Zwischen Bistum und Gesamtkirche
Kirche als Glaubens- und Lebensgemeinschaft
a) Gemeinde: Bereits die ersten Christengemeinden erfuhren Jesus Christus als integrierende Kraft ihrer Gemeinschaft; Unterschiede, die sich aus menschlichen Motiven und Zwecken nicht hätten überbrücken lassen, Unterschiede, die zudem gerade im Bereich des Religiösen ihre Schärfe hatten, wurden überwunden und versöhnt durch ihn: die eine Kirche ist Kirche aus Juden und Heiden. Das ist nicht nur geschichtliche Episode, sondern Maßstab. Christliche Gemeinschaft integriert sich nicht schon dort, wo persönliche Zusammengehörigkeit oder Sympathie durch die Orientierung an Jesus überhöht werden. So legitim diese persönlichen Beziehungen auch im Christlichen bleiben und so christlich notwendig es ist, persönliche Beziehungen in die Beziehung zu Christus hineinzunehmen, sowenig wäre derlei die hinreichende Basis, um Gemeinde zu konstituieren. Gemeinde setzt gerade bei „objektiven Daten“ wie gemeinsamem Ort oder gemeinsamer Situation an. Glaubende, die nichts anderes gemein zu haben brauchen als diesen Ort oder diese Situation, nehmen sich gegenseitig an, wissen sich als zugehörig zueinander nur um des einen willen: daß sie zu Jesus Christus gehören. Um an Ausgeführtes zu erinnern: Intensität ohne Universalität ist christlich nicht denkbar, und diese Universalität setzt schon innerhalb der Gemeinde selbst an. Gemeinde, das meint hier also nicht jede Zelle, nicht jede Intimgruppe, nicht jede „Koalition“ von Christen, sondern die Einheit von solchen Zellen, Gruppen, Koalitionen im selben Wort, im selben Sakrament, im selben Dienst der Liebe. Gemeinde ist die kleinste Totalität, die durch die repraesentatio Christi capitis im Amt integriert wird. Das Streben danach, möglichst viele Zellen durch einen eigenen Amtsträger zu integrieren, kann leicht auf Kosten der inneren Offenheit und äußeren Einfügung ins größere Ganze gehen.
Solche Durchdringung von Intensität und Universalität in der Gemeinde schließt in unseren gesellschaftlichen Umständen freilich gerade ein, daß Gemeinde sich aus möglichst vielen intensiven Zellen aufbaut und daß ihr Leben sich für größere Organisationsformen (wie Pfarrverbände oder Verbandspfarreien) öffnet.
b) Bistum: Gemeinde, nicht bloß Zelle: dies ist um der wahrhaften Universalität des Christlichen willen notwendig. Das äußerste, unerläßliche, ja entscheidende Maß dieser Universalität heißt freilich Weltkirche. Gerade deswegen aber ist Gemeinde nicht schon in sich die volle Integrationsform kirchlichen Lebens. In der alten Kirche, die in einer überschaubaren Ökumene angesiedelt war, entsprach es sozusagen der geographischen Logik, daß die Gemeinde Bistum war: Sie konnte durch ihren Bischof und seine Kommunika- [34] tion mit den Mitbischöfen sich ins Ganze von Kirche einbringen und das Ganze von Kirche in sich einbringen. Daß dies bei den Maßen der heutigen Welt und Weltkirche für die einzelne Gemeinde nicht mehr zutrifft, braucht nicht erklärt zu werden. Gemeinde und Bistum treten auseinander; das Bistum hat die Funktion der Ortskirche, aus der, zusammen mit den anderen Ortskirchen, sich die Gesamtkirche aufbaut. Die Integrationsebene kirchlichen Lebens, das Bistum, wird sinnvollerweise so angesiedelt, daß die „Rufweite“ zur einzelnen Gemeinde und die Rufweite zur Mitte der Gesamtkirche erhalten bleiben. Wo entweder die Visitationsreise eines Bischofs zu seinen Gemeinden oder seine Ad-limina-Reise nach Rom zur bloßen Farce würde, wäre die Funktion des Bistums nicht mehr gewährleistet.
c) Bischofskonferenz: Tut indessen nicht gerade diese „ideal-typische“ Überlegung dar, daß das Bistum allein der Vermittlungsfunktion zur Weltkirche hin nicht mehr genügen kann? Die Notwendigkeit größerer kirchlicher Einheiten, überdiözesaner Strukturen liegt auf der Hand, und das Zweite Vatikanische Konzil hat das Seine dazu beigetragen, daß sowohl der Wert spezifischer Traditionen, die in einzelnen Regionen der Weltkirche beheimatet sind, wie auch die Bedeutung von Bischofskonferenzen ins allgemeine Bewußtsein traten. Ist der Leitwert kirchlicher Strukturen aber die Kommunikation, welche Kirche und Gemeinde, Universalität und Intensität des Glaubens sich gegenseitig durchdringen läßt, dann wird ein Doppeltes sichtbar: Einerseits braucht es in der Tat die Kooperation zwischen den Bistümern einer Region, eines Staates, eines Kulturraumes, braucht es gemeinsame Hirtensorge für ein solches Gebiet, doch andererseits wäre es fatal, wenn im Zeitalter der einswerdenden Welt ausgerechnet die Kirche Partikularismen und Nationalismen nachholte. Die Bedürfnisse, Möglichkeiten und Mentalitäten verschiedener Nationen und Weltteile müssen beachtet werden; man darf jedoch nicht darüber hinwegsehen, daß nicht selten das Recht auf den eigenen Weg gefordert und das Modell für die Weltkirche gemeint wird. Wenn die Weltkirche Erfordernisse einer Region übergeht, kann sie den Kontakt mit der betreffenden Teilkirche erschweren; wenn eine Teilkirche sich in sich selber schließt, kann sie die katholischen Dimensionen der Universalität und der Einheit verlieren.
Der Grund für das Ungenügen einer bloßen Addition von Diözesankirchen zur Weltkirche: die Weltgesellschaft organisiert sich in übergreifenden Einheiten und Kommunikationsprozessen, und darauf muß auch Leben und Gestalt der Kirche Rücksicht nehmen, will sie nicht am Menschen vorbeizielen. Der Grund für das Ungenügen einer Weltkirche, die bloß der lose Bund in sich stehender National- und Regionalkirchen wäre: das eine, umgreifende Gesamt von Kirche würde in den einzelnen Gemeinden zuwenig präsent, es würde zuwenig greifbar, daß die Gemeinde, unbeschadet ihrer Eigenprägung und der Eigenprägung des jeweiligen Kulturraumes und der [35] jeweiligen kirchlichen Tradition, Gemeinde der einen Kirche in einer immer mehr einswerdenden Welt ist. Die Kirchengeschichte zeigt einerseits, wie fatal die Nivellierung eigener Potenzen und Gaben eines Kulturraumes ist (man denke an den sogenannten Ritenstreit), sie zeigt aber auch, wie leicht der Versuch, eine Nationalkirche in sich selbst zu integrieren, die Gefahr zum Schisma in sich birgt.
Dem entspricht es, daß Bischofskonferenzen mehr sind als eine unverbindliche Informations- und Arbeitsgemeinschaft; es muß möglich sein, für einen gemeinsamen Lebensraum gemeinsame Grundlinien des Lebens und Dienstes der Kirche verbindlich zu vereinbaren. Eine Verlagerung der integrativen Funktion des Bistums auf die Bischofskonferenz im ganzen hingegen hätte eine zu große Entfernung zwischen der Gemeinde und der sie ins Gesamte vermittelnden Integrationsebene zur Folge. Vollzogene Kollegialität der Bischöfe ist nicht nur keine Alternative, sondern eine Ergänzung zum Primat des Papstes, sie ist auch keine Alternative, sondern eine Ergänzung zur Funktion des Bischofs für sein eigenes Bistum.
Dann ist es notwendig, daß zwar wirksame Wahrnehmung inter- und überdiözesaner Aufgaben durch die Bischofskonferenz strukturell ermöglicht wird, daß aber die Bischofskonferenz dennoch die Integrationsebene Bistum nicht ersetzt und nicht ein Superbistum konstituiert, das sich zwischen Gemeinde und Bistum einerseits und die Gesamtkirche andererseits schiebt.