Was haben Evangelium und Wirtschaft miteinander zu tun?

Herausforderungen des Evangeliums*

In einem zweiten Schritt sollen die Aussagen des Evangeliums zur Wirtschaft zur Sprache kommen. Es wäre allerdings eine Unterbietung des Evangeliums, es auf die bloße Steuerfunktion für die Wirtschaft, auf die Quelle einer Wirtschaftsethik zu reduzieren. Das Evangelium kann nur aus seiner eigenen Mitte heraus sprechen, von der her es sich zunächst als das Andere der Wirtschaft artikuliert. Von dort aus läßt sich das Evangelium in seinen Aussagen freilich gerade auf das hin verstehen, was es von sich her auf die Wirtschaft zu in seiner ursprünglichen Brisanz sagt.

  1. Das Evangelium relativiert die menschlichen Verhältnisse in ihrer nur immanenten Ordnung. So läßt sich die Härte des Wortes Jesu verstehen: „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als daß ein Reicher in das Reich Gottes gelangt“ (Mk 10,25 parr). Priorität in der Verkündigung Jesu haben gerade die Armen, denen auch die erste der Seligpreisungen der Bergpredigt gilt (vgl. Mt 5,3); sie hindert nichts, zuerst Gott selbst, seinen Willen zu suchen.

    Jesus legt in seinen Gleichnissen dar, worum es in seiner Botschaft geht: Er erzählt beispielsweise die Geschichte von einem reichen Mann, der sich, nachdem er gut gewirtschaftet hatte, eine größere Scheune bauen wollte, weil er für seine Zukunft endgültig vorgesorgt zu haben meinte. Er verschließt sich in seiner Sorge um die Zukunft. Diese Erzählung endet mit dem richtenden Wort Gottes: „Du Narr! Noch in dieser Nacht wird man dein Leben von dir zurückfordern.“ (Lk 12,20) Das Evangelium stellt gerade das in Frage, woran der Mensch sich festzumachen sucht. Der Mensch, der in den Tod gerufen ist, wird aber nicht in ein Nichts gerufen, sondern in die Verantwortung für das Ganze als Antwort auf den absoluten Anspruch Gottes, vor dessen Antlitz der Mensch in seinem Leben und Sterben steht. Wo auch immer Du in der menschlichen Ordnung mitwirkst: das Dich unbedingt Verpflichtende für Deine Arbeit ist der Wille Gottes, der Dich geschaffen hat und vor dem Du erscheinen wirst.

    [6] Evangelium stellt vor einen absoluten Anspruch, der alle anderen Absolutsetzungen zerbricht. Es ruft in die Begegnung mit dem lebendigen Gott, in dessen Willen schlechterdings alles beschlossen ist; Gott ist in der personalen Begegnung mit dem Menschen in dessen Verantwortung präsent und mächtig. Diese Grundaussage hat allerdings das Evangelium mit anderen Religionen gemeinsam. In dieser Relativierung liegt noch nicht die spezifische Aussage des Evangeliums zur Sache der Wirtschaft.

  2. Die spezifische Aussage des Evangeliums bringt sich in scheinbar harmlos anmutenden, durch zahlreiche Lebenserfahrungen vermeintlich überholten Forderungen und Aussagen zu Wort: „Seht die Vögel des Himmels an: Sie säen nicht, sie ernten nicht und sammeln keine Vorräte in Scheunen; euer himmlischer Vater ernährt sie.“ (Mt 6,26) „Lernt von den Lilien, die auf dem Felde wachsen: Sie arbeiten nicht und spinnen nicht.“ (Mt 6,28) „Wer von euch kann mit all seiner Sorge sein Leben auch nur um eine kleine Zeitspanne verlängern?“ (Mt 6,27) „Euch aber muß es zuerst um sein Reich und um seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben.“ (Mt 6,33) Evangelium, das im ersten Nachdenken noch als Vorwort zu den menschlichen Verhältnissen erscheint, spricht hier in das Innere menschlichen Seins und Handelns hinein. Es geht jetzt nicht mehr nur um die jedem Wirtschaften immanente Verantwortung, sondern um die unmittelbare Konfrontation mit dem Gott, der sich jedem Zugriff entzieht und der sich unter wirtschaftlichen Faktoren nicht verrechnen läßt. Mit ihm ist hier und jetzt zu rechnen. In die Mitte menschlichen Lebens, in die Mitte der Wirtschaft bricht Gott ein: Menschliche Sorge bleibt nicht länger das universale Prinzip des Denkens und Handelns, sondern das Vertrauen auf die Vorsehung wird eingefordert. Ich vertraue darauf, daß Gott mich liebt und für mich sorgt: Vor jeder Vorsorge und Sachgerechtigkeit gilt es, sich hier und jetzt auf ihn zu verlassen und ihm die Zukunft zuzutrauen. Hier scheint die Mitte des Evangeliums auf: die Verkündigung des Reiches Gottes.

    Was meint der Begriff „Reich Gottes“? Das griechische Verständnis dieses Terminus faßt einen Zustand, der in sich fertig und abgeschlossen ist; das aramäische Urwort „malkut Jahwe“ bezeichnet dagegen ein Geschehen und verweist auf eine Dynamik, die von Gott ausgeht: Gott, von dem her die Welt ist und auf den sie zugeht, verschließt sich nicht im „Ereignis“ seiner Herrschaft, in der Distanz der Erstursache gegenüber den Zweitursachen, welche dann unabhängig in ihrer eigenen Ordnung ruhen, sondern er bricht von der Peripherie her in die Mitte der menschlichen Verhältnisse ein. Gott ist Gott zu hundert Prozent; er begnügt sich nicht mit dem jeweiligen Rest des Lebens, an dessen Notausgängen er als Türhüter wartet. Gott bean- [7] sprucht das Zentrum: „Ein Gott und Vater aller, der über allem und durch alles und in allem ist“ (Eph 4,6): Einbruch Gottes in die Mitte des Lebens – das heißt „Herrschaft Gottes“. Es gilt, von ihm her zu denken und zu leben, auf ihn zu vertrauen und Wirtschaft so zu relativieren.

  3. Um des Reiches Gottes willen muß auch der Vorgang des Wirtschaftens zurückstehen. Ein Mann, der alle sozialen Gebote befolgt hat – von der zweiten Tafel der zehn Gebote ist hier die Rede –, fragt Jesus: „Was muß ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?“ (Mk 10,17) Und als er auf die Frage Jesu antwortet, daß er die Gebote befolgt hat, wird er mit der Aufforderung konfrontiert: „Geh, verkaufe, was du hast, gib das Geld den Armen (...) und folge mir nach!“ (Mk 10,21) Diese äußerste Forderung wird gewiß nicht jedem, dem Jesus begegnet, abverlangt, aber sie ist exemplarisch und prägt doch das christliche Selbstverständnis insgesamt. Paulus, der die Botschaft Jesu in die Zeit der Kirche übersetzt, fordert, daß der, welcher besitzt, so besitzen soll, als besäße er nicht (vgl. 1 Kor 4,7; 7,29; 2 Kor 6,10). Hier wird die notwendige innere Distanz zu dem, was der Christ tut, thematisch; in seinem Handeln geht es um die innere Bereitschaft, zu verlassen und sich auf den neuen absoluten Anspruch konkret einzulassen. Wer als Christ wirtschaftet, der wirtschaftet nicht dergestalt, daß er auf sein Christsein einige wirtschaftliche Zusätze montiert oder – umkehrt – sein wirtschaftliches Handeln mit christlichen Zusätzen schmückt, sondern der Christ lebt aus einer neuen Ordnung: Er bezieht seinen Standort in der neuen Ordnung des Reiches Gottes und geht von dort aus seinem wirtschaftlichen Handeln nach.

  4. In seinen Briefen an die Gemeinde in Thessaloniki fordert Paulus wiederholt, daß jeder seiner Arbeit nachgehen soll (vgl. 1 Thess 4,11; 2 Thess 3,10). Immer wieder wird die Notwendigkeit betont, sich in die Ordnung dieser Zeit einzufügen und die neue Ordnung des Reiches Gottes zu leben, ohne das vorwegzunehmen, was erst am Ende der Zeit kommen wird: Bringe Dich ein in die Gesellschaft, in der Du lebest! Der Ort, an dem es die Radikalität und Neuheit des Evangeliums zu bewähren gilt, ist inmitten dieser weit und ihren Ordnungen. Die Schwierigkeit der Herausforderung, den zugewiesenen Platz einzunehmen zwischen Wirtschaft in der immanenten Geschlossenheit ihrer Ordnung einerseits und der radikalen Forderung des Evangeliums, die weit über alle ethischen Forderungen eines wirtschaftlich guten Handeln hinausgeht, andererseits, ist evident. Die Frage, welche die Apostel stellten, wird ähnlich betroffen von uns gestellt werden müssen: „Wer kann dann noch gerettet werden?“ (Mk 10,26 parr)

    [8] Zu der leitenden Frage: Wie kann der Christ als Christ in der Ordnung der Wirtschaft stehen? möchte ich darum nun einige Gesichtspunkte nennen.