Heiliges Leben in heutiger Zeit*
Heiliges Leben in heutiger Zeit*
Man könnte die These aufstellen: „Heiligkeit“ als Ideal stößt heute auf soviel Schwierigkeiten und Vorbehalte wie kaum zu einer anderen Epoche christlicher Geschichte. Man könnte auch die Gegenthese aufstellen: Heute ist die Zeit der Heiligen. Es gibt gute Gründe zu sagen: Heiliges Leben zeigt sich heute und geht heute, wie es sich immer zeigte und ging. Doch ebenso trifft zu: Heiliges Leben steht in einem Gestaltwandel, der tiefer reicht als bloß bis zu äußeren Erscheinungsformen.
Es gilt, die Anlässe ernst zu nehmen, die jeweils zur einen wie zur anderen Auffassung führen. Die besonderen Schwierigkeiten und die besonderen Chancen heiligen Lebens heute, die Kontinuität und die Geschichtlichkeit dessen, was heiliges Leben bedeutet, müssen zugleich bedacht werden. Dabei kann sich die Richtung weisen, in welcher die Antwort auf die Frage liegt: Heiliges Leben – wie geht das in heutiger Zeit?
Die nachfolgende Untersuchung will freilich nur das Ergebnis einer Analyse und Besinnung wiedergeben, die sich durch mannigfache Materialien rechtfertigen müßte und könnte. Solche Rechtfertigung sprengte aber den Rahmen dieses Beitrags. Die vorgelegte Synthese gleicht also einer von ferne angeschauten Bergkette, die zwar eine klare zusammenhängende Gestalt darbietet, welche indessen, aus der Nähe betrachtet, in eine Fülle sich gegeneinander abhebender, einander überschneidender Bilder aufsteigender Berge und Massive auseinanderfällt. Es scheint dennoch verantwortbar zu sein, das Gebirge von ferne anzuschauen. So wird sichtbar, wie es einen Lebensraum begrenzend eröffnet und wie es einlädt, sich ihm zu nähern und es zu erwandern. Anders gelesen: Der Blick aufs Ganze eröffnet jene Orientierung, die in der Summe der Details schwerer fällt.
Einem solchen abkürzenden, Ergebnisse referierenden Vorgehen gemäß werden die nachfolgenden Ausführungen nicht durch eine Fülle von Zitaten und Verweisen belegt; dennoch ist es gut, Gestalten, Erfahrungen, Bewegungen, Reflexionen zu benennen, auf welche der Blick bei der Suche nach der Spur heiligen Lebens heute fiel. Therese von Lisieux, Charles de Foucauld, Joseph Cardijn, Madeleine Delbrêl sind hier zu nennen, die theologische Reflexion eines Hans Urs von Balthasar und die für ihn so wichtige Erfahrung der Adrienne von Speyr, nicht zuletzt aber gegenwärtige geistliche Bewegungen, in denen Leidenschaft für heiliges Leben brennt, wie Schönstatt oder die Fokolar-Bewegung. Eine Hauptquelle der Überlegung aber muß noch eigens hervorgehoben werden: der unmittelbare seelsorgliche und geistliche Umgang mit Menschen, gerade jungen Menschen, die sich danach fragen, ob und wie heiliges Leben geht.