Thesen zu einer trinitarischen Ontologie

Grundzüge einer trinitarischen Ontologie

  1. Ansatz bei der Liebe, beim Sich-Geben

Für eine Ontologie, die vom unterscheidend Christlichen ausgeht, kann die Grundfrage nicht mehr heißen: Was bleibt und was verändert sich? Sowenig diese Frage ausfallen darf, sowenig kann sie der unbefragte Ansatz sein. Denn wer vom Bleiben allein her denkt, der denkt von einem einsamen Ansatz, von einem Sich-Durchhalten, von einer Selbstintentionalität her.

Die revolutionierende Kraft des schlichten Wortes, daß allein die Liebe bleibt, ist kaum zu überschätzen. Denn wenn das Bleibende die Liebe ist, dann ist die Verlagerung des Schwerpunktes aus dem Selbst ins Andere, dann ist die (nicht mehr aristotelisch verstandene) Bewegung, dann ist die (ebenfalls nicht mehr als Kategorie, gar als seinsschwächstes Akzidens verstandene) relatio in die Mitte gerückt. Aber Beziehung, Bewegung werden nicht als ein neues Prinzip statuiert, aus dem sich alles doch wiederum in einsamer Deduktion ableiten ließe. Nur eines bleibt: das Mittun jener Bewegung, welche die agape selbst ist. Diese Bewegung ist der Rhythmus des Seins; es ist der Rhythmus des Gebens, das sich selber gibt.

[39] 19. Phänomenologie der Liebe als Phänomenologie des Seins

Woher sonst als aus einer Phänomenologie des Sich-Gebens, aus einer Phänomenologie der Liebe könnte diese neue Ontologie entwickelt werden? Eine solche Phänomenologie der Liebe bildet in der Tat den Hintergrund der folgenden Aussagen. Es geht indessen nicht darum, das Phänomen Liebe, Sich-Geben einzubringen in eine umgreifende Phänomenalität dessen, was ist, sondern umgekehrt die Phänomenalität all dessen, was ist, aus der Liebe, aus dem Sich-Geben neu und unverkürzt zu lesen.

Eine paradoxe Konsequenz: Wir bringen nicht zuerst Liebe als Liebe zur Sprache, sondern das an der Liebe Abgelesene in einer möglichst allgemeinen, formalen Kontur. So erschließt sich vielleicht am ehesten, wieso eine Phänomenologie der Liebe ursprüngliches Sich-Zeigen von Sein und Seiendem artikuliert.

  1. Das neue Hauptwort: das Verb

Ansatz bei der Liebe, beim Sich-Geben ist Ansatz beim Geschehen, beim Vollzug. Am Anfang steht nicht mehr das Problem: Wie kommt das Subjekt über sich hinaus und wieder zu sich zurück? Anders gewendet: Wie kommt die Substanz zu ihren Diffe-[40]renzierungen, Bestimmungen, Wirkungen, ohne ihren Rang und ihren Stand in sich selbst zu mindern? Das Denken ist nicht Rückgang hinter den Vorgang, um ihn von einem isolierten Ursprungspunkt aus zu konstruieren. Vielmehr findet sich das Denken je schon bzw. allererst im Vorgang selbst.

Das Hauptwort eines solchen Denkens ist nicht mehr das Substantiv, sondern das Verb. Vom Mitgang mit dem Vorgang aus eröffnet sich, was vorgeht, wer vorgeht, woher und wohin das Vorgehen geht.

Nehmen wir zur Veranschaulichung ein Wort, das im Deutschen Verb und Hauptwort zugleich ist: Leben. Die „Sache“, die das Hauptwort Leben meint, ist der Vorgang, das Geschehen, verbal verstandenes Leben. Seine Identität hat dieser Vorgang im Vorgehen selbst, in der Weise, wie er geht. Leben heißt Ausgehen von sich selbst. Im Ausgehen geschieht ständig die Reproduktion und Restitution des Ausgehens, Leben heißt Weiterleben. Im Ausgehen geschieht zugleich Assimilierung des Äußeren, Aufnahme des Äußeren ins Innere.

Dieses Innere aber ist nur da als das Woraufhin des Aufnehmens und das Woraus des Ausgehens. Die Kontrapunktik eines Lebendigen gegen anderes Lebendiges und gegen anderes Seiendes geschieht in der Beziehung, welche das Leben selber ist. Leben endet und das Lebendige endet, wo diese Beziehung endet.

[41] Der Zusammenhang, welcher das Leben ist, spannt sich freilich noch weiter; er ist Zusammenhang zwischen Leben und Leben. Die innere Dimension des einzelnen Lebens, zu der bereits Ausgang, Mitteilung, Assimilierung, Reproduktion gehören, hat, untrennbar, eine Außendimension, die des Mitlebens, in welcher Leben für anderes Leben und von anderem Leben lebt.

Die am Phänomen Leben angeschauten Verhältnisse gelten auf je eigene Weise nicht nur von allen Vorgängen, sondern auch von allen „Dingen“. Ein Ding, ein Subjekt, ein Seiendes läßt sich nur verstehen und kann sich nur vollbringen in seinem Akt. Und dieser Akt ist Konstitution, Mitteilung, Abgrenzung und Einfügung in einen umgreifenden Zusammenhang. Außerhalb seines Aktes „ist“ nichts – wobei Akt nicht die Nivellierung des Standes in sich selber bedeutet, sondern gerade seine Konstitution.

  1. Einheit in Mehrursprünglichkeit

Vorgang ist kein ungeschiedenes Strömen – in einem solchen ginge gerade nichts vor. Sondern Vorgang ist geschehende Beziehung, die nicht ginge ohne das Zueinander, Ineinander und Auseinander von Polen, zwischen denen sie spielt.

Pole, Bezugspunkte gehören also dazu; und der Vorgang, in dem sie verbunden und unterschieden [42] sind, nivelliert sie nicht. Aber die Pole haben keinen isolierten Stand außerhalb des Geschehens, sondern sind sie selbst im Geschehen. Mehr noch: sie selbst sind Geschehen. Sie sind dies: sich mitteilen, sich beziehen, sich in den Vorgang hineingeben und aus ihm empfangen, ihn sein lassen und von ihm sein gelassen sein. In jedem Pol ist der ganze Vorgang, der ganze Vorgang ist das Sein eines jeden Pols. Die Pole unterscheiden sich durch die Weise, wie der ganze Vorgang aus ihnen hervorgeht und sie aus ihm hervorgehen. Diese Unterscheidung der Pole im Vorgang aber ist die Unterscheidung des Vorgangs selbst, will sagen seine Gliederung, aus welcher er Einheit und Unterscheidbarkeit, Struktur erhält. Wenn das Hauptwort der neuen Ontologie das Verb ist, so tritt an die Stelle des einen Subjekts also die Mehrursprünglichkeit. Ein Vorgang geschieht in den gegenwendigen Vorgängen, in welchen die Pole des einen Vorgangs sich aufeinander beziehen. Das eine Geschehen hat seine Einheit, seinen einen Gang und seine eine Richtung aus den vielen Polen, die zugleich aus ihrer je anderen Richtung aufeinander zu den ganzen Vorgang hervorgehen lassen.

Ein Beispiel: das Wort. Ich spreche das Wort, es geht von mir aus, ich schließe mich unmittelbar in ihm auf. Man kann sagen, zumindest in der einen Richtung: Zwischen mir und meinem Wort liegt nichts anderes. Ich verantworte es, gestalte es und [43] richte es aus auf seinen Adressaten. Somit wurzelt der ganze Vorgang des Sprechens, wurzeln die bereits angeklungenen Dimensionen von Wort (Ausdruck, Gestalt, Adressat) in mir. Und doch wurzele auch ich als Sprechender, wurzelt mein Wort als meines in den anderen Ursprüngen.

Die Sprache ist Ursprung meines Wortes. Indem ich von mir aus spreche, beanspruche ich eine Sprachgestalt, die vorgeformt, zumindest vorbereitet ist dadurch, daß schon Generationen vor mir gesprochen haben, daß der Mensch als Sprach- und Ausdruckswesen geschaffen ist, daß er schon immer in einem Kommunikationsstrom steht. In meinem Sprechen spricht die Sprache weiter. Meine spezifische Klangnuance, meine persönliche „Grammatik“ ist – in der umgekehrten Richtung – wenigstens ein Sandkorn auf dem Gebirge der Sprache, das andauernd anwächst, sich andauernd verschiebt. Und auch wenn ich noch so originell spreche, wenn ich sozusagen neue Sprache zeuge, mein Sprechen ist Weitersprechen, meine Leistung wiederum nur Sandkorn auf dem Gebirge der gesprochenen Sprache.

Und noch einmal: Du, zu dem ich spreche, du, der Adressat, bist Ursprung meines Wortes. An deinem Hören und Verstehen liegt mein Sprechenkönnen, an deiner Antwort mein Weitersprechen, und mein Anfangen selbst ist je schon Weitersprechen auf den Anfang hin, der du mir bist, der dein Begegnen mir ist.

[44] Mein Wort hat zumindest die drei Ursprünge: ich, die Sprache, du. Und es ließe sich mühelos entfalten: Alle drei Ursprünge entspringen auf unterschiedliche Weise in meinem Wort einander, in jedem Ursprung ist derselbe Vorgang ganz, aber anders. Die Anteile der drei Ursprünge lassen sich nicht quantifizieren, wohl aber differenzieren: dadurch, wie das Ganze jedem Ursprung entspringt.

Was wir am Beispiel „Wort“ abgelesen haben, können wir an jedem Vorgang ablesen – sogar am scheinbar so einsinnigen des Zeitverlaufs. Nur wenn wir die ganze Zeit in und aus der Vergangenheit, der Zukunft und der Gegenwart lesen, verstehen wir Zeit.

  1. Spielstruktur: Identität als Steigerung

Das Substantiv aufs Verb, Dinge auf Vorgänge, Vorgänge auf ihre Mehrursprünglichkeit hin zu lesen: das wird den Phänomenen gerecht. Und doch ist es eine Verwandlung und Steigerung gewohnter Sicht- und Sageweisen.

Das wird besonders augenfällig am Bedeutungswandel des Wortes „Identität“: Identität wird in unserem Kontext als Steigerung, als dramatische Verwandlung erfahren. Leben ist mit sich identisch, indem es weitergeht, indem es wächst, Leben bleibt Leben, indem es mehr Leben wird. Sprache bleibt [45] Sprache, indem sie weiterspricht, indem sie je mehr sagt, je mehr ausdrückt, je mehr den anderen anspricht. Zeit bleibt Zeit, indem sie nach mehr Zukunft, nach größerer Zukunft drängt.

Ein weiteres Beispiel, allerdings mehr als ein Beispiel: das Spiel. Ob ich nun mit einem anderen spiele oder, im Grenzfall, nur etwas mit mir allein spiele: immer geschieht ein gegenwendiges Aufeinanderzu. Ich spiele zwar, aber was bei meinem Spiel herauskommt, überrascht mich, stellt mich in eine neue Situation, auf die ich reagiere. Ich empfange mich neu im Spiel, und das Gespielte wird neu im Spiel – dies z. B. die Spannung aller künstlerischen Interpretation. Nur dann spiele ich Mozart gut, wenn Mozart Mozart bleibt. Aber wenn ich ganz gut spiele, wird Mozart mehr Mozart und werde ich mehr ich.

Im Grunde lassen sich alle Vorgänge, alle Bereiche, alle Verhältnisse umfassend lesen, wenn sie auf ihre Spielstruktur hin gelesen werden. In ihr wird Einheit in Mehrursprünglichkeit, wird Vorgang als das Zugleich von Vorgang, Rückgang und Zusammenhang, wird Identität als Steigerung deutlich. Die Spielstruktur ist die Struktur des Vorgangs.

Und in der Tat, was am Ende der Neuzeit, was am Ende aller Gegenstands- und Geistmetaphysik den Menschen neu interessiert und was sich ihm neu zu denken gibt, sind die Spiele, sind die Vorgänge: Leben etwa, Freiheit, Sinn. In derlei „Spielen“, in der-[46]lei Vorgängen geht es um mich – aber nicht um mich allein; geht es ums Ganze – aber nicht um ein Ganzes, von dem ich mich abstrahieren könnte; geht es um die Gesellschaft – aber um eine Gesellschaft, die nicht wieder den einzelnen verschlingendes Subjekt werden darf. Derart aber ist es mit den Vorgängen, mit den Spielen insgesamt bestellt, auf die hin eine neue Ontologie das, was ist, und das, was geschieht, erschließt.

  1. Die Restitution des Substantivs aus dem Verb

Alles wird als Vorgang, alles gar als Spiel und Ineinanderspiel verstanden. Muß hier nicht der Einwand aufstehen, das Recht des Substantivs, die unaufhebbare Widerständigkeit der Sachen, der Ernst jener Identität, die im Selbstsein nun einmal zu übernehmen ist, dies komme hier zu kurz, die Unterschiede gingen im bloß Spielerischen unter, die Konsistenz löse sich im Unverbindlichen auf?

Dieser Einwand hätte sein Recht, wo Titel wie Vorgang, Mehrursprünglichkeit, Spiel, „Identität als Steigerung“ zu Prinzipien einer Deduktion, zu Bausteinen eines Systems würden – und sie würden es, wenn das Denken in der Distanz bloßer Beobachtung bliebe, wenn der denkende Mitvollzug sich ins Spiel der Begriffe vergäße, statt sich selber ins Geschehen [47] des Sich-Gebens hineinzugeben. Die gebrauchten Titel müssen rekapituliert, sie müssen in ihre Eindeutigkeit gebracht werden aus dem Grundvollzug, von dem aus sie anfänglich in unseren Blick getreten waren: eben Liebe, Sich-Geben. Nur im Ernst solchen Einsatzes kommt wirklich die Wirklichkeit ins Spiel und entrinnt die Phänomenologie dem Narzißmus.

Sich-Geben – dies ist indessen nicht ein äußerer Zusatz zu den bisher anvisierten Phänomenen. Ohne Einsatz gibt es kein Spiel, ohne Sich-Mitteilen kein Sprechen, ohne Vergehen kein Weitergehen. Gerade solche Steigerung des Vollzugs, die allen Bestand ständig zur Disposition stellt, bringt den Bestand, bringt das Substantiv jedoch wieder ins Spiel – freilich in einem neuen Sinn.

Geben hält nicht fest, was es hat, aber enthält, was es gibt. Damit sind Außen und Innen in jeden Vorgang eingetragen, Außen und Innen können nicht ungeschieden ineinander bleiben. Gewiß, es gibt keinen Stand außer im Gang, keinen Halt außer in der Überschreitung, keinen Fixpunkt außer in der Beziehung über ihn hinaus. Doch so gerade wird Bestand, Selbstsein, wird Unterschiedenes konstituiert. Und nur dadurch gewinnt der Vorgang seine Ganzheit, seine innere Balance. Bestand, Selbstsein, Unterschiedenes sind aber nicht Endpunkte, Endpunkte, in denen das Geschehen ausläuft. Sie sind vielmehr Grenze, an welcher das Geschehen in sich zurückläuft, [48] sind „Haut“, welche die spannungsvolle Einheit eines Geschehens umschließt. In dieser Grenze bewährt sich die Macht des Ursprungs: er kann berühren. In dieser Grenze offenbart sich seine Ohnmacht: er kann berührt werden. Grenze ist als Grenze die Mitte zum Über-sich-hinaus. Jede Unterscheidung stellt in die Entscheidungssituation nach außen.

Überstieg und Rückwendung fordern einander gegenseitig heraus. Was nur aufbricht zu sich selbst, kommt nicht zu sich; was nur aufbricht von sich weg, kommt nicht zu seinem Anderen, weil es seinem Anderen nichts bringt, weil es sich selber seinem Anderen nicht bringt.

So aber bekommt die „feste Gestalt“, bekommen Kontur, Grenze, Bestand ihren neuen Sinn. Sie sind Gegebenheiten, Gegebenheiten, an denen der Ursprung – der doch Geben ist – sich findet, sich freilich so findet, daß er darin in Beziehung tritt über sich hinaus, in eine Beziehung, die ihn über sich hinaus gibt. Substanz ist da zur „Transsubstantiation“, zur „Kommunion“.

  1. Analogie der Sprache – Analogie des Seins

Der Sinn von Gestalt ist es also, das zu fassen und zu reichen, was sich in ihr „substantiiert“, den Vorgang in sich zurück- und über sich hinauszubringen, das ins [49] Außen zu öffnen, was sich in der Gestalt doch begrenzt. Der „Leib“, den ein Leben sich erbildet, die Figur, in der ein Vorgang abläuft, sind die Erscheinung, in welcher sich das Innen wahrt und birgt, in welcher es sich zugleich öffnet und mitteilt. Sie sind die Stelle, an welcher dieses Innen als unberührbares Geheimnis geschützt und zugleich seinem Außen eröffnet, ja preisgegeben wird. Ohne die Gestalt könnte sich das Innen nicht sammeln, gäbe es aber auch nicht Begegnung mit dem Außen.

Dies trifft nicht nur zu für den Leib und für die Figur, die von Ursprüngen und Vorgängen aus erbracht werden und ihnen unmittelbar zu eigen sind. Es gilt auch, ja zuhöchst von der Gestalt, in der das, was ist, als solches offenbar wird: vom Gedanken, vom Wort.

Indem sich etwas zu denken gibt, kommt es in seine Helle, also zu sich; es kommt aber zugleich in sein Anderes, eben ins Denken. Alles, was ich sage, bestimme ich in seinem Eigenen, indem ich es im Medium seiner Andersheit, in der Sprache aussage. Das Denken, das Wort – und daß Denken vom Wort her und aufs Wort hin zu denken ist, versteht sich in einer Ontologie des Vorgangs, der Beziehung von selbst – sind die Grenze, die dem Gedachten und Gesagten seine Identität verleiht; sie sind Kontur, die das Eigene nur definiert, indem sie es aufs Andere treffen läßt. Grenze ist das „Gemeinsame“, „Allgemeine“ [50] zwischen denen, die an dieser Grenze aneinanderstoßen, ihr Eines und Drittes, ihr Eigenstes und Fremdes – und nur so geschieht Übergang, geschieht Gabe, die enthält, was sie gibt, und gibt, was sie faßt.

Damit ist der analoge Charakter allen Sagens und Denkens berührt. Indem ich etwas sage, bringe ich es in seinem Eigenen zum Vorschein und übereigne es. Es ist, was es ist, für ein Anderes. Es ist, was es ist, in einem gemeinsamen, allgemeinen Sinn. Wenn wir es im Denken, im Wort ganz als es selbst aufgehen lassen wollen, so können wir nicht umhin, seine Exklusivität aufzusprengen, es zu verallgemeinern, es zu übersetzen, also: es zu verfremden. Und das ist nicht bedauerlicher Unfall, sondern Vollendung des Eigenen, das gerade in sich zusammenbräche, wo es in sich bliebe, statt sich zu geben.

Die Analogie des Denkens und Sprechens aber vollbringt und erschließt nur die Analogie des Seins, das als Vollzug eben Übergang, Kommunion, Sich-Geben „ist“. Analogia entis bedeutet das Ineinander und Auseinander des Seins, als dessen Sinn sich das Füreinander entbirgt.

Damit ist auch der Sinn unserer bisherigen Rede berührt, in der wir formal und allgemein die Struktur einer neuen Ontologie zur Sprache bringen. Die Eindeutigkeit der Bestimmungen ist Eindeutigkeit einer Linie, an der mehreres zusammenstößt, einander berührend und einander verbindend sich scheidet. Der [51] Eindeutigkeit von Gestalt in sich entspricht ihr mehrdeutiger Verweis über sich hinaus.

Dieselbe Struktur: ein Vorgang aus vielen Ursprüngen, ein Vorgang in gegenwendigen Vorgängen, ein Vorgang als derselbe und je neuer, ein Vorgang als Rückgang in sich und Weitergang über sich hinaus – das alles ist nicht ein allgemeines Gesetz, unter welches sich die unterschiedlichsten Phänomene subsumieren ließen; es ist nicht ein Prinzip, aus dem gar alles abzuleiten wäre; es ist nicht eine Reduktion aller Unableitbarkeiten auf einen gemeinsamen Nenner. Vielmehr ist es Freigabe ins Eigene und Unverwechselbare, Grenze eben, von welcher aus das Jeweilige ins Eigene und Unterscheidende seiner selbst hinein abstößt und doch mit dem Unterschiedenen, mit dem Anderen kommuniziert.

Die neue Ontologie nimmt es dem Denken nicht ab, jeweils neu zu werden bei jedem Phänomen und bei jedem Vorgang. Das Denken hat seine mit sich identischen, in sich stimmigen formalen Strukturen. Aber nicht diese denkt es, sondern in ihnen denkt es das, was sich je neu und anders ihm zu denken gibt. So verwandeln sich auch die Strukturen selbst, sie werden je neu.

[52] 25. Dimensionen der Analogie

Denken und Sprache markieren die Grenze, an welcher Unterschiedliches aufeinandertrifft, sich voneinander abhebt, sich aneinander gibt, sich eröffnet und verfremdet in einem. Wir haben diese vielfältige Beziehentlichkeit, diesen Zusammenhang von Einung und Unterscheidung als Analogie verstanden. Was begegnet sich an ihrer verbindenden Grenze? Sein und Denken grenzen aneinander; Seiendes grenzt sich gegen Seiendes ab, Bereich gegen Bereich; Sprechender und Hörender, Sprechender und Sprechender treten in ihre Position und in die Einheit des Sprechens.

Das Spiel zwischen Seiendem und Seiendem, zwischen Denken und Sein, zwischen Sprechen und Sprechen ist je ein anderes. Und doch sind alle Spiele ineinander, spielen sie gemeinsam ein einziges Spiel.

Daß aber dieses eine Spiel „geht“, weist seinerseits auf mehrfachen Ursprung. Wir spielen es, ein jeder von sich aus; wir spielen es, aber als einander Zugespielte, als in die Rolle des Wir Gewiesene. Doch indem wir es spielen, stimmen wir ein in die unverfügbare Selbst- und Eigengesetzlichkeit dieses Spiels; das Spiel selbst ist Ursprung unseres Spielens. Und weiter: im Zueinander von Spiel und Spielern eröffnet sich ein das Spiel Überragendes. Warum ist Spiel und nicht vielmehr Nicht-Spiel? Warum spielen wir es, [53] können nicht anders als spielen und sind doch freigesetzt zum Spiel und im Spiel?

Wir verdanken uns dem Spiel, das Spiel einander, doch uns und das Spiel gemeinsam dem im Spiel Entzogenen, das doch unsere Antwort und Verantwortung hervorruft, das als das Verborgenste in der offenbaren Gabe des Spiels sich uns gibt und das seinerseits allein es lohnt und erlaubt, daß wir uns ganz geben.

Von unten her, aus der Unmittelbarkeit des Spiels her gelesen, mag dies ein Letztes sein, ein Höchstes, die analogste aller Analogien, jene, an der wir Sein und Denken am meisten als die Grenze erfahren, die uns im Spiel übers Spiel verweist: das Geheimnis, Gott selbst scheint hinein ins Spiel der Analogie.

  1. Die Frage nach dem Neuen einer neuen Ontologie

In der Perspektive von unten springt indessen das Neue dieser „neuen Ontologie“ nicht sofort und nicht eindeutig in die Augen. Gibt es nicht Ansätze genug in der Tradition abendländischer Metaphysik und im Versuch ihrer Überwindung, die in dieselbe Richtung weisen? Das Analogie- und Partizipationsdenken eines Thomas, die Weise, wie Bonaventura ars aeterna entfaltet oder wie Nikolaus von Cues das gegenseitige Insein von Ganzem und Einzelnem denkt, die in seiner Wirkungsgeschichte verschattete [54] Denkstruktur eines Descartes, der die Vermittlung von Selbst, Welt und Gott, den Zugang vom einen zum anderen in einem höchst differenzierten Geflecht der gegenseitigen Erschließung und Bedingung erhellt, die letzten Gedanken des deutschen Idealismus, etwa in der Spätphilosophie Schellings, die Lehre vom Zugleich der Einung und Unterscheidung bei Baader, sein „eucharistisches“ Verständnis von Welt und Gestalt, das Sprach- und Beziehungsdenken eines Rosenzweig, das Zudenken Heideggers auf die undenkliche Gewähr der Zeit und des Seins, schließlich die Strukturontologie von Heinrich Rombach: dies schlägt den Bogen einer weiten Konvergenz noch so unterschiedlicher Motive und Ansätze.

Das Neue der neuen Ontologie ist ihr Ansatz in einer Tiefe, die sich von unten nicht aufschließen läßt: beim dreifaltigen Geheimnis Gottes, das uns im Glauben offenbar ist. Das Geheimnis dieses Geheimnisses heißt Liebe, Sich-Geben. Von hier aus aber schließt sich alles Sein, alles Denken, alles Geschehen in seiner Struktur auf; es erfolgt die relecture des für den Glauben Offenbaren an den Phänomenen, im unmittelbaren Hinblick auf sie. Das Denken selbst lernt sich bei dieser „Phänomenologie“ neu, es wird verwandelt, indem es Mitgang mit dem Gang des Sich-Gebens, mit dem Gang der Liebe wird. Das Denken entdeckt dabei, daß gerade dies seine Ursprünglichkeit, seine Unmittelbarkeit, sein Eigenes ist.

[55] 27. Trinitarische Antwort

„Wie sollte der, der seinen eigenen Sohn nicht geschont, sondern für uns alle dahingegeben hat, nicht uns mit ihm auch alles geben?“ (Röm 8,32). Solche Urerfahrung des Glaubens gründet im Tod und in der Auferstehung Jesu. Sie erfährt, daß Jesus sich für uns hingegeben hat, daß seine Hingabe aber Hingabe Gottes ist und daß in ihr das Leben und die Welt, daß in ihr der Sinn von Sein, daß in ihr schlechterdings alles verwandelt, weil von seinem Ursprung aus gegeben, in den Rhythmus seines Sich-Gebens hineingenommen ist. Dies ist die innere Berechtigung, ja Notwendigkeit einer neuen, einer trinitarischen Ontologie.

Sie erschließt sich nur dem, der diesem göttlichen Sich-Geben sich selber gibt, der in die antwortende Bewegung des Sich-Gebens nicht nur sein Denken, sondern seine Existenz, und sie nicht nur privat, sondern in allen ihren Bezügen einbringt: „Alles ist euer, ihr aber seid Christi, und Christus ist Gottes“ (1 Kor 3,23). Wer aber aus der unableitbaren und unabnehmbaren Entscheidung des Glaubens an die Liebe die Konsequenz der liebenden Selbstaufgabe zieht, der entdeckt in den Dingen, in den Verhältnissen, in den Bereichen und Vollzügen dieser Welt, was sie zutiefst von sich her sagen und zeigen. Er stößt durch in eine neue Mitte der Phänomenalität, die auch dem Außenstehenden sich bezeugt – freilich nicht [56] automatisch, nicht zwingend, sondern ihn zur Entscheidung einladend.

Der an sich richtige Satz, daß die Beziehungen Gottes nach außen Gott als den einen, nicht als den dreifaltigen ins Spiel bringen, stand seit Augustinus einem Ausziehen der trinitarischen Linien im Weg. Wenn aber der eine Gott Sich-Geben ist und wenn gerade in der „ökonomischen“ Trinität die „immanente“ aufgeht und wenn ihr Aufgang selbst eine ökonomische Intention hat: die Teilgabe am Innersten Gottes und unsere Hineinnahme ins Innerste Gottes – dann wird die Analogie des Seins also doch zur Analogie der Trinität. Alles erfüllt sich und vollbringt sein Eigenstes, indem es in seine Beziehentlichkeit, in sein Über-sich-hinaus, in sein Sich-Haben im Sich-Geben, in sein Zu- und Füreinander tritt. Alles hat an sich selbst den Stellenwert, den es im Geschehen der Liebe hat. Der alte Satz behält also seine Gültigkeit: relatio Dei ad extra est una. Una heißt nun aber: gemeinsam. Das Sich-Schenken Gottes schenkt ihn. Vater und Sohn und Geist sind in diesem einen Sich-Schenken auf je ihre Weise wirksam, auf je ihre Weise an ihm ablesbar. Unsere Antwort, unser Denken und Tun, bezieht sich auf den einen Gott – aber gerade die Einheit unserer Antwort konstituiert sich im Eingehen und Wiederholen der Momente, in denen sich die Einheit des trinitarischen Geschehens konstituiert.

[57] Dies zur Basis des Seinsverständnisses und des konkreten Verhaltens zu machen, mit solcher trinitarischer Ontologie also Ernst zu machen, wäre in der Tat etwas Neues. Und es wäre das Not-wendige in einer Zeit, in welcher wie kaum einmal zuvor die Hinfälligkeit des Denkens und des Seins, die Fraglichkeit des Subjekts und der Substanz, das Entschwinden Gottes, der Welt und des Menschen, die Bedrohung der Freiheit und des Sinnes zu Alltagserfahrungen werden.

  1. Die Plausibilität einer trinitarischen Ontologie

Wer an Jesus Christus glaubt, der glaubt an eine Liebe, die nicht erst nachträglich gutmacht, was eben ist, wie es ist. Er glaubt an eine Liebe, die am Anfang, in der Mitte und am Ende steht. An Liebe als den Sinn des Seins. Liebe aber ist, christlich gesehen, zutiefst dreifaltige Liebe. Von oben, von der Offenbarung her ist das Postulat einer trinitarischen Ontologie also konsequent.

Von unten her, aus der unmittelbaren Erfahrung, aus dem direkten Hinblick auf das, was ist, löst sich dies nicht zwingend ein. Widerständige Selbstbehauptung oder Auflösung ins letztlich Undeutbare, blinde Faktizität oder bloß immanente Gesetzlichkeit drohen eher die letzten Auskünfte des Seienden über [58] sich selber zu sein. Doch wer über diese Auskünfte nicht hinausfragte, der unterböte das, was in der Geschichte sich bezeugt, was in der Tendenz des Menschseins und der Schöpfung auf Sinn und Erfüllung sich meldet, was im unerstellbaren und unauflösbaren Zusammen von Sein und Denken, von Ich und Du, von Mensch und Welt sich zuspielt. Es muß wenigstens zu denken geben, daß auch im Blick auf die Daten der Erfahrung eine trinitarische Ontologie mehr integriert als andere Ontologien.

Bleibt aber nicht eines aus einer trinitarischen Ontologie draußen: das, was nicht aufgeht, Schuld, Einsamkeit, Trauer der Endlichkeit, Nicht-Erreichen des Zieles? Würden diese Erfahrungen negiert oder zum bloß kontrastierenden Durchgangsmoment im System relativiert, dann stände allerdings die Glaubwürdigkeit des Ganzen auf dem Spiel.

Es ist indessen, theologisch gesehen, der tiefste Punkt einer trinitarischen Ontologie, daß in der Kenosis des Sohnes alle Endlichkeiten und Widersprüchlichkeiten aufgenommen sind ins Ereignis göttlichen Sich-Gebens. Im Warum-Schrei am Kreuz und im Schweigen der Sheol, in die der Sohn hinabsteigt, ist alles integriert und doch nichts vereinnahmt. Die Hoffnung, die sich etwa im Römerbrief bezeugt, ist deutlich genug das Gegenteil von Ideologie, Verdrängung und selbstsicherer Verfügung.

[59] 29. Ebenen des trinitarischen Geschehens

Trinitarische Ontologie hat sich nicht nur durch ihre philosophische Integrationskraft zu bewähren. Sie muß auch – ohne Zwang und Zufälligkeit – das Ganze der Offenbarung theologisch integrieren, es auf die trinitarische Mitte hin durchsichtig werden lassen.

Hier muß es genügen, die Ebenen, auf denen solche theologische Integration zu leisten wäre, zu markieren und die Ordnung des Zugangs von der einen Ebene zur anderen zu skizzieren.

Einstieg ist das Ereignis der „ökonomischen“ Trinität: Jesus erschließt den Vater; der Vater verherrlicht ihn als den Sohn; die Zugehörigkeit beider zueinander, die Zugehörigkeit des Vaters und des Sohnes zu uns und unsere Zugehörigkeit zum göttlichen Leben eröffnet der Geist.

Dieses Geschehen ist aber nicht ein äußerer „Anhang“ zu dem, was Gott ist, sondern sein eigenstes, innerstes Geheimnis: Der Weg führt von der „ökonomischen“ zur „immanenten“ Trinität.

Weil die immanente Trinität sich ökonomisch öffnet, wird als die oikonomia der Schöpfung deren Zulaufen auf die Hineinnahme ins trinitarische Leben offenbar. Die Ordnung der Schöpfung ist die Vorläufigkeit ihrer trinitarischen Erfüllung und Vollendung. Diese Erfüllung und Vollendung ist Zugabe zu dem, was die Vorgabe der Schöpfung ist; aber der [60] positive Sinn der Vorgabe wird erst in der Zugabe sichtbar.

Die Glaubenden, die Gemeinschaft der Kirche: dies ist der Ort, an welchem Schöpfung eintritt ins trinitarische Geschehen des Beschenktseins und Schenkens. Sein-in-Christus ist die neue Daseinsweise, in die der Glaubende sich und seine Welt einbringt. Das Verhältnis Jesu zum Vater, das trinitarische Ethos wird zum Ethos christlichen Selbst- und Weltvollzuges.

Sein-in-Christus öffnet allerdings nicht nur uns ins trinitarische Leben hinein, sondern öffnet auch zwischen uns, im Welthaften, trinitarische Beziehung. Zwischen uns will das johanneische „Wie“ spielen: Wir sollen einander lieben, wie Jesus uns geliebt hat, ja miteinander eins sein, wie er und der Vater eins sind (vgl. Jo 13,35; 17,21ff).

Solche trinitarische Gegenwart, in die wir gewiesen sind, steht freilich noch unter dem Gesetz der Zeit. Sie ist als Gegenwart Sich-Geben an eine Zukunft, deren Gabe also noch aussteht. Mehr noch, Zeit insgesamt wird offen als jene Gegenwart, die, sich gebend, in eine Zukunft zu vergehen hat, welche endgültige, die Zeit überragende und vollendete Gabe ist. Trinitarische Ontologie ist als solche eschatologisch offen.