Institution: Geflohen und gesucht
Institutionalisierung der Freiheit*
Man muß eine dritte Abart der Zentrierung auf die Subjektivität erwähnen. Wenn in der ersten die Freiheit Ausbruch aus der Institution ist, in der zweiten Funktionalisierung der Objektwelt zugunsten der Freiwerdung des Subjekts, so muß es dem Subjekt zuletzt einfallen, den Ausbruch in die Freiheit selbst – die „Flucht nach vorn“, wie man vorgestern gesagt hat – in den Griff zu bekommen und zu institutionalisieren. Im biblischen Raum Alten und Neuen Testaments ist die vollendete Freiheit die unverfügbare Verheißung; christlich haben wir insoweit heute schon Anteil daran, als wir das „Unterpfand des Geistes“ |(2 Kor 1,22)| besitzen, das aber keiner sich selbst geben kann: die Herabkunft des erfüllenden Geistes ist in allen Schritten auf das Endgültige zu unverfügbar. Aber das moderne Subjekt plant seine eigene Geistwerdung, organisiert sie Schritt für Schritt: zeitlos bei Hegel, zukunftsgerichtet bei Marx. Die Distanz zwischen der Ursprungsgestalt (Christus) und der Kirchengestalt ist im alles in sich absorbierenden Geist aufgehoben. Wenn die zweite Spielform einer nestorianischen Christologie entsprach (über einer perfekt funktionierenden Menschheit existiert ein damit unvermischter göttlicher Geist), so bildet diese dritte Spielform die Zerrform einer monophysischen Christologie: alles Weltliche, Gestalthafte, Institutionelle wird in den einen sich selbst durchsetzenden freien Geist hinein verflüssigt, damit aber auch die Freiheit unweigerlich logisiert.
Die Macht dieser vielköpfigen Hydra des absoluten Subjekts ist ungeheuer. Wer als Theologe oder denkender Christ sich positiv mit ihm einläßt, um [136] aus seinen Sichten für den Glauben zu profitieren, ist verloren, falls er nicht sogleich an der Basis zu unterscheiden weiß. Der praktische Erfolg dieser Weltschau, die Unumkehrbarkeit der Entwicklung, in die sie die gesamte Menschheit hineingerissen hat, läßt sehr viele Christen ratlos der Zukunft entgegensehen. Aber es gibt einen genau angebbaren Punkt, an dem sich die beiden Wege gabeln. Beide sind ihrer Grundabsicht nach universal, „katholisch“. Aber in der Katholizität des absoluten Subjekts erschafft dieses selbst seine Freiheit, und sofern diese noch aussteht, ist die Freiheitsgeschichte der Menschheit die eines Kollektivs, das sich allmählich seiner Fesseln entledigt, um einmal, endzeitlich, Geist geworden zu sein. In der Katholizität Christi und seiner Kirche ist jeder Einzelne personal katholisch, sofern er, durch die Gestalt der Kirche hindurch, sich dem Wirken des Geistes preisgibt und damit effektiv, wirksam Anteil erhält an der Gesamterlösung der Welt. Christlich gesehen wird die Welt nicht durch einen abstrakten Christus allein, sondern durch Christus in seiner Preisgabe an seine Kirche, und durch sie und mit ihr an die Welt im ganzen, erlöst. Im Geheimnis der Gemeinschaft der Heiligen liegt das tiefere, wahrere Äquivalent des sozialistischen Kollektivs.