Glauben – wie geht das?

Jesus in der Kirche finden, in Jesus zur Kirche finden

Es macht betroffen, welche Fülle sich uns aufschließt, wenn wir Neues Testament daraufhin lesen, wie in ihm Kirche begegnet, Kirche als Weg und Ort der Begegnung mit Jesus, als Weg und Ort seines Wirkens in der Welt. Was wir zusammenfaßten, nochmals zusammenzufassen, wäre müßig. Nur eines soll noch geschehen: Wir wollen ein paar wichtige Begegnungspunkte mit dem Herrn in seiner Kirche notieren. Vielleicht fällt es uns so leichter, diese Punkte nicht zu überfahren im Alltag mit all seiner Weltlichkeit und vielleicht auch mit all seiner Kirchlichkeit.

a) Fangen wir mit etwas Erstaunlichem an: Jesus in mir begegnen. Durch den Glauben, durch die Taufe, durch die Eucharistie, durch seine Gnade, durch die Gabe des Geistes, die er mir verliehen hat, ist er in mir wirksam, wohnt er in mir. Ich soll in mir auf seine Stimme hören. Ja, auf seine Stimme. Nicht an den Heiligen Geist appellierend, den ich empfangen habe, meine eigenen Meinungen selbstbewußter und unbesorgter vertreten, sondern umgekehrt vor meinem Reden und Tun auf die mir geschenkte Nähe des Herrn achten, in ihrem inneren Licht die Dinge, die Erfahrungen, die Meinungen – gerade auch die eigenen – überprüfen. Wenn ich nicht dem Herrn und seinem Geist in mir Raum lasse, dann kann er an einer Stelle der Kirche weniger deutlich und weniger kraftvoll wirken. Wie Kirche lebt und ist hängt davon ab, wieviel Raum ich Christus in mir gebe. Und wenn ich ihn verloren habe oder zu verlieren drohe: warum schlage ich nicht so schnell wie möglich den Weg ein, ihn zurückholen?

b) Jesus in jedem Bruder begegnen. Was wir dem Geringsten der Brüder getan haben, das haben wir ihm getan. Dieses Wort gilt [130] nicht allein für jene, die lebendige Glieder an seinem Leib sind, in denen er ungehindert wirken und sprechen kann. Die gegenseitige Liebe, deren Zeugniskraft bei Johannes im Vordergrund steht, drängt von innen her zur Universalität, sie will Liebe zu allen werden (vgl. 1 Thess 3,12; 1 Kor 9,19–22). Kirche leben heißt jene Liebe, die Gott in Jesus zu allen hat, nach innen und nach außen sichtbar machen, ihr Ort, ihre Gegenwart sein. Und darum eben auch: jeden mit den Augen Gottes sehen, der in jedem seinen Sohn sieht, weil an jedem das Blut seines Sohnes hängt.

c) Jesus in seinem Wort finden. Immer wieder stoßen wir auf dieses selbe: im Wort Jesu und im Wort von ihm mit ihm selber leben. Wenn uns die Kirche in der Liturgie das Evangelium verkündet, dann sagt sie uns in unsere eigenen Lebenssituationen den gegenwärtigen, erhöhten Herrn zu. Kirche will der Leib dieses Wortes, die Inkarnation dieses Wortes, die „Lesbarkeit“ und Verständigkeit dieses Wortes für die Menschen heute sein. Sie kann es nur werden, wenn wir mit diesem Wort leben. Ist es nicht so mit der Lebendigkeit der Kirche in allen Jahrhunderten gegangen? Menschen haben sich dem Wort geöffnet und haben dadurch eine neue Perspektive, eine neue Bahn von Nachfolge erschlossen, und auf dieser Bahn hat das Wort neu hineingefunden in die verschiedenen Kulturen und Erfahrungshorizonte der Menschheit. So wie ein Glied dem anderen seinen Dienst, seine Gabe schenkt im Fürsein aller für alle, so schenken wir auch einander und darin der Welt das gelebte Wort. Und wenn wir den Eindruck haben, in der Vermittlung durch die Kirche werde das Wort mehr verdeckt als verständlich gemacht, dann liegt es an uns, hindurchzuhören auf ihn, nicht zu leben mit etwas von ihm, sondern mit ihm selbst in seinem Wort – und nur im Kontakt von ihm in uns zu ihm in seinem Wort wird die Gestalt des Lebens und der Verkündigung in der Kirche, die Gestalt der Kirche selber transparent werden für ihn.

d) Jesus im Sakrament finden. Jesus hat sich ganz gegeben – und daß diese Gabe ankommt, daß sie nicht verschlungen wird von der Ohnmacht des Menschen gegenüber der Zeit, ist Zeichen der anbrechenden Gottesherrschaft. Sakrament heißt: was Gott uns in Je- [131] sus zuwendet, das kommt bei uns an. Es kommt an über unser Vermögen, über unsere Offenheit, über unsere Würdigkeit hinaus. Aber der Überschuß des Sakramentes wird eben nur in dem Ausmaß wirksam, als wir uns diesem Überschuß hinhalten, ihn in uns aufgehen lassen. Und so heißt es, ihn selber suchen in allen seinen Sakramenten, ihn als den, der sie und sich in ihnen schenkt. Er tut es am dichtesten in der Eucharistie, die wahrhaft die Herzmitte des Lebens der Kirche ist.

Es ist gut, daß wir aus der Engführung einer bloß individuellen Kommunionfrömmigkeit herausgekommen sind und hingefunden haben zu der Fülle der Eucharistie. Es ist gut, daß wir uns selbst, die Kirche als lebendige Gemeinschaft, als lebendigen Leib des Herrn in ihr finden. Aber es wäre fatal, wenn Eucharistie nur die Feier unserer selbst würde und wir vergäßen, daß sie nur deswegen uns eint, zum einen Leib werden läßt, weil in ihr sich uns der Herr selbst, unmittelbar und ganz gibt. Er nimmt uns hinein in seine Hingabe an den Vater, in ihr sind wir schon dort „angekommen“, wohin wir doch noch unterwegs sind. In ihr ist aber auch er angekommen bei uns, ist seine österliche Wirklichkeit, sein auferstandenes, unsterbliches Leben angekommen in unserer Sterblichkeit und Vergänglichkeit. Ostern ist der Schnittpunkt der Ordnungen: In unserer Welt des Vergehens, des Abschieds, des Sterbens ist der Auferstandene, der Anfang der neuen Schöpfung, des neuen Kosmos da. In ihr ist der da, welcher das innerste Geheimnis meines und deines und jeden Lebens ist. Und so geschieht hier jene Einheit, die wir aus uns nie machen und erreichen können. Wir werden sein einer Leib. Mit dem ich in der Eucharistie verbunden bin, mit dem vereint mich ein Band des Friedens, das nicht von dieser Welt ist. So miteinander Leib des Herrn werdend, werden auch wir Brot für die Welt, Eucharistie für die anderen. Wir werden auf jenen österlichen Weg der Passion geschickt, deren Gewinn Verlust, deren Gewinn und Verlust aber heißen: sich geben, wie er sich gegeben hat.

e) Jesus im Amt seiner Kirche finden. Wie ihn der Vater gesandt hat, so hat er Menschen gesandt. Wer seine Gesandten hört, der hört ihn (vgl. Lk 10,16). Er selbst will bei seiner Kirche bleiben, und [132] dazu gehört auch, daß er die Zeugen seiner Auferstehung sendet und sie ihre Sendung, seine Sendung, in seinem Namen weitergeben. Die großen Heiligen haben es immer gewußt, und ihr Wissen war alles eher als bequem für die „betroffenen“ Päpste, Bischöfe und Priester: Der Herr selber ist da, spricht, handelt in denen, die er sendet. Wer nicht erschrickt vor solcher Nähe des Herrn, die er durch seine Gesandten in die Kirche hineingibt, der verkennt den Ernst der Inkarnation. Wer sich auf seiner eigenen Sendung in behäbiger Sicherheit ausruht, hat sie ebensowenig verstanden. Sendung kann den, der sie trägt, im Grunde nur klein und demütig machen. Sie will ihn auch dafür öffnen, überall und gerade im Unscheinbarsten und Geringsten auf den Geist des Herrn und auf seine Stimme zu hören. Ausweichen vor der Sendung ist genauso verkehrt wie Verbrämen des eigenen Willens mit der Sendung, in welcher sich der Herr uns ausliefert.

f) Und noch einmal: Jesus finden in unserer Mitte. Wo Christen beieinander sind, da soll er in der Mitte sein können. Wo wir miteinander sprechen, miteinander beten, miteinander planen und agieren, da ist Raum, in dem Jesus leben, dasein, sich der Welt bezeugen will. Mit dem Wort des hl. Bonaventura gesagt: „Wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind, da ist Kirche.“

Glaube geht, Leben mit der Kirche geht in dem Maße, in dem wir an diesen „Kontaktstellen“ auf den Herrn zugehen. Wir haben in unseren Hinweisen auf mehr gedeutet als nur auf das, was wir unmittelbar aus den Grundentwürfen des Neuen Testamentes erheben konnten. Die theologische Vermittlung wäre eine weiterreichende Aufgabe über den Rahmen dieser unserer Besinnung hinaus. Die „Logik“ der neutestamentlichen Grundentwürfe führt den, der sich auf sie einläßt, indessen bereits unmittelbar zu den von uns bezeichneten Kontaktstellen hin – und erschließt noch weitere Perspektiven. Wer etwa die Spannweite von Kirche nach dem Matthäusevangelium ermißt, der wird einen neuen Zugang auch zu etwas wie der Stellung des Papstes innerhalb der katholischen Dogmatik finden. Diese Stellung wird ihm nicht mehr Rechthaberei, sondern Chance [133] bedeuten, radikaler, unmittelbarer mit dem Herrn in seiner Kirche zu leben. Freilich, er wird erkennen, daß dieselbe Dynamik, die hierhin führt, zum Herrn im Geringsten der Brüder, im Unscheinbarsten und Entferntesten, in dem hindrängt, der am meisten „am Rande“ steht.