Kirche und Kunst – heute

Kirche und Kunst – heute

[11] Sehr geehrter Herr Cardinal,

liebe Freunde der christlichen Kunst im Erzbistum Köln und im Bistum Aachen!

Der Heilige Geist ist nicht aus der Kirche ausgestiegen. Nicht im Jahr 70 und nicht im Jahr 1870 und nicht im Jahr 1970. Nein, das Wirken des Heiligen Geistes in der Kirche hat nicht aufgehört, als das ursprüngliche Glaubenserbe, noch in der Epoche des Neuen Testamentes, spekulativ durchdrungen wurde und große theologische Entwürfe entstanden, die ohne die Nachbarschaft und den Einfluß griechischen Geistes so nicht hätten entstehen können. Und das Wirken des Heiligen Geistes in der Kirche hat auch nicht vor oder nach dem Ersten Vatikanischen Konzil aufgehört, als eine sehr zentrale und sehr systematische Ekklesiologie zu einem Kirchenbild führte, das notwendige Geschlossenheit gewährleistete, mögliche Verengungen aber nicht im vorhinein ausschloß .

Und nochmals ist das Zweite Vatikanum kein Abschied des Heiligen Geistes von der Kirche. Dasselbe Evangelium, dieselbe Kirche, die eh und je gelten und sind, treten hier in ein neues Licht – aber Dynamik, Weltoffenheit, Weite, sie gehören zu diesem Evangelium und dieser Kirche auch dann dazu, wenn Dynamik als blinde Motorik der Veränderung, Weite als konturlose Aufweichung, Weltoffenheit als falsche Weltförmigkeit mißdeutet und mißbraucht werden können. Und wenn solchen Mißdeutungen und Mißbräuchen zu wehren ist, dann bedeutet dies wiederum nicht Abschied vom Konzil und nicht Abschied von seinem Geist oder gar vom Heiligen Geist.

Was hat dies mit unserem Thema zu tun: Kirche und Kunst heute? Sicher dürfen wir das Verhältnis Geist und Kirche nicht ohne weiteres parallel setzen mit dem Verhältnis Kunst und Kirche. Und doch gibt uns das Vertrauen, daß der Geist Gottes auch in schwierigen Zeiten bei seiner Kirche bleibt, zugleich Anlaß zum anderen Vertrauen: Der Geist Gottes wird über den Wassern der menschlichen Seele schweben bleiben, um sie immer wieder zu befruchten, auf daß aus ihr glaubwürdige und überzeugende Gestalten von Kunst erwachsen, in denen Glaube sich bezeugt.

Diese Zuversicht war vor 125 Jahren, als der Verein entstand, dessen Geburtstag wir heute feiern, kein Problem. Wer sein damals verfaßtes erstes Manifest liest, wird eher betroffen sein von soviel Optimismus, daß Kirche und Kunst einfach zusammengehören und Kunst in der Kirche gelingen wird. Dieser Optimismus ist längst verflogen – und auch dann, wenn wir nicht jener Engführung erliegen, die meint, seit 150 Jahren gebe es keine Kunst und erst recht keine Kunst in der Kirche mehr, können wir die Spannung zwischen der Zuversicht dieses Manifestes und den Gestalten von Kunst nicht übersehen, die damals entstanden sind.

[12] Besinnung und Gestaltung wachsen nicht aus den genau selben Kräften der Seele, durch Besinnung kann Gestaltungskraft nicht ersetzt werden. Aber durch Besinnung kann Gestaltungskraft vielleicht freigesetzt werden; Besinnung kann der Gestaltungskraft zumindest helfen, Maßstäbe zu finden und so jene Hemmung, jene Unsicherheit zu überwinden, die sie angesichts des trügerischen Selbstvertrauens einer vergangenen Epoche überkommen möchte.