Das Wort für uns

Jesu neue Dimension

Die österliche Begegnung mit Jesus ist neue, andere Begegnung. Er ist derselbe. Er bringt nicht nur etwas von sich, sondern sich selbst, seine Leibhaftigkeit, sein ganzes Dasein in diese Begegnung ein. Aber er selbst steht in einer neuen Dimension.

Bleiben wir bei diesem Bild von der Dimension. Sowenig wie aus einer Linie, indem ich sie weiterziehe, eine Fläche wird oder aus der Fläche allein der Durchstoß gelingt in den Raum, so wenig bedeuten Auferstehung und auferstandenes Leben Jesu bloß ein Weiterlaufen seines Lebens oder seines Werkes über seinen Tod hinaus. [36] Von oben, von anderswoher bricht auf einmal das Neue, das Andere ein.

Wir finden in der Schrift ein Schlüsselwort für diese neue Dimension, das Wort Herrlichkeit. Diese Herrlichkeit ist nicht ein rauschendes Finale, nicht ein alles überblendender Lichteffekt. Sie ist vielmehr das Eigenste und Innerste Gottes selbst, jene Kraft Gottes, in welcher sein Wesen durchbricht über sich hinaus, aufstrahlt über sich hinaus.

Und nun geschieht in Jesus eben dies: die Herrlichkeit Gottes wird zu seiner Herrlichkeit. Das Eigenste Gottes wird offenbar als das Eigenste Jesu. Indem aber Jesus in der Herrlichkeit Gottes steht, fällt diese Herrlichkeit Gottes auf unsere Wirklichkeit, auf das, was wir sind, in der Sprache der Schrift: auf unser Fleisch.

Daher ist die österliche Herrlichkeit Aussage über Gott, Aussage über Jesus und Aussage über uns. Über Gott ist gesagt, er ist so groß, daß er über sich hinausstrahlt, daß er sein Innerstes und sein Eigenstes über sich hinausgibt, daß er sich seinem anderen gönnt. Über Jesus ist gesagt, daß er in der Sphäre Gottes innesteht, daß er zu Gott hinzugehört, daß er im Herzen Gottes seinen Ur- [37]sprung und sein Ziel, seinen Ort in alle Ewigkeit hat. Und über uns ist gesagt, daß Menschsein dazu bestimmt ist, an der Herrlichkeit Gottes in Jesus teilzuhaben, daß der Mensch zum Bild Gottes, ja nicht nur zu seinem Bild, sondern zur innigsten Gemeinschaft mit ihm erschaffen ist. Aus der neuen Perspektive der Herrlichkeit sieht sich auch das Leben Jesu insgesamt neu und anders an. Die Biographie Jesu, wenn wir so sagen dürfen, lautet nun nicht mehr: Da ist einer geboren worden, hat Ungewöhnliches gesagt und getan, dann ist er gestorben, aber dann ist es dennoch weitergegangen mit ihm. Nein, in diesem neuen Licht heißt die Biographie Jesu: „Das Wort ist Fleisch geworden. Es hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen“ (Joh 1,14). Das Wort, das bei Gott und das Gott selber ist, kommt in unser Fleisch, es wird unser Fleisch. Und es schlägt sein Zelt, seine Wohnung unter uns auf. Hier lebt es in unserer Mitte, hier teilt es unser Leben, ist ganz und gar einer von uns und bringt in unser Leben das Leben Gottes selber ein. Das fleischgewordene Wort verschenkt sich an uns, verschenkt sein eigenes Leben an uns bis zum Tod.

[38] Doch gerade indem dieses fleischgewordene Wort sich ganz und gar hineinstellt in unser Geschick, bis zum Verstummen des Todes und bis zur äußersten Fraglichkeit, bricht seine Herrlichkeit, die Herrlichkeit Gottes auf, die Macht Gottes, die dieses Wort als sein Wort bestätigt und die zugleich alles, auch das Rätselhafte und auch das Schweigen, das Unverständliche in unserem Leben, im Leben der Welt einholt, hineinholt in das Wort und in seine Herrlichkeit.