Der Himmel ist zwischen uns

Junge Generation

Freilich hat jener recht, der im Blick auf die junge Generation an die revoltierende Jugend am Ende der sechziger Jahre erinnert, an die träumende Jugend, die den Auszug aus der Gesellschaft ins Reich der Blumen, der Lieder, der Drogen suchte, an die enttäuschte Jugend, die sich nur widerwillig den Mechanismen der je stärkeren Gesellschaft anpasst. Aber die Jugend ist das sicher nicht. Dennoch hat es Signalwert, dass zur Erfahrung der Jugend mit einer Epoche und einer Epoche mit der Jugend auch solches gehört.

Auch solches, aber auch anderes. Unter den vielerlei Zeichen der Hoffnung und Ermutigung fällt auf, wie sehr gerade Jesus in der Mitte ein Ideal ist, das junge Menschen anzieht und versammelt. Und wo er junge Menschen ergreift, da ist nichts von der vielbeklagten Entscheidungsschwäche und von der Angst vor Verbindlichkeit zu spüren.

Meist fängt es an mit einzelnen, die gegen den Strom schwimmen und die einfach dadurch, dass sie anders leben, aufmerken lassen. Andere gewinnen Vertrauen: Der hat grundsätzlich dieselben Probleme, aber er macht andere Erfahrungen, was steckt dahinter? Man könnte sich an die Frage der Jünger erinnern: Meister, wo wohnst du? und an die Antwort: Komm und sieh! (vgl. Joh 1,38f). Der einzelne hat Freunde gefunden und mit ihnen ein neues Leben angefangen, und dieses Leben steckt nun an. Dasselbe Lebensgesetz, das für Gemeinden und Familien, für Priester und Ordensleute, das [90] in der Ökumene und in allen Bereichen von Kirche und Gesellschaft gilt, bestätigt sich auch hier: Gerade Jugend hat für Jugend das „Charisma“, Leben mit Jesus in der Mitte in Gang zu bringen. Sicher, andere mögen ihr helfen, aber Jugend trägt ihre Erneuerung selbst.

Warum stößt die Realität von Jesus zwischen uns in die Marktlücke, die noch so viele Angebote für die Jugend nicht ausfüllen? Fragen wir uns, ohne Anspruch auf eine gründliche Situationsanalyse, nach den Zielen und Werten, die bei der jungen Generation heute gelten.

Hinter einem weit verbreiteten Misstrauen gegen die Institutionen steckt die Sehnsucht nach Freiheit. Der junge Mensch will bei allem Bedürfnis nach Sicherheit nicht nur ein vorgeplantes Schicksal „von der Stange“, er will sich selbst nicht nur als Klischee der Tradition, der gesellschaftlichen Zwänge. Nur was er selbst in eigener Erfahrung erprobt und in eigener Reflexion verantwortet hat, ist er als Maßstab anzuerkennen bereit. Dass er in der kritischen Distanz zu den Institutionen nur zu leicht Ideologien erliegt, die ihm als Ideal suggerieren, was bloß ihrer eigenen Machtentfaltung dient; dass er seine Freiheit unter der Hand in eine neue Anpassung verwandelt, deren Maßstäbe oft erst im nachhinein durchschaut werden; dass die Gruppe, in der sich diese Freiheit verfasst, zur totalitären Institution auszuwachsen droht: dies ist der tragische Schatten, der nicht den Hunger nach Freiheit selbst in Misskredit bringen sollte.

Ähnliches lässt sich von einer zweiten Tendenz sagen: von der Sehnsucht nach Erfahrung, Tiefe, Bergung. Man hat viel von der neuen Innerlichkeit gesprochen, Meditation wurde zum Zauberwort. Nicht nur die Institutionen, auch die unerbittlich ablaufenden Prozesse des Marktes und der Produktion, der Ausbildung und der Laufbahnordnung machen [91] den Menschen sich selber fremd. Gerade der junge Mensch sucht den Kontrapunkt: Selbsterfahrung, Begegnung mit Ursprüngen, lebendige Kommunikation in einer überschaubaren Gruppe. Das Echte und den Schein hier zu unterscheiden fällt freilich nicht leicht. Ein Kriterium könnte sein: Wo nicht Mut zur Gestaltung der Welt und zum Dienst an den anderen gedeiht, da hat man jene Wurzel nicht gefunden, aus der wahres Leben wächst, da hat man Tiefe mit Leere verwechselt.

Beinahe noch mehr als die Worte Freiheit und Innerlichkeit ist das Wort Zukunft Ausdruck dessen, um was es der jungen Generation von heute geht. Die Zukunft ist so machbar wie noch nie – und die junge Generation fragt mit berechtigtem Ungestüm: Warum machen wir die Zukunft nicht, die Zukunft für alle, die Zukunft, die jeden ernst nimmt, jedem eine Chance gibt? Die Zukunft ist so machbar – und so wenig machbar wie vielleicht noch nie; denn in der Anstrengung, sie sich zu planen und zu machen, hat der Mensch seine Kräfte verausgabt, und er stößt nun an die Grenzen seiner Möglichkeiten. Diese Grenzen liegen außen: Der Vorrat an Energie und Rohstoffen ist endlich, alles produzierend verbrauchen wir die Umwelt, die das Leben braucht. Diese Grenzen liegen aber auch innen: Eine durchgeplante, durchorganisierte Zukunft verspricht nichts Neues mehr, macht uns zum Sklaven ihrer selbst. Und so verlagert sich das optimistische Drängen der jungen Generation nach der Zukunft zur notvollen Frage nach dem Sinn dieser Zukunft.

Wo junge Menschen mit Jesus in der Mitte leben, da machen sie eine neue Erfahrung mit jener Freiheit, die sie suchen. Aufs erste ist es die Erfahrung einer Bindung: Sie binden sich an Jesus, sie binden sich aneinander. Aber diese Bindung lässt frei und macht frei. Die eigene Spontaneität wächst, die [92] Kraft zum Einsatz und zum Dienst wächst. Es ist nicht ein Es, das sie überfremdet, ein von außen verfügter Zwang, sondern es ist das Du dessen, der sie grenzenlos liebt und der sie in dieser Liebe erst mit ihrer eigenen Freiheit begabt. Von diesem Zentrum aus gelingt neu auch das Ja zu jener unvermeidlichen Ordnung der Endlichkeit, zu welcher eben Institution gehört. Institution, die von dieser Mitte her angenommen wird, erfährt aber eine Verwandlung: Sie wird zum Raum der Kommunikation.

Wo junge Menschen mit Jesus in der Mitte leben, da machen sie eine neue Erfahrung mit jener Innerlichkeit, jener Gemeinschaft, die sie suchen. Sie stoßen durch zu sich selbst, aber sie bleiben nicht befangen in sich. Denn die Tiefe, die sie finden, ist die Achse, um die nicht nur ihr Leben schwingt, sondern auch das der anderen, ja das Leben der Welt. Innerlichkeit ist Gemeinschaft, und Gemeinschaft miteinander ist Öffnung über sich hinaus, wo Jesus in der Mitte lebt.

Wo junge Menschen mit Jesus in der Mitte leben, da machen sie eine neue Erfahrung mit jener Zukunft, die sie suchen. Es ist nicht die Zukunft, die am Ende ist, wo die berechenbaren und verfügbaren Chancen am Ende sind. Es ist nicht jene Zukunft, die im Jetzt je schon Vergangenheit ist, weil sie doch nur vollstreckt, was bereits geplant ist. Denn diese Zukunft entspringt aus dem, der wahrhaft der Herr der Zukunft ist. Er ist in unserer Mitte, und von ihm her verwandelt sich jede Grenze in Verbindung, jedes Ende in Anfang. Wer mit dem Allmächtigen lebt, der ist nicht mehr in seine Ohnmacht eingesperrt, sie wird ihm vielmehr selbst zum Instrument der Liebe, jener Liebe, der die Zukunft gehört. Denn sie gehört jenem, der tot war und nun aus Liebe lebendig ist.

Wenn es eine Bedrohung des Menschen, wenn es eine Bedrohung der Welt heute gibt, dann die, dass der verplante Mensch und die verplante Welt das Recht und die Macht zum Jungsein eingebüßt haben. Ist Jesus in unserer Mitte, so gibt er dem Menschen und der Welt das Recht und die Macht wieder, jung zu sein.