Kirche und Kunst – heute

Kirche und Kunst – und ihr Heute

Der Gedankengang mag hier als abgerundet erscheinen – er hat aber noch keine Erdreibung, er steht noch nicht auf dem Boden. Kirche und Kunst gehören zusammen. Das zu wissen, ist wichtig und gut. Aber zur Kunst gehört eben die Konkretion hinzu, und das heißt: es gehört zu ihr das Hier und Jetzt hinzu. Wir können uns nicht darauf zurückberufen, daß einmal die Kunst in der Kirche gelang, und nun auf den Verdiensten der Vergangenheit ausruhen. Indem Kirche sich und ihren [19] Ausdruck dem Bräutigam schenkt, ist sie eben gehalten, sich, ihren Glauben und in ihrem Glauben auch das „Fleisch“ ihrer Zeit, ihrer Welt, ihrer Epoche, ihrer Situation einzubringen in die Gestalt. Und hier begegnen wir eben der doppelten Abhängigkeit kirchlicher Kunst von der Lebendigkeit des Glaubens der Kirche und von der Gestaltungsmöglichkeit jener Epoche, die von der Kirche zwar nicht einfach nur hingenommen, aber von ihr ebensowenig einfach gemacht werden kann. Die gegenseitige Abhängigkeit von Kirche und Epoche stellt christliche Kunst in eine Aufgabe, die heute ein Dilemma genannt werden kann.

Gehen wir doch die Stationen unseres Gedankengangs nochmals durch im Blick auf die Verfaßtheit unseres Zeitalters.

Stehen wir nicht in der Spannung zwischen der Esoterik bloßer Gestaltlosigkeit und einer konsumistischen Üppigkeit im Herstellen und Verschleißen von Idolen? Ist nicht auf der einen Seite unser Verhältnis zu den Gestalten viel zu gebrochen und zu gebrechlich, als daß wir das je größere Geheimnis noch unbefangen darzustellen wagten? Und auf der anderen Seite: Tapezieren wir nicht viel zu pragmatisch und planerisch mit dem Konsumgut Bild und Gestalt unseren Lebensraum, als daß wir vertrauen könnten, daß in ihm unser Glaube und unsere Liebe Gestalt gewinnen? Ist unsere Welt nicht arm an Bildern und reich an Idolen, die uns Ersatz bieten sollen, weil uns das Geheimnis abhanden kam? Steht nicht die neuzeitliche Zerlegung von rationaler Welt und ausgedehnter Welt, von Logos und Sarx jener synthetischen Kraft im Weg, die Inkarnation zu verstehen und gestalterisch einzuholen vermag?

Wo der Logos nur noch Wort des sich selbst begreifenden und vermittelnder Geistes wird und nicht mehr sich als Ausdruck und Zeichen der Liebe versteht, die schenkt und beschenkt wird, da gerät das sich begreifende Subjekt in eine letzte Einsamkeit. Es eröffnet sich nicht mehr in seinem Wort und wird sich selbst in seinem Wort nicht mehr offen, kommt nicht über sich hinaus und zuletzt nicht einmal mehr zu sich selbst. Und auf der anderen Seite verliert die Sarx, verliert die Welt des Leibhaftigen und Gestalthaften ihre Transparenz, ihre Ausdruckskraft, ihre Bedeutsamkeit. Entgegen allem aufdringlich anderen Anschein leben wir in einer Epoche der Leibfeindlichkeit. Was übrigbleibt, sind in sich selbst und um sich selbst rotierende Bedürfnisse und Triebe. Machbarkeit, Brauchbarkeit und Entbehrbarkeit von Kunst gehören in den umschriebenen doppelten Kontext ebenso wie die Nivellierung des Unterschieds zwischen Kunst und Technik, Gestaltung und bloßer Produktion.

Die Vermittlung von Gestalt und Geheimnis anstelle der bloßen Reduktion auf Gestalt oder Geheimnis, welche Reduktion beides destruiert, dies bleibt am Ende der Neuzeit die epochale Aufgabe. Verstehen und Gestalten der Inkarnation, gegenseitige Vermittlung von Logos und Sarx, das ist eine nicht nur theologische, es ist eine säkulare Aufgabe, und sie wird erst dann eine überzeugende Gestalt ihrer Lösung finden, wenn ihre Lösung eben auch Gestalt, künstlerische Gestalt findet.

Die Not der Neuzeit konnte nicht durch eine bloße Restauration gewendet werden, wie sie sich in jener Kunst spiegelt, die in der von uns bereits bemühten Epoche vor 125 Jahren gang und gäbe war. Entgegen aller theoretischen Rechtgläubigkeit schaut uns aus den Bildern jener [20] Zeit so etwas an wie ein praktischer Monophysitismus, eine Ohnmacht zur Synthesis zwischen Göttlichem und Menschlichem, Geheimnis und Gestalt. Wie wenig aus dem verkürzten Ansatz der Neuzeit eine bloße Vorbildchristologie, eine Verengung auf die Christologie des moralischen Imperativs zur Mitmenschlichkeit genügt, ist inzwischen allenthalben deutlich. Wird die Braut das Kommen des Wortes Fleisch in menschlich begreifbaren Bildern darstellen können, um so selbst als die Braut des Königs erkannt zu werden?

Eine letzte kritische Unterstreichung erfährt diese Frage in der Reflexion auf die Kirche als Braut. Kann Kirche als Braut verstanden werden, als Braut sich entfalten, wenn Jungfräulichkeit, Ausschließlichkeit, Treue und Fruchtbarkeit zugleich als überflüssig, unzumutbar, unverständlich gelten? Die Kirche als bloß zentrales System der Heilsversorgung ist ebensowenig die Braut wie das Konglomerat selbstgenügsamer Zellen, die nur durch lose Übereinkunft noch zusammengehalten werden. Verbindlichkeit und Verbundenheit kirchlicher Gemeinschaft und Berufenheit der Ekklesia zum anbetenden, liebenden Zeugnis für ihren Bräutigam: das sind entscheidende Voraussetzungen dafür, daß Kunst nicht nur als individueller Aufschrei, sondern als Zeugnis für die Kirche und Zeugnis der Kirche wiederum wachsen kann. Kirche muß ihre Brautschaft wieder entdecken, wieder lernen – das wird ein entscheidender Dienst nicht nur an der Kunst, nicht nur am glaubwürdigen Zeugnis des Christlichen, sondern auch ein entscheidender Dienst am Humanum selber sein.

Es wäre indessen wenig hilfreich und es wäre zudem nicht die ganze und nicht die tiefste Wahrheit, wenn wir beim Aufsammeln negativer Symptome stehenblieben, die es uns bestätigten: Zwischen Kirche und Kunst, aber auch zwischen der Epoche und der Kirche und zwischen der Epoche und der Kunst laufen erhebliche Krisen, Verwerfungen, Spannungen. Wir dürfen keineswegs die positiven Anzeichen übersehen, die Aufbrüche, die oft ungestüm und ungelenk, aber deutlich darauf hinweisen, daß die menschliche Natur stärker ist als alle menschlichen Konstruktionen und daß die menschliche Seele von Natur aus auch heute eine Christin geblieben ist. Wir können uns mit solchen Feststellungen nicht schnell beruhigen, wir müssen aber die Keime dessen, was wächst und gedeihen will, beachten und hüten und fördern.

Da ist zu reden von einer neuen Unbefangenheit, nicht zuletzt der jüngeren Generation, ebenso gegenüber dem Geheimnis wie gegenüber der Gestalt. Es darf wieder etwas heilig sein und es darf wieder etwas schön sein. Da ist des weiteren daran zu erinnern, welche Rolle die Gestalt Jesu und auch die Gestalt der Heiligen und der Zeugen spielt. Sie sind nicht mehr nur moralische Vorbilder, sondern auch „Antennen“ für jene Wirklichkeit, die wir sonst nicht mehr einfangen und ohne die wir doch nicht leben können. Es ist nicht zuletzt daran zu erinnern, daß aus dem Evangelium heraus eine Alternative wächst zur bloßen Isolation und Selbstgenügsamkeit auf der einen, zur bloßen Kollektivität auf der anderen Seite.

Vielleicht ist gerade hier ein Ansatz. Kunst läßt sich nicht machen. Aber vielleicht kann Hingabe, Treue, Verzicht, Geschenk wiederum wachsen zwischen den Menschen, zwischen den Glaubenden, und so eine bräutliche Haltung in der Kirche wieder Platz greifen. Kirche selbst, im gemeinsamen Leben des einen Wortes aufeinander zu und so auf den [21] Herrn zu, kann die Gaben des Geistes in sich selbst entdecken und so sich als jenes unzerstörbare Kunstwerk der Hand des Herrn entdecken, das zwar durch Resignation und Enttäuschung verdunkelt, aber nicht im letzten zerstört werden kann. Die Unbefangenheit gegenüber den Zeugen, die Ehrfurcht vor dem Schönen und Kostbaren, das gerade im Fremden und Ungewohnten auf uns zukommt und nach einer brüderlichen Gemeinschaft, nach einem helfenden Füreinander sucht, Gestalten des Lebens aus dem Evangelium, durch das Menschen zueinander und zur Zuversicht finden: dies alles hat noch nichts unmittelbar mit dem Entstehen christlicher Kunst zu tun, aber es hat zu tun mit jenen Voraussetzungen, aus denen sie wachsen, aus denen sie sich schenken kann.

Hoffnung für Kunst in der Kirche, für Kirche, die wiederum als die Braut zu ihrem Geschenk an den Bräutigam, zur Kunst durchstößt. Aber diese Hoffnung steht unter dem unabdingbaren Gesetz: sie selbst kann ihr Ziel nicht bewerkstelligen, sie kann sich nur beschenken lassen. Mit noch so guten Konstitutionen des Konzils, mit noch so vielen Förderungsgaben und Stipendien, mit noch so vielen Haushaltspositionen können wir christliche Kunst nicht machen. Sie muß wachsen. Wir müssen einfach Geduld haben, zähe Geduld, die immer und immer wieder es erspielt und umspielt, daß es ihr gelinge, namens der Braut zu sagen zum Bräutigam: „Ich möchte mich dir schenken!“

Ja, wir sind vielleicht eine spröde und ungelenke Braut, aber wir dürfen unsere holprigen Kinderzeichnungen dem Herrn entgegenhalten, bis dann endlich doch diese Liebe so groß und so stark über uns kommt, daß der Wurf wiederum gelingt. Dann aber hat die Kirche – und ich meine gerade die Kirche auch als Amt und Institution – die Aufgabe, diese Geduld mit sich selbst auch in ihren Künstlern zu haben. Es gilt, sehr behutsam und liebend darauf zu schauen, wo die Gaben erwachsen und gelingen, die dessen würdig sind, daß wir sie dem Herrn verschenken. Das muß die Kirche sich etwas kosten lassen.

Sagen wir nicht, angesichts der Not in der Welt dürften wir uns dies nicht erlauben. Bei meinen Kontakten mit der Dritten Welt bin ich immer wieder überrascht, wie gerade dort, wo große Not herrscht, die Freude am Spiel, die Freude am Schmuck, die Freude an der Gastfreundschaft und am Mahl keineswegs erloschen sind. Ja, der Mensch, dessen menschliche Existenz bedrängt ist, hat erst recht ein Gespür dafür, daß es zum Menschen gehört, nicht nur die materiell elementaren Bedürfnisse zu erfüllen. Nur wenn der Mensch mehr sein darf als er selbst, ist er Mensch. Das, was in einem bloß materiell rechnenden Sinn „nicht notwendig“ ist, vermag Zeichen des Kostbarsten und Notwendigsten zu sein: der Gnade.

Einsatz von Mitteln, Großzügigkeit, dies tut not – aber, noch einmal sei es gesagt, ohne die Meinung, Kunst herbeikommandieren und herbei-organisieren zu können.

Das letzte Wort des Theologen zur Frage Kirche und Kunst muß ein ratloses und machtloses Wort sein. Wenn es darum geht, daß das Wort Fleisch wird, dann kann man nicht durchs bloße Wort das Fleisch ersetzen. Es braucht gerade den Überschuß, es braucht gerade den unableitbaren Sprung, es braucht gerade das Mehr über die bloßen Argumente hinaus. Wo, nach dem Wort des Römerbriefes, die Bedrängnis Geduld bewirkt statt Enttäuschung, da werden wir in jene andere Logik [22] eingestimmt, die von der Bedrängnis eben zur Geduld, von der Geduld zur Bewährung, von der Bewährung zu jener Hoffnung führt, die nicht enttäuscht (vgl. Röm 5,1–5). Und nur im Zuge solcher Logik wird die Kunst, die Kunst in der Kirche, aufbrechen.

Das Wort will Fleisch werden, die Kirche will Braut werden. Wo beides geschieht, da müssen wir zur Stelle sein. Wo wir uns gegenseitig in unserem Leben das Wort bezeugen und es miteinander Fleisch werden lassen in unserem Alltag, wo wir uns gegenseitig das gönnen, was wir brauchen und mehr als das, wo wir auf die Freude füreinander sinnen und auf die Freude für jene, die sonst von niemand Freude erfahren, da bereiten wir das Klima, in dem auch jene Geschenke sich uns in die Hand legen können, die es würdig sind, daß wir sie dem Herrn, dem Bräutigam, im Namen der Braut schenken. So werden wir lernen, Braut zu sein, und dann wird der Geist mit uns sein, der mit der Braut zusammen dem Bräutigam zuruft: Komm! (vergleiche Off 22,17). Und die Braut möchte den Bräutigam nicht nur rufen am Ende der Geschichte, sondern im Jetzt, damit auch jetzt Hingabe geschieht und im Hingeben das Geschenk der Braut an den Bräutigam, die Kunst. Wir müssen darum spielen und darum ringen, bis dies geschieht – und Kirche und Bischöfe müssen dabei mitringen und mitspielen.