Institution: Geflohen und gesucht

Hingabe Jesu Christi*

Der reine Ursprung, Gott, der himmlische Vater, ist von „niemandem gesehen“ worden (Joh 1,18), „wohnt im unzugänglichen Licht“ (1 Tim 6,16). Um sich uns so hinzugeben, daß wir etwas vom Unfaßlichen fassen und im hingebenden Glauben „verstehen“ können (ein für Paulus wichtiger Begriff), muß sein Sohn menschliche „Gestalt“ annehmen, und zwar die „Gestalt eines dienenden Sklaven“ (morphē doulou), aber in der „gewöhnlichen Menschengestalt“ (schēma … hōs anthropos: Phil 2,7). Und durch eben diese unscheinbare Gestalt („Woher hat er das? … ist er nicht der Zimmermann?“ Mk 6,2f.) vollzieht der Vater das Unerhörte: das sich Herabneigen zur Welt, [130] zum letzten Sünder, das Hingeben des Teuersten, unsere „Aufnahme als Gotteskinder“, unsere Mit-„Geburt aus Gott“. Also ist die Gestalt Jesu von Nazareth eine Verhüllung des Einmaligen ins Gewöhnliche, eine Verarmung (kenōsis) und eben darin die Ermöglichung und Enthüllung dessen, der über jede Gestalt hinaus ist: des Vaters in seiner ewigen Liebe. Gestalt Jesu ist Unterbietung und Überbietung zugleich. Unterbietung: in Freiheit wird er „gehorsam bis zum Tod“ |(Phil 2,8)|, aber aufgrund des Gehorsams „dem Gesetz unterworfen“ (Gal 4,4), und da die Liebe des Vaters sich für ihn am Ölberg zum steinernen Gesetz verhärtet, weil der Sohn die Sünde für uns trägt, muß er „unter lautem Schreien und Tränen“ „den Gehorsam lernen“ (Hebr 5,7f.). Wie geht es zusammen, daß er in diesem Jammer die göttliche Hoheit behält und wiederum göttliche Autorität des Richtens und Sündenvergebens vereint mit der Demut, die nicht sich, sondern nur die Lehre, die Treue und Liebe des Vaters zur Erscheinung bringen will? Wer dieses Paradox Jesu, das zum Ärgernis ringsum wird, in den Evangelien nicht erkennt, wer ihm nicht naht, wie man dem Feuer naht, der hat sich ein Jesusbild zurechtgemacht, das in keiner Weise dem seiner ursprünglichen Gestalt entspricht. Jesus ist der freieste Mensch, indem er der gehorsamste ist; sich selbst hingeben und sich hingeben lassen ist in ihm dasselbe, und hier hat die kirchliche Lehre ihren Quellpunkt, daß der Heilige Geist zugleich vom Vater und vom Sohn ausgeht.

Wir ahnen vorweg, in welchem Sinn die Gestalt Jesu Urbild dessen sein wird, was in seiner Kirche, auch und gerade sofern sie vom Heiligen Geist erfüllt ist, Institution heißen muß. Seine letzte Selbsthingabe im letzten Geschehenlassen seines Hingegebenwerdens durch den Vater, ist, weil unüberholbar, end-gültig; aber wer sieht nicht, daß solches Hingegebensein kein Erstarren zu einem reglosen „lebenden Bild“ wird, sondern als end-zeitliche, überschwengliche End-Gestalt das unablässige Fließen ewigen Lebens in alle Zeit hinein ist?