„Christus nachgehen“ – in welcher Weggemeinschaft und in welcher auctoritas?
Klaus Hemmerle: Impuls für den Weg 2019
Lassen wir noch einmal Klaus Hemmerle selber sprechen zu auctoritas:
„Die auctoritas, die in der repraesentatio Christi besteht, liegt darin, daß ich Fenster werde, – Fenster, durch das die Aussicht auf ihn hin gewährleistet wird. Aber dann hat eben derjenige, der Autorität ausübt, eine mehrfache Kenosis, eine mehrfache Selbstentäußerung zu leben, in der er erst Autorität wird. Er hat die Autorität zu leben, daß er sagt: Du allein bist maßgeblich, nicht ich. Er hat das aber auszuweisen, indem er sagt: Du, über den ich Autorität habe, Du bist es, Du bist der Richtige; auf Dich kommt es an. Er vermehrt die Sichtbarkeit Christi („augere“), er läßt den Anderen wachsen in seiner Freiheit.
[...]
Dann aber ist es entscheidend, daß desweiteren die Gemeinschaft mächtig wird als solche, – daß also Gemeinschaft selber mehr vermag als nur der Amtsträger. Das Mächtigwerden der Gemeinschaft als einer solchen im gegenseitigen Austausch zwischen allen Gliedern und auch zwischen Amt und Gemeinde ist entscheidend. (Auctoritas, 4)
Stichwort GEMEINSCHAFT. Hemmerle geht einen Schritt weiter von der Haltung des Einzelnen in das Gefüge des Miteinanders und Zueinanders der verschiedenen Akteure in Kirche! Was bedeutet das Sprechen davon, dass „Gemeinschaft selber mehr vermag als nur der Amtsträger“?
In Lingen haben die deutschen Bischöfe einen synodalen Weg beschlossen. Konkretes gibt es dazu noch nicht. Gregor Maria Hoff, Fundamentaltheologe in Salzburg, der wie Julia Knop auch in Lingen gesprochen hat – über die Sakralisierung von Macht – meint in einem Beitrag von Ende März, er habe Hoffnung
„[…] weil man die Dynamik unterschätzt, die eine ‚Synode auf dem Weg‘ (Marx) freisetzen kann. Lingen war mehr als nur ein Versprechen, Lingen ist der erste Schritt. Für eine Kirche en marche, die im Kollaps ihres Vertrauens wirklich aufbricht, bedarf es weiterer.“1
Papst Franziskus hat einmal gesagt, Kirche und Synode seien Synonyme. Damit das wahr wird, braucht es eine bestimmte innere Haltung und es braucht angemessene Strukturen. Das hat Klaus Hemmerle damals im Weggemeinschaftsprozess schon betont, dass Weggemeinschaft nicht bloßer Inhalt bleiben dürfe, sondern auch Stil werden solle, also haltungsbildend – und dass der Prozess Weggemeinschaft sich schließlich in adäquaten Strukturen niederschlagen müsse. Er konnte das leider nicht mehr selber in unserem Bistum zu Ende führen. Es bleibt aber für uns in Kirche heute nach wie vor Programm.
Abschließend je ein ermutigendes Beispiel (a) zu dieser Haltungsfrage des Einzelnen, seiner Stilbildung2, und (b) zur strukturellen Absicherung des Volk Gottes-Charakters von Kirche:
(a) Beispiel zu HALTUNG / STIL Papst Franziskus sagte auf der Loggia des Petersdoms nach der Wahl am 13. März 2013:
„Und nun möchte ich den Segen erteilen, aber zuvor bitte ich euch um einen Gefallen. Ehe der Bischof das Volk segnet, bitte ich euch, den Herrn anzurufen, dass er mich segne: das Gebet des Volkes, das um den Segen für seinen Bischof bittet. In Stille wollen wir euer Gebet für mich halten.“ […]
Michael Böhnke hat diese Szene in ihrer theologischen Tiefenstruktur analysiert und gedeutet:3
„Um ihnen den Segen erteilen zu können, bittet Franziskus in einem ersten Schritt die versammelten Menschen, […] den Herrn anzurufen – dies ist der zweite Schritt. Das ganze Volk einschließlich des Bischofs ruft den Herrn an, und betet darum, dass der Herr den Bischof segne. Dies ist der dritte Schritt in diesem komplexen Geschehen; denn erst, wenn der Herr den Bischof segnet, kann der Bischof dem Volk den Segen erteilen, indem er den Segen des Herrn dem Volk zueignet.
Der Papst setzt mit seiner komplexen Formulierung voraus, dass das Volk sich den Segen Gottes nicht selber zusprechen könne. […] Zu segnen, das sei das Privileg des Herrn. Jedoch impliziert die von Franziskus gewählte Formulierung die Unmittelbarkeit des Volkes zu Gott. Das Volk ist insofern nicht auf das Handeln des Bischofs angewiesen. Es kann Gott jederzeit, überall und unmittelbar anrufen. […] Diese dialogische Unmittelbarkeit zu Gott begründet theologisch die Autorität der Geleiteten.
[…]
Das Volk empfängt seinen Segen ebenso wie der Bischof vom Herrn. Im Handeln des Bischofs stellt sich sodann das Handeln Gottes dar.“
Der Papst hält die sensible Balance zwischen dem Volk Gottes als Ganzem und ihm als Amtsträger. Darin erweist sich seine innere auctoritas. Wenn die Glieder des Volkes Gottes diese auctoritas im persönlichen Kontakt mit Ordinierten nicht wahrnehmen, werden sie sich auf ihre Gottunmittelbarkeit zurückziehen – mit allen Konsequenzen für die Kirche als Körperschaft.
(b) Beispiel zu STRUKTUREN
Am 25.11.2018 – anlässlich des 50jährigen Bestehens der Limburger Synodalordnung sagte der Limburger Bischof Georg Bätzing:4
„Ich bin bereit, mich in einer erneuerten Beratungs- und Synodalkultur freiwillig an den repräsentativ erteilten Rat des Gottesvolkes unserer Diözese zu binden und das beratende Stimmrecht in den Fragen, die alle betreffen und nicht die verbindliche Glaubens- und Rechtsordnung der Kirche berühren, in ein entscheidendes Stimmrecht umzuwandeln.“
Diese Ankündigung stellt eine wirklich belastbare Entscheidung auf dem Weg einer Ortskirche dar, die erkennt, dass sie von einem Mehr an Synodalität profitieren wird. Es ist zu hoffen, dass sich dieser Trend verstärkt.
Junge Menschen werden eine Haltung wie die des Papstes und Schritte wie im Bistum Limburg – Ereignisse, über die wir Älteren uns noch freuen – als selbstverständlich voraussetzen und nicht besonders dankbar dafür sein. Sie nehmen ihre Kirche und deren Entwicklungen aufmerksam wahr.
Nicht nur der Glaube kommt vom Hören (vgl. Röm 10,17). Auch das Kirche-sein lebt aus dem Hören. Mit dem Hören beginnt alles. Auch die „lehrende Kirche“ muss dieses Hören noch mehr lernen.
Dabei auch immer wieder mal auf Klaus Hemmerle zu hören, kann nur empfohlen werden.
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Gregor Maria Hoff, Kirche en marche?, in: Die Furche, 28.3.2019, S. 13. ↩︎
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Vgl. Christoph Theobald, Christentum als Stil. Für ein zeitgemäßes Glaubensverständnis in Europa, Freiburg 2018. ↩︎
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Michael Böhnke, Leitung als dialogischer Vollzug – Vortrag anlässlich des 25jährigen Jubiläums der Pfarreileitung nach can. 517 §2 CIC im Bistum Aachen, 15.9.2019 – unveröffentlichtes Manuskript, 4–5. ↩︎
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Limburgs Bischof will Laienräten mehr Rechte geben – Quelle: www.katholisch.de – Zugriff: 9.4.2019. ↩︎