Wegmarken der Einheit

Jesus in der Mitte und Jesus im geistlichen Amt

Für den, der in die Welt von heute hineinschaut, kann es eigentlich kein Zweifel sein: Jesus in der Mitte ist das Zeugnis, auf das die Menschheit wartet, die um ihre Einheit ringt. Nur er in unserer Mitte kann die Welt überzeugen. Das ist Herausforderung, aber auch Chance für uns Bischöfe in der Kirche. Wir haben für die anderen und füreinander die radikale Liebe Jesu zu leben, die Ausgangspunkt, Kraft, Inhalt und Ziel unserer Sendung ist. Und in dieser Liebe zu allen und zueinander werden wir jene Struktur dreifaltigen Lebens zum Rhythmus unseres eigenen Daseins werden lassen: Einheit mit dem Papst und Einheit miteinander, bis wir ganz verzehrt sind in diese doppelte und doch eine Einheit hinein. Papst Paul VI. sagte einmal in einer Homilie zu einer Bischofsweihe: „Wer sind die Freunde eines Bischofs? (…) Die erste Kategorie ist jene der Bischöfe selbst …, denen, in der Person der Apostel, mit Vorzug das Neue Gebot gegeben wurde, nämlich sich [111] gegenseitig zu lieben.“ (Insegnamenti di Paolo VI., Poliglotta Vaticana, 1975, XII, S. 623–624). Johannes Paul II. spricht seit der ersten Stunde seines Dienstes mit Vorliebe von „effektiver und affektiver Kollegialität“.

Also: Wenn wir die Kollegialität miteinander leben und darin zugleich die Einheit mit dem Papst leben, dann können wir gar nicht anders leben als so, daß Jesus in unserer Mitte ist. Und dann wird unser oft so schwer verständlich erscheinender Dienst als Bischöfe, der vielen zur Barriere für den Glauben zu werden droht, genau zu jenem Zeugnis, das die Menschen anzieht. Wenn wir einander so begegnen, daß wirklich Jesus in unserer Mitte ist, dann wird sowohl die Kollegialität der Bischöfe wie die Vollmacht des einzelnen Bischofs wie vor allen Dingen die Autorität des Papstes wiederum auf Verständnis stoßen, wiederum Leuchtkraft für die Welt haben. An unserer Entschiedenheit, mit Jesus in der Mitte zu leben, wird es hängen, ob der Dienst und die Vollmacht kirchlichen Amtes und seiner Strukturen als fremde und dem Evangelium ferne Institution den Menschen Glaubenshindernis werden oder aber genau die Brücke, auf der Jesus aus unserer Mitte in die Mitte der vielen kommen und dort sein Licht anzünden kann.

Abschließend möchte ich daraus einige Folgerungen ziehen, indem ich uns fünffach Mut zuspreche:

Mut zu Jesu Dienst. Seine Liebe ist der Grund unserer Sendung, seine Liebe ist es, die uns, armselige Menschen also, aussuchte, damit wir Christus in die Welt hineintragen als den Weg, die Wahrheit und das Leben (vgl. Joh 14,6). So wie er Gott, seinen Vater, gegenwärtig gesetzt hat, indem er seine dienende Liebe uns darstellte und sie bis zum Äußersten, bis zur Fußwaschung und bis zur Verlassenheit am Kreuz, für uns gelebt hat, alle unsere Lasten tragend, so sollen wir ihn gegenwärtig setzen, indem wir seine Vollmacht glaubhaft machen als Dienst, als selbstloses Dasein für die anderen, als Bereitschaft, wie der Herr selbst auf dem letzten Platz zu stehen.

[112] Mut zur Vollmacht. Der Mut zur dienenden Liebe heißt für uns allerdings zugleich eben Mut dazu, uns nicht dafür zu entschuldigen und uns dem nicht zu entziehen, daß wir gesendet sind. Wo wir uns zurückziehen wollen von unserer Verantwortung, wo wir nur das sagen wollen, was allen gefällt und was auch die anderen sagen und tun, werden wir dem Herrn untreu. Er hat das Licht gebracht, er hat das Leben gebracht – und wir dürfen sein Licht und sein Leben nicht im Verborgenen halten. Sicher ziemt es uns, gerade uns, auf das zu hören, was der Geist in den Gemeinden und in den Charismen der Kirche, was er auch in den Geringsten und Unscheinbarsten unserer Brüder, was er sogar in denen sagt, die am Rande und draußen stehen. Aber indem wir uns demütig hörend unter das Wort der anderen beugen, müssen wir zugleich den Mut zum Wort und zum Handeln aus seinem Geist finden. Vollmacht gehört zur Liebe. Viele sind enttäuscht, daß man sie der Führung und Orientierung entblößt, daß man sich nicht die Mühe macht, auch gegen ihren Widerstand oder ihr Unverständnis ihnen den Weg zu zeigen. So wahr wie es ist, daß unsere Vollmacht Dienst ist, so wahr ist es auch, daß unser Dienst die Vollmacht, der Dienst des Einens und Leitens in der Kirche ist.

Mut zum Gehorsam. Uns soll nicht nur gehorcht werden – wie schwer fällt es uns oft, den nötigen Gehorsam zu verlangen „, sondern wir sind gerufen, selber zu gehorchen. Vertrauen wir auf die Gabe des Geistes, die dem Papst geschenkt ist und die in der Einheit mit ihm und miteinander lebt. Springen wir über alle Vorurteile und Reserven hinweg, damit durch unseren Gehorsam, durch unser lauteres und vorbehaltloses Hinhören das an Licht aus dem Nachfolger Petri auszustrahlen vermag, was der Herr ihm für die Kirche schenken will. Wenn unser Gehorsam der Resonanzboden für sein Wort ist, dann kann die Einheit in der Kirche wachsen, und dann kann auch unser Wort Widerhall und Gehör finden. Ohne solchen Gehorsam lebten wir nicht das tiefste Geheimnis der [113] Einheit des Sohnes mit dem Vater. Trachten wir danach, daß der bloße Gehorsam immer mehr zur vollkommenen Einheit, zum wirklichen Einklang des Denkens und Fühlens wächst.

Mut zur communio. Wir sind gerufen, die communio, ein jeder in seiner Teilkirche, ein jeder aber auch in der Gesamtkirche, zwischen unseren Teilkirchen, aufzubauen und zu tragen. Wir können nicht diese communio inspirieren, wenn nicht wir zuerst diese communio miteinander leben. Dein Bistum ist mein Bistum, deine Sorgen sind meine Sorgen, und auch umgekehrt: Mein Bistum ist das deine, und ich vertraue dir das an, was ich an Gaben, Gütern und Sorgen in mir trage. Nur wenn Kollegialität über das offizielle und amtliche Maß hinauswächst und in alle Lebensbereiche hineinwächst, flechten wir jenes Netz der Einheit, das Kirche und Welt heute dringender denn je brauchen. In unserer Kollegialität miteinander sollen wir das Ferment der Einheit in Welt und Kirche sein.

Mut zu Jesus in unserer Mitte. Es soll nicht nur die Erfahrung gemeinsamer Stunden und Tage, sondern es soll die Erfahrung unseres Alltags werden, daß wir durch die Verbindung miteinander, durch das Denken aneinander, durch die täglich erneuerte Bereitschaft füreinander Jesus auch über äußere Entfernungen hinweg in unserer Mitte halten. Er wird das Zeugnis und die Kraft unseres Dienstes sein. Mein Wort und Wirken sollen nicht nur die meinen sein, sondern Ausdruck des Herrn, der in unserer Mitte lebt. Eine solche Gesinnung darf sich aber nicht auf den Kreis derer beschränken, die sich gut verstehen. Es muß unsere Leidenschaft sein, jede Gelegenheit zu ergreifen, damit mit den Bischöfen im benachbarten Bistum und in derselben Bischofskonferenz, aber auch mit jedem, der von irgendwoher auf der Welt zu uns kommt, diese lebendige Kollegialität wächst. Wo immer Bischöfe sich treffen oder miteinander zu tun haben, soll sich zwischen ihnen ein Raum auftun, in welchem Jesus mitten unter ihnen dasein und sich erweisen kann.

[114] Kommen wir nochmals auf die Beziehung zwischen Weihesakrament und Eucharistie, Bischofsdienst und Eucharistie zurück. Der verschenkte Herr in der Eucharistie „braucht“ die Gegenwart des schenkenden Herrn im Priester. Die Gegenwart des Herrn inmitten jener, die an seinen Namen glauben, in seinem Namen eins sind, braucht die Gegenwart des einzigen „Hirten und Bischofs“ (1 Petr 2,5) inmitten der Hirten und Bischöfe.