Zwischen Bistum und Gesamtkirche

Kernfrage „Geschichtlichkeit“

Doch von welcher Basis aus lassen sich methodische Engführungen als solche qualifizieren? Konkreter: Was wäre der charakterisierten Ungeschichtlichkeit gegenüber eine unverkürzte Geschichtlichkeit, und wie gehören Theologie und solche Geschichtlichkeit zusammen? Um an Bekanntes, aber in unserem Zusammenhang oft nicht Bedachtes zu erinnern: Zur Geschichtlichkeit gehört, daß man durchschrittene Wege nicht ungegangen machen kann, daß jedes Jetzt das, was war, aufnimmt, dem, was war, antwortet, es interpretiert. Es gehört aber ebenso zur Geschichtlichkeit, daß das, was kommt, mehr ist als die Einlösung einer Hochrechnung, die sich im Grunde bereits jetzt anstellen ließe. Was kommt, setzt zwar das, was war, fort, übernimmt es, rückt es aber in einen je neuen Kontext, wiederholt es auf eine nicht im vorhinein festzulegende Weise. Ein Beispiel, welches das Gesagte theologisch zuspitzt: Dogmengeschichte kann nicht an einem Dogma, das in der Geschichte formuliert wurde, einfachhin vorbeigehen, es ungeschehen machen, es falsifizieren; dennoch könnte kein Computer die Summe der Möglichkeiten ausspeien, was das Glaubensverständnis künftiger Jahrhunderte unbeschadet seiner Wesensidentität mit irgendeinem Dogma „anfangen“ wird. [24] Diese theologische Zuspitzung stößt uns bereits auf Grund und Art des Zusammenhangs zwischen Geschichtlichkeit und Theologie: In Jesus Christus reicht Gott endgültig und ein für allemal in den Raum der Geschichte hinein; die Geschichte Christi im Glauben und Leben der Kirche ist Geschichte Gottes nicht nur mit dieser Welt, sondern in dieser Welt. Dadurch aber stehen Gottes Unveränderlichkeit und die Veränderlichkeit der Geschichte nicht nebeneinander, sondern, freilich „ungetrennt und unvermischt“, ineinander. Es gibt geschichtliche und damit endliche Ereignisse, Entwicklungen und Festlegungen, die zum Sakrament der Endgültigkeit göttlichen Handelns, der göttlichen Selbstmitteilung an die Welt, werden; doch umgekehrt ist die Endgültigkeit dieses Handelns und dieser Selbstmitteilung Gottes zugleich eingelassen in die Verschiebungen und Wandlungen menschlichen Verstehens und Zusammenlebens. Die Affizierung Gottes von menschlicher Endlichkeit, die Affizierung des Geschichtlichen von Gottes unbedingtem, ihm selbst enthaltendem und gebendem Ja bleiben das Ärgernis des Christlichen, das Ärgernis der Liebe des sich gebenden Gottes. Nur wer das bedenkt, hat auch die Basis, um über Unwandelbares und Wandelbares in der Kirche und all ihren Lebensäußerungen zu sprechen.