Volk Gottes auf dem Weg

Kein Gegensatz zwischen Rechts- oder Amtskirche und Liebeskirche

Lebendige Liebe ist mehr als tote Gestalt, und doch ist die Liebe zugleich das Gestalt schaffende Prinzip. Liebe pocht nicht auf Recht, aber Liebe gibt Recht und läßt Recht. Liebe ist mehr als bloße Ordnung, aber Liebe hält Ordnung und schafft Ordnung, indem sie die Strukturen und Grenzen der Ordnung hineinnimmt in [28] den einen Fluß ihres lebendigen Geschehens. Es ist von daher sinnlos, die amtliche und rechtliche Struktur, die zur Kirche unveräußerlich gehört, in Gegensatz zur Kirche der Liebe zu sehen. Was wir am alten Bund in seinen Ursprüngen beobachten können, das gilt nicht minder vom neuen. Im alten Bund führte die Liebe des erwählenden Gottes und des antwortenden Volkes zu jener „Schicksalsgemeinschaft“ zwischen Jahve und Israel, welche eben „Bund“ ist, vergleichbar einer Ehe. Gerade indem diese Liebe sich ver­dichtet zur geschichtlich währenden Berufung, nimmt sie die Züge des Bundes an, der als solcher die Liebe besiegelt, besiegelt aber durch „haltbare“, Halt gewährende Strukturen. Das Gesetz, die Zehn Gebote, das ist „Bundesgesetz“, ist Auswirkung der Liebe ins geschichtliche und konkrete Leben hinein. Solches gehört auch zur Kirche. Nicht darauf kommt es an, daß es kein Amt, kein Recht, keine Pflichten gibt, sondern darauf, daß als der einzige Sinn von alledem das eine Geschehen der Liebe sichtbar bleibe. Wo die Liebe sich aus den Strukturen zurückzieht, gerate sie ins Undeutliche und Unverbindliche zufälliger Augenblicklichkeit; wo sich die Strukturen verabsolutieren, wo sich Amt und Recht zurückzögen aus der lebendigen Liebe, da wären sie die Reliquien ihrer selbst.

Wie verträgt sich mit dem die kirchliche Lehre, daß es gültige amtliche Vollmacht gibt, auch wenn Träger des Amtes unwürdig, nicht in der Liebe sind, und daß es gültige Sakramente gibt, auch wenn Spender oder Empfänger nicht würdig, nicht in der Liebe sind? Amt und Sakramente, so ist zu antworten, sind der Kirche als Zeichen der göttlichen Bundestreue gegeben, sie hängen daher in ihrem Grund nicht ab von dem, der sie verwaltet. Nichtsdestoweniger wird die geschichtliche Wirksamkeit, die Strahlkraft des Zeichens, welches die Kirche ist, eingebunden bleiben in die Leben­digkeit der Liebe jener, welche die Kirche sind.