Zwischen Bistum und Gesamtkirche
Kirche als „Sauerteig“
Kirchliche Strukturen sind Kommunikationsformen. So unzerreißbar kirchliches Selbstsein und Dienst der Kirche an der Welt sind, so wenig genügt die amtliche Integration kirchlichen Lebens schon allein, um auch die Sauerteigfunktion von Kirche wirksam werden zu lassen. Der leitende Gesichtspunkt für die Strukturierung der Kirche in sich ist die gegenseitige Durchdringung von Gemeinde und Weltkirche. Der leitende Gesichtspunkt für die Strukturierung der Formen kirchlicher Präsenz in Welt und Gesellschaft ist die gegenseitige Durchdringung von Kirche und Gesellschaft.
Dann aber braucht es Strukturen für das gesellschaftsbezogene Wirken der Kirche und der Katholiken, die dort ansetzen, wo die Gesellschaft sich verfaßt. Gewiß können auch die „kirchenamtlichen“ Strukturen nicht vorbei an gesellschaftlichen Realitäten konzipiert werden; gesellschaftliche Vorgegebenheiten sind indessen nur ein Moment für die Bildung von Gemeinde oder Bistum; ein anderes ist die innere Lebensmöglichkeit der Gemeinschaft des Glaubens innerhalb eines gesellschaftlich vorumgrenzten Raumes; ein drittes ist die Einfügung in die größere Einheit kirchlichen Lebens. Der Dienst der Kirche und der Christen an der Gesellschaft hingegen muß an den Bedingungen und Erfordernissen der Gesellschaft unmittelbar orientiert sein. Daher [36] spielen die Ebenen, auf denen Gesellschaft sich verfaßt, für diesen Dienst eine entscheidende Rolle. Er bildet seine Strukturen heraus auf der Ebene einer Stadt, eines Kreises, eines Landes, eines Staates. Da Gesellschaft ihre innere Einheit, die durchgängige Gestaltbarkeit und Vergleichbarkeit ihrer Lebensbedingungen auf der Ebene des Staates gewinnt, liegt hier gerade der primäre Ansatz für die Strukturen, in denen Kirche und Christen gesellschaftsrelevante Aufgaben wahrnehmen.
Da aber die Sauerteigfunktion, die gegenseitige Durchdringung von Kirche und Gesellschaft auch für das Leben der Kirche in sich konstitutiv sind, muß es freilich dort ebenfalls, wo sich Kirche als solche verfaßt – in Gemeinde und Bistum –, strukturelle Möglichkeiten geben, um die Präsenz in der Gesellschaft und das Ernstnehmen der gesellschaftsbezogenen Aufgaben zu gewährleisten.
Die Wahrnehmung der Sauerteigfunktion von Kirche erfordert so eine dreifache Richtung von Kommunikation: Kommunikation zwischen Kirche und Welt – daraus resultiert die Notwendigkeit von Strukturen, die in Korrespondenz zu den Strukturen von Gesellschaft stehen; Kommunikation der Kräfte, die sich in besonderer Weise dem Dienst der Kirche in der Gesellschaft widmen, mit den Strukturen, in denen Kirche sich selbst verfaßt (Gemeinde und Bistum); Kommunikation dieser gesellschaftsbezogenen Kräfte in der Kirche miteinander, um ihren Dienst möglichst wirksam tun zu können.
Im überdiözesanen Raum, vor allem auf der Ebene des Staates, hat dies strukturell die folgenden Konsequenzen:
a) Daß über- bzw. interdiözesane Kommunikation zu Bildung und Ausbau von Bischofskonferenzen führte, hat – wie schon erwähnt – seinen Grund vor allem in der Rückwirkung gesellschaftlicher Zusammenhänge auf die kirchliche Situation: Gleichartige gesellschaftliche Verhältnisse bedürfen der Gemeinsamkeit im pastoralen und gesellschaftsbezogenen Handeln der Kirche. Auch die pastoralen Aufgaben, die interdiözesan zu regeln sind, resultieren großenteils aus der Einheit der gesellschaftlichen Situation eines Landes. Und da die Durchdringung der Gesellschaft und die Begegnung mit der Gesellschaft zum Grundauftrag der Kirche gehören, muß es Sorge der Bischöfe sein, daß die Kirche eines Landes diese Dimension ihrer Sendung wirksam, das heißt heute aber mehr denn je: gemeinsam wahrnehmen kann. So wenig die Sauerteigfunktion also mit den Aufgaben des Amtes gleichgesetzt werden darf, so wenig ist sie doch aus ihnen auszuklammern, und die Ebene, auf welcher sie vor allem Sache auch des Amtes ist, ist die nationale.
b) Wenn sich kirchlicher Dienst in Welt und Gesellschaft auf das beschränkte, was das Amt in seiner Funktion für die ganze Kirche zu sagen und zu tun vermag, so könnte der Sauerteig Kirche nur partiell wirksam werden. Gerade auch die Situationen und Sachbereiche, für die keine allgemein ver- [37] bindlichen christlichen Lösungen zu treffen sind, verlangen den christlichen Einsatz: im Dialog, in der Kooperation, in der Entwicklung christlich inspirierter Alternativen und Modelle. Dafür aber sind die freien Initiativen und ihre Koalitionen in der Kirche von höchster Bedeutung. Es bedarf hier sicher vieler spontaner und informeller Initiativen; es bedarf aber auch der Kontinuität und Weite einer übergreifenden Gemeinschaft. Im Blick darauf sind katholische Organisationen und Verbände mehr als eine Episode in der Geschichte der Kirche. Die Ebene, auf der sich solche Verbände und Organisationen zumeist konstituieren, auf der sie jedenfalls aber ihre Zusammenarbeit miteinander konstituieren müssen, ist die nationale. Freilich werden auch darunterliegende regionale Zusammenschlüsse und Arbeitsgemeinschaften notwendig sein.
c) Soviele kritische Einwände gegen den Begriff des „Laienapostolats“ auch erhoben werden, so problematisch wäre es doch, das zu übersehen, worauf die Rede vom Laienapostolat (die übrigens vom Konzil durch ein eigenes Dekret bestätigt ist) zielt. Die Durchformung aller Lebensbereiche und Lebenssituationen mit dem Geist Christi durch Zeugnis und Aktivität der Gläubigen, die in Einheit mit dem Amt, aber nicht ohne weiteres im Auftrag des Amtes geschieht, ist für eine umgreifende und doch nicht integralistische „Heiligung der Welt“ unerläßlich. Dieses Zeugnis und diese Aktivität der Gläubigen in die Welt hinein erschöpfen sich nicht in der „privaten“ Sphäre ihres persönlichen Lebens, aber auch nicht im Wirken von Verbänden und Organisationen, sondern artikulieren sich darüber hinaus unmittelbar im Leben der Gemeinden selbst und müssen von dort aus tragend werden für die größeren Einheiten kirchlichen Dienstes. Beide Stränge, der verbandliche und der gemeindlich-diözesane, müssen in eine umgreifende Kooperation einbezogen werden. Dem entsprechen die Gremien auf den verschiedenen Ebenen von der Gemeinde bis zum nationalen, ja übernationalen Bereich, von denen das Konzilsdekret über das Laienapostolat (Nr. 26) handelt. Ohne daß damit die Frage bereits hinreichend beantwortet wäre, ob diese Gremien mit den in Nr. 27 des Dekrets über den Dienst der Bischöfe gewünschten Pastoralräten zusammenfallen sollen oder können, muß doch betont werden: Die Funktion der Beratung des Amtes kann die Funktion der Kooperation und Integration aller Kräfte der Kirche im Dienst an Welt und Gesellschaft nicht ersetzen, auf die Wahrnehmung der beiden unterschiedlichen Funktionen kann nicht verzichtet werden, und sie müssen so wahrgenommen werden, daß einerseits die Verzahnung, andererseits aber auch die Eigenständigkeit dieser Funktionen sichergestellt ist.
Die durch die Bischofskonferenz und durch die Konstitution kirchlicher Organisationen und Verbände strukturell betonte nationale Ebene ist naturgemäß auch die Ebene einer umfassenden Kooperation aller Kräfte des „Laienapostolats“, die in Verbänden und Diözesen verfaßt sind. Nur ein [38] solches Gremium, das auf nationaler Ebene zugleich die verbandlichen und nichtverbandlichen Kräfte wie auch die diözesanen Gremien der Kooperation im Laienapostolat einbezieht, kann den oben bezeichneten Richtungen der Kommunikation umfassend gerecht werden.