Katholische Akademien

Innere Gestalt des Akademiegespräches

Das Gespräch über Fragen christlicher Gegenwart, das die Akademien suchen, steht notwendig unter dem Gesetz von Gegenwart überhaupt. Gegenwart gibt es eigentlich nicht, wo das Leben unbemerkt dahinfließt, wo es nur „weitergeht“: die Selbstverständlichkeit dessen, was war, und dessen, was kommt, läßt das Jetzt nicht als solches hervortreten, es ist aufgesogen in der bergenden Gleichmäßigkeit von Vergangenheit und Zukunft. Aber auch dort ist keine Gegenwart, wo es überhaupt nicht weitergeht, wo der Mensch nur ratlos zwischen unvereinbare Gegensätze gespannt bleibt und das Jetzt daher unerfüllt, weil unentschieden, verstreichen läßt. Gegenwart ist so immer in der Begegnung, in der Einung und Scheidung des sich selbst im Entscheid vollbringenden Menschen. Sie ist der „Schnittpunkt“ des Verschiedenen, das es zu übernehmen und zu ergreifen gilt, mit dem es übernehmenden und ergreifenden Dasein des Menschen, das geglückte „Zugleich“ des wollenden Ausgriffs mit seinem erfüllenden Gehalt.

Hier wird eine eigentümliche Gefahr der Akademiearbeit sichtbar. Wo sie sich in sich selbst verschließt, wo es beim bloßen „Gespräch über...“ bleibt, beim Nebeneinandersetzen von Meinungen und Standpunkten, ohne daß entscheidende Verwirklichung daraus wächst, droht das Fragen nach der gemäßen Gestalt christlicher Gegenwart diese gerade zu verfehlen. Doch wäre bei solchem „Ge- [404] spräch“ das Wesen des Gespräches gar nicht eingeholt; denn Gespräch läßt zwar immer frei, vergewaltigt oder zwingt seine Partner niemals, aber bringt aus ihrer Freiheit erst jene Einheit und Entschiedenheit hervor, die nicht blinde, im Grunde immer ungegenwärtige „Aktionsgemeinschaft“ bedeutet, sondern eben: Gegenwart – jene, die miteinander im Gespräch sind, werden einander gegenwärtig, und jedem von ihnen wird im Gespräch das, was er selber ist, denkt und will, durch die Verantwortung vor der Antwort des anderen gegenwärtig. So falsch also das Ausweichen vor der Entscheidung ins unverbindliche Scheingespräch ist, so gefährlich ist die Ungeduld mit dem Gespräch, das sein Ergebnis erst „zeitigt“ und sich nicht sofort in zahlhaft greifbare „Aktionen“ umsetzt.

Welches ist nun der „Schnittpunkt“, den das Akademiegespräch zu suchen hat, damit es wahrhaft der christlichen Gegenwart in unserer Welt diene? Er läßt sich dreifach bestimmen:

1. Schnittpunkt zwischen theologischer Aussage und unmittelbarer Sacherfahrung: Die Offenbarung und das natürliche Sittengesetz in ihrer Auslegung durch das Lehramt der Kirche sind für den Katholiken verbindliche Norm seines Handelns. Die Kenntnis der Norm ersetzt indessen nicht die Sachkenntnis; nur aus beiden zusammen kann die konkret richtige Entscheidung gefällt werden. Zwar liegt diese nie außerhalb des von den Prinzipien christlicher Sittlichkeit bestimmten Maßes; wie aber das Maß an die – zumal heute oft nicht selbstverständlich durchschaubare – Wirklichkeit welthafter Sachbereiche anzulegen, wie seine Weisung zu lesen sei, kann nur aus dem „Schnitt“ der theologisch-ethischen Aussage mit der Aussage der Sacherfahrung und des Sachwissens gewonnen werden, und dieser „Schnitt“ erfordert das Hören aufeinander; solches gegenseitige Hören aber heißt Gespräch.

2. Schnittpunkt zwischen der Sicht der Partner gleicher Fragestellungen und Aufgaben: Unsere Gesellschaft ist geprägt von einer vielfältigen Verflechtung der Funktionen und Interessen. Diese Verflechtung geschieht unmittelbar in der Teilung oder gegenseitigen Bezogenheit der Funktionen (z. B. Arbeitnehmer und Arbeitgeber, Eltern und Lehrer, Produzenten und Konsumenten), mittelbar in der Betroffenheit verschiedener, an sich getrennter Gruppen von denselben Fragen und Erscheinungen geistigen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, religiösen Lebens. Das Gespräch [405] der so aufeinander Verwiesenen außerhalb des „Funktionszusammenhanges“ ist die beinahe einzige Weise, der Sache und einander allseitig gerecht zu werden, christliches „Gliedsein“ zu verwirklichen.

3. Schnittpunkt zwischen Katholiken und Andersdenkenden: Es gehört zur christlichen Redlichkeit, die Gemeinschaft mit den Andersdenkenden am selben Werk der Welt und selben Leben der Gesellschaft nicht auf menschliche Achtung und Fairneß zu beschränken, sondern die Möglichkeiten der Einheit und Notwendigkeiten des Unterschiedes im gegenseitigen Verstehen, nicht im Verwischen der je eigenen Haltung und Meinung zu klären. Die Tatsache, daß das gemeinsame Menschsein alle in den Schöpfungsauftrag „Macht euch die Erde Untertan!“ einbezieht, soll auch innerhalb der Kirche am gemäßen Ort zur Geltung kommen. Nicht obgleich ich Christ bin, sondern weil ich Christ bin, habe ich deinem sachlichen Wort zu den Sachen unseres gemeinsamen Lebens in der Welt in meinem eigenen sachlichen Urteil Rechnung zu tragen, und weil dieses sachliche Urteil meinen christlichen Entscheid mitbestimmt, braucht das Gespräch mit dir keinen nur „neutralen“ Boden, du bist mir auch bei mir selbst willkommen. Gespräch der Katholischen Akademien, an dem sich Andersdenkende beteiligen, bleibt Gespräch in der Kirche; denn der katholische Partner stellt nicht die Grundlagen seiner Kirche in Frage, wohl aber deren Auswirkungen und Anwendungen, sie bleiben im Gespräch gerade das von ihm Bekannte, sollen in ihm „gegenwärtig“ werden in der Welt und für die Welt.