„Dein Reich komme“
Kleine Botschaft, die das große Reich ansagt
Zur Gebärde des Propheten, der sich in sich selbst hineinbeugt, um zum Himmel zu rufen, gehört auch die Gebärde des Boten, der Ausschau hält, Ausschau nach dem Zeichen Gottes und den Zeichen der Zeit.
Beten ist mehr als Selbstbegegnung, es ist Selbstüberschreitung. Beten ist Ruf. Ruf, der gewärtig ist, zu hören und sieh erhören zu lassen.
So ist auch die Bitte „Dein Reich komme!“ bereits Botschaft. Das Reich ist nahe, das Gebet wird erhört.
Wo aber sehen wir die kleine Wolke, wo wird unserer Bitte die Botschaft, wo grenzt die Verheißung bereits jetzt au die Erfüllung?
Zeichen der Botschaft, Zeichen des kommenden Gottesreiches – wo begegnen wir ihnen?
Ja, wo sind hier und jetzt, hier in Aachen, jetzt auf dem Katholikentag die Gotteszeichen und Zeitzeichen aufgerichtet? Wo ist sie, die kleine Botschaft, die das Kommen des großen Reiches ansagt?
Ich möchte auf vier kleine Gotteszeichen hinweisen, die Zeitzeichen sind.
Der Aachener Katholikentag ist verwoben mit der Heiligtumsfahrt. Seit dem Mittelalter bewegen sich alle sieben Jahre Pilgerströme aus ganz Europa nach Aachen. Was zieht sie an in der ehrwürdigen Pfalzkapelle Karls des Großen, die nach dem biblischen Bild des Himmlischen Jerusalems erbaut ist? Vier unscheinbare Stücke Stoff. Sie erinnern daran, daß in der Schlichtheit, Kleinheit und Alltäglichkeit menschlichen Lebens Gottes großes Reich bereits unter uns zu wirken begonnen hat.
Da ist das Enthauptungstuch, das uns gemahnt an Johannes den Täufer. Er hat uns mit seinem Wort und seinem Blut Zeugnis gegeben für den, der nach ihm kaum und der größer war als er. Lebt nicht auch in unserer Zeit mannigfach Zeugnis, in denen, die verfolgt werden, die Unrecht erleiden und doch segnen, in denen, die das Wort verkünden, es sei gelegen oder ungelegen, in denen, die lieben, wo andere hassen, in denen, die vertrauen, wo andere verzweifeln? Der Zukunft Zeugnis geben – wo dies geschieht, da zieht die Wolke herauf, die den Regen Gottes über diese Erde bringt.
Da ist das Kleid, das uns gemahnt an die Jungfrau Maria. Sie gab in ihrem Ja dem Ja Gottes, dem Jawort, das selber Gott ist, die Chance, unser Fleisch anzunehmen. [92] Der Zukunft Leben geben – dies geschieht dort, wo Gottes ja unser Herz besiegt, so daß wir über unsere Ängste, Berechnungen und Möglichkeiten hinaus ja sagen zum Leben. Wo Menschen Treue wagen und Treue halten, wo Menschen geschenktes Leben annehmen und durchtragen, wo Menschen, statt über ihr Leben und sein Ende zu verfügen, es bedingungslos freigeben in die Hände Gottes, da zieht die Wolke auf, die das Wasser des Lebens spendet.
Da sind jene Windeln, die uns an den gemahnen, der für uns Kind geworden ist. Was er ein für allemal angenommen hat, unsere menschliche Natur, das behält er für ewig. Gottes Zukunft ist und bleibt der Mensch, in der Geburt des Sohnes Gottes ist unsere Zukunft schon geboren. Gott selbst ist unsere Zukunft – und der Mensch ist unsere Zukunft. Für immer ist jeder Mensch versiegelt im Antlitz Jesu Christi. Jeder einzelne ist unsere Zukunft, unser Gericht und unsere Seligkeit.
Da ist schließlich jenes Lendentuch, das uns gemahnt an den Kreuzestod Jesu. Gottes Herrschaft kam und kommt nicht, indem Probleme, Abgründe, Schwierigkeiten wegrationalisiert werden, Gottes Reich kam und kommt nicht durch den Griff einer bemächtigenden Allmacht, sondern indem die göttliche Allmacht sich ausliefert: Ohnmacht der Liebe, die teilt, mitleidet, aushalt. So aber wird von unten und innen her alles verwandelt. Der Zeuge und die Mutter, die Krippe und das Kreuz, Zeichen der Verborgenheit, Zeichen der stillen Nähe Gottes: diese kleine Botschaft wollen wir in den kommenden Tagen miteinander durchbuchstabieren - und so kann in der kleinen Botschaft unserer Werkstücke und Begegnungen, unserer Gebete und Gespräche, unserer Worte und Wege sich das große Reich ansagen, das unterwegs ist zu uns.