenlose zurücksinke.

Besonders scharf verflechten sich Macht und Ohnmacht im Blick auf die Zukunft, im Blick darauf, daß ich noch bin. Alle Zukunft ist ein Noch, eine unerwartbare Gabe, ein Vorschuß, auf den hin ich zwar alles kalkulieren und planen kann – aber ist der Scheck, der mir diesen Vorschuß in die Hand gibt, auch gedeckt?

Und nicht weniger ist meine Offenheit auf anderes und andere hin auch Abhängigkeit von anderen und anderem. Daß ich mit anderen bin, daß ich gleichzeitig bin, das heißt: all mein Selbstbestimmen ist von außen mitbestimmt, all mein Selbertun bestimmt unwillkürlich andere mit, all mein Selbersein ist Auslieferung an die mir unverfügbare Reaktion, Antwort, Annahme der anderen.

Macht und Ohnmacht des Daseins rühren aus seiner zeitlichen Verfassung. Wir haben nur Zeit, sofern die Zeit uns hat. Wir sind nicht von uns aus dessen sicher und mächtig, Zeit zu haben, weil die Zeit uns zuerst gegeben sein, ja weil die Zeit zuerst uns selber geben muß. Wenn wir tiefer hineinsehen, verwandelt sich das Bild der vier Strömungen im „ich bin“ zu jener Gegenbewegung des Spiels, die wir bereits kennen. Von mir geht nicht nur das Jetzt der Gegenwart, von mir gehen alle Dimensionen der Zeit aus. Ich entwerfe in meinem Jetzt auch [42] meine Herkunft und meine Zukunft, meine Gesellschaft und meine Welt neu. Am erstaunlichsten mag das für die Herkunft klingen. Doch die Weise, wie ich meine Herkunft weiterführe, setzt diese selbst in ein neues Licht, gibt ihr erst ihre Lesbarkeit, ihren Sinn. Ob ich eine Freundschaft breche oder ob ich sie in einen Bund fürs Leben weiterführe, das ändert den Stellenwert des Gewesenen; Geschichte sieht sich anders an, je nachdem wozu sie Vorgeschichte wird. So wahr es ist, daß alles, daß die ganze Zeit von mir ausgeht – noch mehr gilt das Umgekehrte: mein „ich bin“ in allen seinen Dimensionen, auch mein Sein von mir aus, in eigener Ursprünglichkeit und Verantwortung, ist „gezeitigt“, ist mir zugeschickt, kommt mir zu.

Solche Gegenläufigkeit kann als die Harmonie des spielerischen Ineinander erscheinen, im Ernst des Daseins gibt sie sich noch drängender als die Übermacht meiner Ohnmacht über meine Macht zu erfahren. Im Daseinsspiel ist das andere, jenes, das mich und alles zeitigt, stärker als ich, und alle Versuche, dies zu überspielen, werden spätestens im Tod ihrer selbst überführt.

Und doch muß uns zweierlei zu denken geben. Zum einen bleibt das Dasein notwendig ein Ringen um mehr Macht, Dasein läuft auf seine Steigerung hinaus, und Macht ist der Name solcher Steigerung. Zum anderen läßt sich das Nicht nur vom Sein, die Ohnmacht nur von der Macht her lesen. Daß ich ohnmächtig bin, kann ich nur wissen, weil ich zuerst, und zwar in mir selber zuerst, erfahren habe, was Macht heißt. So ist in der Ordnung der Fakten, vom Ergebnis her das Übergewicht auf seiten der Ohnmacht. In der Ordnung der Dynamik und der Logik aber steht es anders: Dasein läuft nur, weil es auf je mehr Macht hinläuft und weil es von der Macht her-[43]kommt, die es allererst ermächtigt, es sein läßt. Und nur auf solche Macht zu und von ihr her läßt sich das Dasein, als mächtig und ohnmächtig zugleich, verstehen.

Eine parallele Betrachtung wie beim Interesse wäre auch hier anzustellen. Was wir am menschlichen Dasein anschauen, gilt verändert vom Sein alles dessen, was ist. Im Dasein wird dieses Sein hell, gewinnt es sein Innen. Was immer ist, finden wir gespannt zwischen Sein und Nichts, zwischen Macht und Ohnmacht. Die Eigenständigkeit des Seienden steht im Widerspiel zu seiner Abhängigkeit. Überall wiederholt sich dieselbe Dynamik und Logik.

Die Tendenz des Daseins, die Tendenz allen Seins enthüllt sich als die Tendenz auf Macht, auf mehr Macht, auf Allmacht hin. Macht ist die innere Steigerung des Seins. Welches nun sind die Stufen auf der Skala der Seinsmächtigkeit? Macht im eigentlichen Sinn fängt erst dort an, wo Sein bei sich selber ist, wo Sein sich gehört, sich vermag. Daß ich von mir aus mich vollziehen, von mir aus wirken kann, damit hebt Macht an. Macht über mich tendiert aber danach, Macht über anderes zu werden, anderes nach meinem Maß zu gestalten, anderes zum Spielraum meines Daseins zu gewinnen, um mich in ihm auszuprägen.

Solange solche Macht aber von der Art der Gewalt bleibt, die sich von außen durchsetzt und anderes nur äußerlich bestimmt, hat sie ihr ganzes Maß noch nicht erreicht. Macht ist erst Vollmacht, wo sie nicht nur über anderes, sondern im anderen mächtig ist, will sagen, wo das andere von sich aus, mit seinem Ja, mit seiner eigenen Mächtigkeit einstimmt in das, was von mir ausgeht (auctoritas meint Macht, die anderes von innen her bestimmt, so daß es aus sich selber aufgeht und wächst). [44] Doch auch solche Vollmacht verweist nochmals über sich hinaus. Macht ist schlechthin vollendet in der Allmacht. Allmacht aber ist nicht Laune, die alles Beliebige anrichten kann, sondern Macht, die anderes sein lassen, ins Sein rufen kann. Macht ist dort am meisten Macht, wo sie am meisten Mitteilung ist. So aber gleichen sich die Bilder des Guten und des Seins. Das höchste Gute wird offenbar als jenes, das sich verströmt, Interesse vollendet sich im interesselosen Sich-Weggeben. Das höchste Sein wird offenbar als jenes, das sich mitteilen, sich gönnen, sich verschenken kann, so daß anderes ist.

Die Erfahrung des Ineinander von Macht und Ohnmacht des Seins und die darin eingeschlossene Erfahrung der Dynamik und Logik des Seins auf seine reine und volle Mächtigkeit hin reißen den Horizont auf, in dem die großen Gedanken der Tradition, zumal der mittelalterlichen, über die philosophische Gotteserkenntnis gelesen werden müssen. Die sich aus sich selbst erbringende und lichtende Mächtigkeit steht im Zentrum des ontologischen Arguments, wie es Anselm in die Geistesgeschichte einführt; der Verweis des Widerspiels zwischen Macht und Ohnmacht im endlichen Seienden hin zur reinen, alles tragenden und gewährenden Mächtigkeit bringt die fünf Wege des Thomas in ihren Gang.

c) Grunderfahrungen und Grundbedeutungen des Seins

Die Geschichte der Philosophie – und in ihr jener Denkmöglichkeiten, die im alltäglichen Empfinden und Erfahren genauso mächtig sind wie in den Deutungen der letzten Daseinsgeheimnisse – ist ein gut Stück Ge-[45]schichte dessen, wie Dasein sich zeigt, wie Dasein verstanden wird. Einen Zugang zu den unterschiedlichen philosophischen Grundverständnissen des Seins können wir aus unseren Beobachtungen am „ich bin“ gewinnen. Wir wollen nicht einen Abriß der Philosophiegeschichte und ihrer Seinsdeutungen geben, wir wollen nur – teils geschiedene, teils sich überlagernde – Grunddeutungen von Sein, die in der Geschichte führend wurden, voneinander abheben, auf ihren jeweiligen Anlaß und ihr Verhältnis zueinander hinweisen.

Da steht zunächst ein Denken, dem Sein das letzte und äußerste Wort bedeutet. Wie immer Sein sich auslegt, wie viele Gestalten es annimmt, Sein selbst ist mehr als diese Gestalten und Deutungen. Grund allen Sprechens, läßt Sein kein Sprechen zu, das sein Geheimnis nochmals auf etwas anderes zurückführt. Sein selbst erscheint im Denken als der Überschuß über alles Denken. Man mag sich hier erinnern etwa an die Frühschrift des Thomas: De ente et essentia (Vom Sein und vom Wesen), in der die Komplexität des Seienden zurückgeführt wird auf den reinen Akt des Seins, aufs esse tantum (Sein, nur Sein). Dieses Einfachste und scheinbar Bestimmungslose drückt gerade die Fülle, den Inbegriff und den Grund aller Bestimmung, aller Inhaltlichkeit von Sein aus. Man mag sich – in anderer Richtung – auch erinnern an die Tradition einer theologia negativa, die weiß, daß man das Geheimnis Gottes im Nicht-Sagen und Verschweigen mehr berührt als im Sagen und Erklären. Das IV. Laterankonzil (1215) hat die Glaubensaussage formuliert, daß alles, was wir von Gott sagen, mehr sagt, wie er nicht ist als wie er ist.

Eine zweite Grunddeutung von Sein hat ihren Anlaß ganz in der Höhe der soeben genannten und kommt doch [46] in der Durchführung oft zu deren Gegenteil. Sein ist das Widerständige, das sich nicht auflösen läßt durch meine Operationen des Betrachtens und Denkens, das sich durchhält in allen Variationen, Gestaltungen, Geschehnissen, das, an dem ich nicht vorbei- und gegen das ich nicht ankomme, es ist Gegebenheit, Verharren. Substanz und Objekt sind die Stichworte solcher Erfahrung. Sie weisen in das Denken von Spätantike und Mittelalter ebenso wie, potenziert, in das der frühen Neuzeit. Genannt seien hier, trotz aller Problematik einer solchen Festlegung, Descartes und Spinoza. Die Nähe zur Erfahrung „Sein, nur Sein“ beruht darin, daß das Gegenüber zum bloßen Denken, die Entzogenheit für allen verfügenden Zugriff menschlichen Geistes die führende Hinsicht wird. Es gibt indessen einen tiefgreifenden Unterschied: das Modell des Substanz- und Objektdenkens ist nicht der reine Vollzug (actus purus), sondern das Ding. Die Gegebenheit und Entzogenheit des Seins für unser Ausdenken werden an ihm, an seiner Widerständigkeit und Gegenständigkeit, angeschaut.

Die dieser Deutung von Sein scheinbar genau entgegengesetzte und doch komplementär auf sie bezogene verknüpft sich mit den Stichworten Subjekt, Geist. Je mehr das Sein es selbst ist, desto mehr kommt Selbstsein ins Spiel. Sein, das sich selber hat, das sich selber hell ist, ist Steigerung des Seins, ist mehr Sein. Reine Selbsthabe, reiner Aufgang aus sich selbst und daraus sich in sich selber schließende Rückkehr in sich selbst, dies ist die Fülle von Sein. Der Sinn von Sein heißt hier Ursprünglichkeit, Selbstmächtigkeit, Selbstvermittlung. Alles, was ist, das Andere und Andersartige des Seins, läßt sich nur vom Eigenen und Inneren des Geistes her begreifen, es wird zur Station auf dem Wege des Geistes [47] aus sich selbst zu sich selbst. Diese Grundlinie abendländischer Metaphysik führt von den im Mittelalter lebendigen platonischen und aristotelischen Gedanken, etwa der reditio in se completa, der vollkommenen Rückkehr zu sich selbst, über den Ansatz beim Subjekt, der in der frühen Neuzeit hineinverflochten ist ins Substanzdenken (hier ist wiederum Descartes zu nennen), bis hin zum Gipfelpunkt in den großen Systemen des deutschen Idealismus, zumal bei Schelling und Hegel.

Es ist nun keineswegs der Fall, daß die bedeutenden Entwürfe der Geistesgeschichte, die auf den skizzierten Linien liegen, das Recht und den Anlaß der jeweils gegenläufigen Linien einfachhin übersehen hätten. Von jedem Einstieg aus läßt sich das Ganze bedenken. Aber es rückt eben in unterschiedliche Perspektiven. Und so ergibt sich eine weitere, zunächst leise, am Ende aber immer mächtigere Hinsicht aufs Ganze. Das eine und unauflösbare Ereignis des Seins ereignet sich im Widerspiel zwischen Selbstsein und Gegebensein, zwischen Ursprünglichkeit und Widerständigkeit. Dieses Ereignis des Seins ist Verhältnis, Gefüge, das die gegenläufigen Pole ineinanderspielt, sie differenziert und vermittelt. Ereignis, Gefüge, Proportion, Beziehung als Sinn von Sein, hier sind wichtige Gedanken des mittelalterlichen Theologen Bonaventura, hier ist an der Wende zur Neuzeit Nikolaus von Kues, hier sind Leibniz, die Identitätsphilosophie Schellings und sind mannigfache Anläufe unseres Jahrhunderts von Rosenzweig in etwa über Heidegger bis hin zur Strukturontologie eines Rombach zu nennen.

Ich bin als der Aufgang, ich bin als die zukommende Gegebenheit, ich bin als der lichte Raum, als das Geschehen, in welchem beides in eins kommt: ist dies nicht [48] ein Spiel, in welchem sich Recht, Grenze und Zusammenhang dieser unterschiedlichen Deutungen veranschaulichen können?

Zugleich aber sind wir gedrängt zum Weiterfragen. Wir dürfen keine der genannten Dimensionen aufgeben, keine in die andere hinein auflösen. Und doch braucht es das alle Dimensionen gemeinsam Entlassende und Integrierende. Wir sind ihm schon begegnet. Die reine Mächtigkeit von Sein gab sich zu verstehen als Sich-Geben. Gewiß ist Sein das Spiel, in welchem der Aufbruch aus sich selbst, die Widerständigkeit des Begegnenden, Gegebenen, insofern: Anderen und der Zusammenhang von beidem, das Verhältnis, die Gefügtheit ins selbe zusammenspielen. Sein aber ist mehr als bloßes Spiel. Es ist ganz Spiel, indem der Einsatz des Ganzen, der Ernst des Sich-Gebens in ihm geschieht. Und im Sich-Geben kehren neu dieselben Momente wieder. Sie heißen nun Geben, Gabe und Einheit von Geben und Gabe, Sich-Gegeben-Sein von Geben und Gabe. Hier läßt sich erahnen, wie wenig das christliche Dogma vom dreifaltigen Gott nur Spekulation ist, wie tief sich in ihm ursprüngliche Auslegung des Sinnes und des Ursprungs von Sein verfaßt.

Sich-Geben ist indessen auch philosophisch nicht ein zusätzlicher Einfall zu dem, was sich im Spiel des Daseins offenlegt. Wenn wir in diesem Spiel innestehn, entdecken wir, daß nicht nur wir uns gegeben sind, sondern daß das ganze Spiel sich uns gibt. Wir sind herausgerufen, selbst zu spielen, mit dem ganzen Einsatz zu spielen; aber gerade wenn wir es tun, erfahren wir, daß unser Einsatz Antwort, daß unser Uns-Geben Rückgabe, Gegengabe ist. Am Anfang ist Sich-Geben.

Noch ein Letztes: das Ineinander von Ohnmacht und [49] Macht erhält einen neuen Sinn. Unsere Ohnmacht ist nicht nur etwas, mit dem wir uns abfinden müssen. Unsere Ohnmacht ist die Einladung, Ohnmacht und Macht zugleich zu lassen, beide wegzugeben und so gerade einzustimmen in den Sinn von Sein, in die Gemeinschaft mit seiner Allmacht, die Sich-Geben heißt.