Volk Gottes auf dem Weg

Institutionelles notwendig, aber vorläufig

Das sagt für die Kirche als Institution Entscheidendes: Die Strukturen, Festlegungen, ordnenden und gliedernden Elemente gehören zur Kirche; denn nicht das Reich Gottes, sondern die Anwesenheit dieses Reiches in der Gestalt der Hoffnung, also der Vorläufigkeit, macht das Wesen der Kirche aus. Das „Mittelbare“ das jeder end­lich fixierten Struktur anhaftet, hat aber in der Kirche keinen Selbst­zweck, es ist nur das „Vermittelnde“. Das Institutionelle ist nicht der Platz, auf dem das Reich Gottes steht, sondern Struktur des Weges, auf dem wir ihm entgegengehen. Zu diesem Entgegengeben gehört der Weg und seine Struktur, sein Halt, seine Grenzen und seine Festigkeit; aber es gehört eben auch das Gehen selbst hinzu. Der Weg, der nicht gegangen wird, nützt nichts, das Gehen, das es ohne Weg versucht, verfängt sich im Dickicht oder versinkt in der Bodenlosigkeit.

Der Sinn aller kirchlichen Strukturen ist also nicht, daß sie bleiben, sondern daß sie überholt werden von ihrem Ziel, von der offenbaren Unmittelbarkeit des Lebens in Gott und mit Gott. Dies gilt von allen Strukturen in der Kirche, nicht nur vom Amt; es gilt ebenso und noch mehr von den Ausformungen des gesellschaftlichen Lebens in der Kirche, in welchen die Teilnahme aller Glieder des Volkes Gottes am Zeichencharakter und somit an der Wirk­samkeit der Kirche in der Welt Anteil gewinnt. Leicht laufen wir [23] Gefahr, die Relativität der amtlichen Strukturen zu betonen durch eine Absolutsetzung jener anderen Strukturen, die Recht und Be­teiligung aller an der Sendung der Kirche heute sichern sollen und müssen.

Ist damit also gesagt, das Amt sei derselben geschichtlichen Wan­delbarkeit unterworfen wie alle gestalthaften, strukturellen Elemente in der Kirche? Nein und ja. Nein; denn der Sinn des Amtes ist gerade die Kontinuität des Weges, der Rückblick auf den Ursprung als Vorblick auf das Ziel, der Dienst an der Einheit aller, nicht nur aller, die jetzt zur Kirche gehören, sondern aller, die durch die Geschichte hin das pilgernde Gottesvolk der Kirche sind. Das Amt hat grundsätzlich also eine stabilisierende und somit selbst stabile Funktion. Und doch genügt diese Antwort allein nicht. Denn auch das Amt, dessen Wesen unverfügbare Sendung, Fortführung des im Apostelamt grundgelegten Dienstes an der Einheit der Kirche ist, hat in der Weise seiner Ausübung Anteil an dem „Übersetzungscharakter“ der Kirche und ihres Wortes, von welchem die Rede war. Im Amt muß das Unveräußerliche und Unveränderliche einend dem nahe bleiben, was in ihm eins sein soll. Diese Nähe aber erfordert einen je neuen „Stil“, eine je neue Verständlichkeit für jede Zeit.

Diese Aussage wäre mißverstanden, wollte man sie als die Forde­rung deuten, die Ausübung des Amtes müsse in der Kirche den zeitgeschichtlich jeweils gängigen Modellen staatlicher Machtausübung angepaßt werden. Vielmehr muß in zeitgeschichtlich je neuer Weise deutlich werden, daß das kirchliche Amt von seinem Wesen her etwas anderes ist als politische Herrschaft. Der Dienst an der Hoffnung, die Hoffnung auf den Einen und Hoffnung für alle ist, muß als die vom Herrn und seinem Geist dem Amt übertragene Aufgabe in immer neuer Übersetzung sichtbar werden. Auch vom kirchlichen Amt gilt also, was wir bereits vom Wort der Botschaft sahen: Bleiben und Wandel liegen nicht nebeneinander, sondern aneinander und ineinander.