Theologie als Nachfolge

In der Spannung zwischen Glaube und Wissen

In dem soeben grob abgesteckten Rahmen lassen sich Bonaventura und im Verhältnis zu ihm Thomas von Aquin einordnen, die andere große Denkgestalt des 13. Jahrhunderts, die ihn an Bekanntheit und Wirkung übertrifft. Beide repräsentieren einen je eigenen Typ der Synthesis von Glaube und Denken, ein je eigenes Verständnis der Ordnung, die Gott, Welt und Mensch umspannt – dies freilich innerhalb des glaubenden Grundkonsenses und der umgreifenden Problemstellung des Mittelalters. [19] Blicken wir indessen zunächst nochmals auf unsere eigene Situation, auf den Ort der Theologie heute im Spannungsfeld Glaube – Denken, Glaube – Wissenschaft. Es geht uns heute um Ursprünglichkeit. Die Unverrechenbarkeit Gottes und des Evangeliums Jesu, die Originalität christlicher Existenz und Botschaft, ihr Ausweis aus sich selbst und allein sind einzig imstande, Christentum als Alternative glaubwürdig zu machen. Apologetik, die nur in der Defensive Einwände abschmettert und Vorzüge des Christentums gegen Nachteile anderer Positionen aufrechnet, weckt eher Verdacht als Überzeugung. Doch ist der Verdacht ein beinahe automatisches Vorzeichen, das der Fragende und Hörende heute vor das Angebot der christlichen Botschaft setzt. Der methodische Ansatz neuzeitlicher Wissenschaft ist Eliminierung der selbstverständlichen Prämisse Gott. Das bedeutet nicht ohne weiteres die Leugnung Gottes, sondern zielt auf die Emanzipation der weltlichen Sach- und menschlichen Lebensbereiche von einem systematischen Vorgriff, der die Autonomie des Welthaften verdeckt und die Energie für seine Erforschung und Gestaltung lähmt. Daß in solcher Emanzipation alles – latent oder mehr und mehr auch reflektiert – unter die neue Prämisse „Subjektivität“ tritt, bleibt freilich die Konsequenz. Und diese Konsequenz bestimmt unser Bewußtsein. Es ist von einem eigenen Rhythmus bestimmt, der uns als der Ausweis realer, objektiver Erkenntnis gilt: Der Mensch erstellt seinen Entwurf – dieser Entwurf wird am vorfindlichen Material verifiziert. Was sich diesem Rhythmus nicht fügt, das gerät unter Ideologieverdacht, das wird zumindest als bloße Hypothese oder gar als bloße Projektion eingestuft. So kommt der Anspruch des Christlichen ins Kreuzfeuer zweier einander widersprechender Postulate: Zum einen soll es sich als das Eigenständige, Ursprüngliche, Andersartige gegenüber den Verfügbarkeiten und Kontrollierbarkeiten der Erfahrungswelt erschließen, zum anderen soll es sich den Maximen jener wissenschaftlichen Verifikation beugen, welche die Verläßlichkeit dieser Erfahrungswelt garantieren. Wie wenig sich diese beiden Ansprüche auch miteinander zu [20] vertragen scheinen, sie signalisieren eine Spannung, die wesenhaft zur Sache des Glaubens gehört: Gottes Offenbarung, die Mensch- und Weltwerdung Gottes in Jesus Christus rücken das in den Horizont menschlichen Denkens und Erfahrens hinein, was aus diesem Horizont nicht herauszurechnen ist und was mit nichts anderem innerhalb dieses Horizontes zu vergleichen ist; und doch präsentieren sie sich in diesem Horizont, treten unter seine Bedingungen – das Unvergleichbare geht nur im Vergleich auf. Deshalb kann Glaube nicht Glaube bleiben, wenn er sich in Wissenschaftlichkeit erschöpft; er kann sich aber auch nicht in bloßer Dialektik aus aller Wissenschaftlichkeit draußen halten, sondern muß in ihr als ihr Anderes präsent und verstehbar werden.