Christliche Spiritualität in einer pluralistischen Gesellschaft

Im Kontext des Pluralismus

In einer pluralistischen und nachpluralistischen Gesellschaft erfährt das Christliche besonders eindrucksvoll die [108] Unscheinbarkeit und Wehrlosigkeit des ins Fleisch gekommenen Wortes.

Christen sagen aus ihrem Glauben dazu ein Ja, und keineswegs bloß ein bedauerndes Ja, nicht mit Mitteln äußerer Macht ihre Wahrheit und ihre Werte zur Geltung zu bringen; ein Ja auch dazu, daß dem Staat Grenzen gesetzt sind, über letzte Wahrheiten und Werte von sich aus zu urteilen. Damit ist freilich eine Konkurrenzsituation verbunden, welche die Christen herausfordert, von sich selbst aus, in eigener Verantwortung das ins Spiel der Gesellschaft zu bringen, was sie aus ihrer Überzeugung heraus ins Spiel zu bringen haben. Die Weise, wie sie es tun, ist zuerst geprägt von jenem hörenden Annehmen und Ernstnehmen alles Menschlichen, wie es der Identifikation Gottes mit dem Menschen in der Fleischwerdung des Wortes entspricht. Mit solcher Identifikation ist freilich auch die Unterscheidung ins Eigene hinein gefordert, das als die helfende und wegweisende Alternative den Menschen nicht verschwiegen und verschleiert werden darf.

Das Ja zur eigenen Situation innerhalb des Pluralismus wird allerdings dort konzertiert von einem Nein, wo der Pluralismus zur Ideologie wird, wo insgeheim oder offen das Funktionieren und die Unverbindlichkeit zu letzten Maßstäben erhoben, ihrerseits als höchste Wahrheit absolut gesetzt werden.

Der Versuch nachpluralistischer Festschreibung eines bloß formalen Liberalitäts- oder Fortschrittsprinzips, das keine inhaltlichen Wertsetzungen für gesellschaftliches Handeln zuläßt und somit Glaube und Überzeugung allein in den privaten Raum verbannt, ruft Christen zum Widerspruch heraus. Widerspruch, zumindest Korrektur verlangt aber auch eine andere Spielart des Nachplura- [109] lismus: jene Innerlichkeit, die sich von Welt und Gesellschaft zurückzieht und ihren Nöten den Dienst tätiger Solidarität versagt. Christen erwarten nie das Heil von dieser Welt, Christen entziehen dieser Welt aber auch nie das dienende Interesse dessen, der Fleisch, der Welt geworden ist.