Pilgerndes Gottesvolk – geeintes Gottesvolk

Kirche – Ikone der Dreieinigkeit*

Wir haben aufmerksam gemacht auf die Wechselwirkung: Nicht nur ist die Trinität Ikone des pilgernden Gottesvolkes, sondern umgekehrt gilt auch: Das pilgernde Gottesvolk, die Kirche, ist Ikone der Trinität. Indirekt kamen wir darauf schon zu sprechen mit dem Hinweis, daß das Zeugnis der Kirche nur glaubhaft wird durch die gegenseitige Liebe und Einheit. Auch dies ist kein primär „moralischer“, sondern ein „ikonischer“ Satz. Das Eigene und Andere des Gottes, der uns in Jesus Christus offenbart wurde, kann nur beglaubigt, ja in seiner eigenen Ordnung „vorgezeigt“ werden, wo die Liebe, die Gott ist und die ihn absolute Einheit sein läßt in der Gleichheit und Unterschiedenheit der Personen, geschichtlich berührbar wird in der Einheit der Glaubenden in Bekenntnis, Leben und Dienst. Diese Einheit aber wird ihrerseits vollbracht und getragen von der Gegenseitigkeit der Liebe, in welcher die Liebe Christi wirksam und jene dreifaltige Liebe sichtbar wird, die sich in der Liebeshingabe Christi [365] uns erschließt und schenkt. In „Lumen gentium“ 9, dem fundamentalen Artikel zu Beginn des zweiten Kapitels der Kirchenkonstitution, das die Kirche uns als geeintes und pilgerndes Gottesvolk vorstellt, ist von diesem Volk lapidar gesagt: „Sein Gesetz ist das neue Gebot (vgl. Joh 13,34), zu lieben, wie Christus uns geliebt hat.“1

Indem wir, mit der Grundlosigkeit und Radikalität der Liebe Jesu, die bis zum Letzten geht, das Ja Gottes zu unserem Nächsten sprechen, haben wir teil an der Vaterschaft Gottes; indem wir, diese Liebe empfangend, sie erwidern, Geliebtsein zu Liebe werden lassen, leben wir das Geheimnis des Sohnes; indem wir in Lieben und Geliebtwerden den Raum und die Atmosphäre bereiten, in welcher der Herr selber in unserer Mitte sein kann, wirkt in uns und scheint in uns auf sein Heiliger Geist. Unser Leben wird im Neuen Gebot zum „dreifaltigen Rollenspiel“, das jene Wirklichkeit Gottes sichtbar macht, welche das Wort verkündet und das Sakrament mitteilt.

Solches Leben des Neuen Gebotes ist nicht ein ethischer Zusatz zur an sich gültigen und wirksamen Sakramentalität der Kirche, sondern ihr wesenhafter Ausfluß. Sicher steht der Herr zu seiner Kirche und zu seinem neuen Bund, den er ihr über alles Versagen in der Geschichte hinweg für immer anvertraut hat; und dies wirkt sich in der vom Verkünder und Spender nicht abhängigen Gültigkeit und Wirksamkeit des Wortes und der Sakramente aus. Daß das, was in Wort und Sakramenten der Kirche anvertraut ist, die Chance des dreifaltigen Lebens für die Menschen und für die Menschheit ist, wird freilich nur in dem Maß bezeugt und auf das „Glauben der Welt“ hin fruchtbar (vgl. Joh 17,21), in welchem [366] unser Leben des Neuen Gebotes es von der Kirche glaubhaft und somit „aussagbar“ macht, daß sie das aus der Einheit des Vaters und des Sohnes und des Geistes geeinte Volk ist. Das Mysterium des dreifaltigen Gottes kommt in der Kirche zum Leuchten, sofern sie die communio in gegenseitiger Liebe wirksam werden läßt, und indem sie dies tut, erfüllt sie und beglaubigt sie ihre missio für die Welt.

Einheit, Gleichheit und Unterschiedenheit in der Kirche und somit ihre komplexe communio-Struktur gewinnen Zeugniskraft und Plausibilität nur durch das trinitarische Leben, sofern es an der Kirche als ἀγάπη, als gelebte gegenseitige Liebe, sichtbar wird.


  1. Lumen Gentium 9. ↩︎