Wegmarken der Einheit
Jesu Geheimnis: Geheimnis der Einheit
Noch tiefer als die Predigt Jesu und sein Wirken führt uns das Geheimnis seiner Person zur Erkenntnis: Gottes Geschichte mit der Menschheit ist Geschichte der Einheit.
Gerade dort, wo Jesus den Geist des Dienens als seinen Geist den Jüngern deutlich macht, spricht er vom Geheimnis seines Leidens und deutet es durch den Rückbezug auf das vierte Gottesknechtslied des Deuterojesaja (Mk 10,45; Jes 53,10–12): Jesu Dienst ist Hingabe des Lebens als Lösegeld für die Vielen. Die Abendmahlsberichte in den Evangelien und bei Paulus, die gesamte Botschaft des Apostels Paulus vom Tod Christi, die johanneische Sicht des Kreuzes laufen darauf hinaus: Jesu Tod ist die Begründung des neuen Gottesvolkes, ja der neuen Menschheit dadurch, daß Jesus in Gehorsam gegen den Vater die Last aller Menschen, die Schuld der gesamten Menschheit trägt und sühnt. Im Lied der 24 Ältesten vor dem Lamm in der Offenbarung des Johannes wird die zum Tod und zur Auferstehung Jesu hinlaufende Linie der Heilsgeschichte zusammengefaßt [24] und an den Ausgangspunkt unserer Betrachtungen beim Bundesangebot Gottes vor Mose zurückgebunden: „Würdig bist du, das Buch zu nehmen und seine Siegel zu öffnen; denn du wurdest geschlachtet und hast mit deinem Blut Menschen für Gott erworben aus allen Stämmen und Sprachen, aus allen Nationen und Völkern, und du hast sie für unseren Gott zu Königen und zu Priestern gemacht; und sie werden auf der Erde herrschen“ (Offb 5,9f).
In seinem Tod ist Jesus den Tod aller Menschen gestorben, in ihm, dem Gekreuzigten und Auferweckten, begegnen wir Gott, begegnen wir uns selbst und zugleich allen Menschen. Denn aller Schicksal hat er gewissermaßen zu seinem eigenen gemacht, wie das Zweite Vatikanische Konzil es ausdrückt (GS 22). Die Menschheitsgeschichte ist nicht zerstreut in soundso viele sich teilweise überschneidende Kreise der Erinnerung, die insgesamt doch auseinanderbrechen; es gibt eine Einheit dieser Menschheitsgeschichte: im Gekreuzigten, der diese ganze Geschichte in sich hineingenommen hat. Und diese Einheit bleibt lebendig; denn der Gekreuzigte und Verlassene nimmt sie hinein in seine Auferstehung, in sein ewiges Leben beim Vater. Jesus ist die Geschichte Gottes mit den Menschen, er ist die Einheit aller Menschen mit Gott und miteinander. In Jesus erfüllt und überbietet sich, was das Wort aus dem ersten Gottesknechtslied des Deuterojesaja andeutet: Gott ruft ihn, „der Bund für mein Volk und das Licht für die Völker zu sein“ (Jes 42,6b).
Jesus ist nicht nur ein Mensch, von Gott dazu gerufen, die Last der anderen zu tragen, sondern in ihm hat Gott selber sich aufgemacht, Einkehr zu halten in unser Menschsein, Mensch zu werden und in seinem angenommenen Menschsein unser aller Menschsein zu übernehmen. Wahrhaft, er ist der Bund zwischen Gott und den Menschen und der Bund zwischen allen Menschen in seiner Person. So versteht es auch bereits Paulus, der immer wieder davon spricht, daß Gott seinen [25] Sohn, daß sich für uns der Sohn Gottes selber hingegeben hat (Röm 8,32; 5,8; Gal 2,20).
Dann aber bekommt unsere These eine neue Tiefe und einen neuen Ernst: Die Geschichte Gottes mit der Menschheit, die Geschichte der Einheit gehört durch Jesus Christus hinein ins inwendige Leben Gottes selbst.