Glaubwürdig die Botschaft Jesu Christi leben

Identifikation

Nun fragen wir uns in einem weiteren Schritt, wie denn diese Identifikation mit Jesus geht. Wir haben uns immer wieder mit dem Wort von der Teilidentifikation auseinanderzusetzen. Wir sagen oft: „Grundsätzlich bejahe ich Christus und Kirche, ich identifiziere mich irgendwie, aber nicht ganz.“ Dazu möchte ich zwei schockierende Dinge sagen.

Schock Nr. 1: Gott ist ein Gott der 100%. Ein Gott, der nur zu 50% Gott wäre, wäre kein Gott. Es gibt ein Wort des mittelalterlichen Denkers Bonaventura: „Wenn ich einen kleinen Berg allein tragen wollte, wäre er schwerer als ein großer Berg, der mir selber die Kraft gäbe, ihn zu tragen.“ Ich kann nicht Gott ertragen ohne Gott. Aber Gott selber ist ein Gott zu 100%. Ein „Vielleicht-Gott“, ein „Sektoren-Gott“, ein bißchen Gott, ein „Teilzeit-Gott“, das geht nicht. Ein Gott, der nicht mit allem zu tun hat, ist eine untragbare Last. Dies war auch für unsere evangelischen Glaubensbrüder vor 50 Jahren in Barmen einer der Einstiege. Die zweite These von Barmen sagt, daß Gott eben nicht nur der Herr über manche Teile unseres Lebens ist, sondern ein Gott über das ganze Leben. Wir müssen uns einfach sagen: wenn Glaube sich überhaupt „rentiert“, dann muß er schon total sein. Wenn Gott Gott ist, und wenn er wirklich in diesem Christus zu uns spricht, dann kann ich nicht sagen, „ein bißchen“, sondern dann muß ich mich ihm mit Haut und Haaren verschreiben, und dann kann ich keine Ausnahme machen. Also radikale Identifikation. Das ist der erste Schock.

[13] Aber, es gibt ein „aber“, einen zweiten Schock: Ich sage Ja. Das Ja ist ein ganzes Ja, weil ich mich ganz dem anvertraue, der der ganze Gott ist. Doch ich bin dieser gebrochene, ich bin dieser weghafte, ich bin dieser Stück um Stück sich selber erst findende und selbst verwirklichende Mensch. Ich kann nicht sagen: „Ich brauche oder kann jetzt erst soundsoviel.“ Ich kann nicht sagen: „Soweit gehe ich und weiter gehe ich nicht.“ Ich muß aber auf diesem Weg mich einbringen, mich lernen, mich erst annehmen, hingeben und so übernehmen. Das ist ein Prozeß. Nicht die Norm, nicht das Ja sind ermäßigbar. Wir können keine sozusagen „kleine Jugenddogmatik“ und „kleine Jugendmoral“ aufstellen, in der nur soundso viele Prozent des Ganzen gelten. Ich muß die Norm ernst nehmen – mich selber ernst nehmen in diesem Mich-hineingeben, in diesem Mich-hineinfügen und -hineinführen. Auf mein jeweiliges Ja kommt es an. Mein Ja muß mit mir wachsen und reifen. Mein ganzes Ja ist nicht immer schon ein voll ausgereiftes Ja, sondern ein reifendes Ja.

Dieser Prozeß des Reifens ist ebenso menschlich wie er auch große Schwierigkeiten bereitet. Einerseits kann es keine anteilige Sexualmoral geben nach dem Motto „Wenn die schon mal nicht mit mehreren schlafen, dann können wir schon zufrieden sein.“ Andererseits kann ich aber auch nicht andauernd nur mit der Hammerkeule der totalen Sexualmoral zuschlagen – vielmehr muß ich dieses Ganze, dieses unteilbare Ganze, Stück um Stück reifen lassen. Ich kann es nicht auf sich beruhen lassen, wenn ich nur einen Teil des Ganzen einsehe oder „verkrafte“, ich muß mich offenhalten aufs Ganze, ringen ums Ganze. Auch wenn ich jetzt nur dieses eine, brisante Beispiel gewählt habe, so verhält es sich doch mit dem Glauben so, mit der Weise, mit dem anderen zu teilen und mit der Arbeit umzugehen. Es ist mit allen Lebensbereichen so. Ich muß ein ganzes Ja sagen, aber dieses ganze Ja muß mit mir wachsen und reifen.

Wenn man nicht sofort zupackt und einschreitet, kann man gefragt werden: Glaubst du an das Ganze, hältst du daran fest? Jawohl, ich glaube. Ich halte daran fest, ich vertrete das Ganze, das Ganze ist verbindlich. Wenn ich einen Teil ausblende, wäre das unredlich. Wenn ich jedoch nicht die innere, die aktive, mitgehende Geduld habe, Geduld nicht als Laissez-faire, sondern Geduld als aktives Mitgehen, dann zerreiße ich andere und auch mich.

Die Radikalität der 100% und die Redlichkeit mich mit meinen Grenzen anzunehmen, immer neu anzufangen und Stück um Stück zu wachsen, diese beiden Dinge gehören zusammen. Für sie gibt es keine glatte Patentformel, die schon in sich volle Reife verspricht, dies ist ein Prozeß und dabei stoße und [14] ecke ich an. Das ist nicht erst heute so, das ist immer schon so und das wird auch so bleiben. Aber hier miteinander zu ringen und diese Spannung zu fühlen, darauf kommt es an. Hier sind wiederum diese drei Punkte entscheidend, die auch die innere Dynamik angeben: Annahme meiner selbst, Annahme der Menschen und auch Annahme der Norm; Hingabe, sich ins Spiel bringen, sich überschreiten, weitergeben, nicht stehenbleiben, nicht nur sagen, „ich kann nur so viel und dann Schluß“, sondern dieses Einüben ins Mehr; und darin die Übernahme von Verantwortung.