Zwischen Bistum und Gesamtkirche

Grundziel: Synthese Gemeinde – Gesamtkirche

Das Ziel aller kirchlichen Strukturen kann nach dem Ausgeführten nur sein, daß die Synthese Jesus Christus Gestalt gewinnt, daß sie für die Menschen bezeugt und unter Menschen gelebt und kommuniziert wird. Bleibt zu fragen nach der Übersetzung dieser Synthese auf das Problemfeld kirchlicher Strukturen.

Kirche, das heißt doch: menschliche Gemeinschaft, Formen menschlicher Sozialisation sind beansprucht von Gott, der durch seinen Geist in seinem Sohn gegenwärtig bleiben will und gegenwärtig bleiben wird unter Men- [26] schen. Dann aber gibt es einen doppelten Kristallisationspunkt für Kirche: einmal das jeweilige Hier und Jetzt, die jeweilige Gemeinde, in deren Mitte Jesus Christus gegenwärtig sein will, zum anderen das Ganze, die weltweite Gemeinschaft derer, die auf ihn hin und von ihm her leben.

Die Jeweiligkeit und die umgreifende Einheit von Kirche sind aber aufeinander bezogen, sie müssen sich gegenseitig integrieren. Allein wenn eine Gemeinde nicht nur „ihren“ Jesus haben will, sondern weiß, daß es um die communio mit dem Jesus für alle und unter allen geht, ist sie wahrhaft Gemeinde. Und allein wenn die Gesamtkirche weiß, daß sie Jesus Christus nicht nur für ihre zentral anordnenden und versorgenden Maßnahmen „gepachtet“ hat, sondern daß Jesus Christus selbst „unmittelbar“ zu jeder Gemeinde ist, bleibt sie lebendige Kirche. Gemeinde muß also offen sein, sich je neu aufbrechen lassen ins Eine und Ganze der Kirche, in die Konsonanz mit der Weltkirche, die Weltkirche aber muß hinorientiert sein auf die Gemeinden, die nicht nur ihre Ortsgruppen sind, sondern sie als Gesamtkirche aufbauen.

Gesamtkirche und Gemeinde können also einander nicht ablösen und, wenn es derselbe Jesus Christus ist, der auf beiden Ebenen wirkt und gegenwärtig ist, dann genügt auch nicht eine beide voneinander abschirmende oder miteinander synchronisierende Kompetenzverteilung. Es kommt an auf eine Präsenz ineinander, es kommt an auf das Geschehen von Kommunikation. Wie Gemeinde davon lebt, daß ihre Glieder mit Christus kommunizieren, indem sie miteinander kommunizieren, so die Gesamtkirche davon, daß alle Gemeinden mit Christus und miteinander, darum aber auch mit der Gestalt gewordenen Einheit des Ganzen kommunizieren.

Das alles scheint zwar recht einleuchtend. Man könnte indessen versucht sein zu fragen: Was soll's? Aber ist es in der Tat so selbstverständlich, daß das gegenseitige Insein von Gesamtkirche und Gemeinde lebensnotwendig ist für die Kirche? Machen wir nicht immer wieder die Erfahrung, daß Kirche als Institution und Organisation an dem vorbeirauscht, was den kleinen Mann und auch den kleinen Pfarrer in der Gemeinde bedrängt, und daß umgekehrt Gemeinden sich so in sich selber schließen, daß eine Protestaktion gegen soziale Mißstände in Südamerika und eine Kollekte für den Hunger in der Welt das Einzige bleiben, was von der Weltkirche in sie hineinreicht? Und wenn wir statt Gemeinde einmal in einem Vorgriff auf später zu Bedenkendes die Kirche eines Landes oder Kulturraumes setzen, dann wird die Spannung überdeutlich.