„Dein Reich komme“

Kleine Wolke, die den großen Regen bringt

Ich habe mich gefragt: Wie heißt die große Dürre heute? Was läßt uns Ausschau halten nach der regenspendenden Wolke? Was preßt uns den flehentlichen Ruf auf die Lippen: „Dein Reich komme!“?

Ist es die große Angst? Die Angst, die mit ihren immer neuen Visionen unseren Blick in die Zukunft zustellt und den Willen zum Leben, den Mut zur Zukunft lähmt?

Ist es das Erzittern vor den ungeheuren Möglichkeiten, die in unsere Menschenhände gelegt sind? Die Zweitwirkungen unseres Handelns, die wir noch nicht abschätzen können – sind sie nicht stärker als die Wirkungen, die wir planen? Und wenn es uns gelänge, alles bis in seine Konsequenzen hinein zu durchschauen, hätten wir dann weniger Grund zum Mißtrauen? Gibt es etwas, das ungewisser ist als unser eigenes Herz?

Und doch, im letzten ist es nicht die Erfahrung der eigenen Ohnmacht oder der ebenso gefährlichen eigenen Übermacht angesichts der Zukunft, die rufen heißt: Dein Reich komme! Ein Gott, den ich nur brauchte, um mit meiner eigenen Ohnmacht oder Übermacht leben zu können, wäre nicht der lebendige Gott, mit dem ich wahrhaft leben kann. Vielleicht liegt genau hier die Not. Die Möglichkeiten unserer neuzeitlichen Technik und Wissenschaft sind ein Geschenk. Wir dürfen es nicht eintauschen gegen einen neuen Irrationalismus. Aber wir müssen uns doch fragen: Haben wir mit unserem Können nicht allzu selbstsicher an einem Reich gebaut, für das wir zwar Gott noch an den Notausgängen des Daseins brauchten – aber so haben wir diesen Gott verbraucht. Wir haben ihn zum Schatten werden lassen, den unsere eigene Ohnmacht oder Macht an die leere Wand unserer Zukunft wirft.

Wir können nicht übersehen: Es gibt mannigfache Aufbrüche einer neuen Religiosität. Sinnleere, Übersättigung und Unvermögen, allen Bedürfnissen gerecht zu werden, nähren die Frage: Ist alles wahrhaft alles? Tod und Schuld lassen sich weniger verdrängen als vor 10 oder 20 Jahren. Allerdings treibt die lange Gewohnheit, doch alles können und über alles verfügen zu wollen, eine erschreckend hohe Zahl Jüngerer wie Älterer in die Versuche abergläubischer und magischer Bewältigung dieses Gottes [90] – aber so wird dieser gerade entgöttlicht, zum Instrument unsere Mögens und Machens.

Auf der einen Seite also neue Religiosität mit manchen hoffnungsvollen Zeichen, aber auch mit manch ungefährem Dunst, aus dem kein lebenspendendes Wasser regnet. Und auf der anderen Seite das Vertrocknen und Verdunsten des Glaubens. Das Leben ohne Gott wird für immer mehr Menschen zur schier unbemerkten Selbstverständlichkeit. Zumindest aus vielen Bereichen des Daseins wird Gott ausgetrieben – oder besser: er ist einfach nicht mehr da. Auch Menschen, die zu diesem Gott rufen in den Spitzenzonen ihrer Not und Bedrängnis, kommen nicht mehr auf die Idee, daß er mit ihrem Alltagsverhalten, mit ihren Gefühlen und Worten, mit ihrem Schlafen und Aufstehen, mit ihrem Lieben und Wachen, mit ihrem Gebrauchen und Genießen, Verzichten und Entbehren etwas zu tun hat. Der verschwundene Gott, der abwesende Gott. Und viele andere, die es gar nicht gut finden, ohne Gott zu leben, finden nicht den Einstieg, wie mit Gott leben.

Es ist das Vertrocknen unseres Lebens mit dem lebendigen Gott, was da drängt, zum Himmel zu rufen: Dein Reich komme!, nach der kleinen Wolke Ausschau zu halten, die den großen Regen bringt.