Das Neue ist älter

Konsequenz: neues Seinsverständnis, neue Transzendentalienlehre

Wir können das unüberbietbar Neue der göttlichen Ursprünglichkeit nur denken, wenn wir die reziproke Transzendenz der Liebe denken, die sich zur Erscheinung bringt und die sich ins Geschehen einbringt. Aus der Ursprünglichkeit der Liebe, aus der freien Konsequenz ihrer Selbsttranszendenz nach außen und unten soll alles neu gesehen und gedacht werden. Alles, was sich ereignet, alles, was ist, hat seine Geschichte, hat seine Genese, hat seinen Ort und Stellenwert aus ihrer Ursprünglichkeit und Mächtigkeit her.

Der erste Schritt einer „neuen“ Theologie, die aus dem „Älteren“, der Quelle, wächst, ist die relecture der Aussagen und Bestimmungen der alten Theologie aus der Neuigkeit der sich selbst überbietenden und darum unterbietenden Liebe. Dieser erste ernötigt einen zweiten Schritt: Wie ist aus dem Einen alles zu verstehen, nicht im Sinn einer Deduktion, einer Konstruktion, sondern in dem neuen Licht, in welchem der Ursprung selber neu aufgeht, erscheint? Gefragt ist also nach einem neuen Seinsverständnis, nach einem neuen Verstehen von Welt und Mensch. Noch weiter zugespitzt, heißt diese Frage: Welche Transzendentalien gehören zum Sein in einem Verstehen, das geleitet ist von der absoluten Anfänglichkeit der sich mitteilenden, verschenkenden Liebe? Transzendentalien, das sind jene Bestimmungen des Seins in der klassischen Philosophie, die gleich groß sind wie das Sein selber, sozusagen die elementaren Farben des Seins, in die sich allüberall, wo von Sein die Rede sein kann, dieses Sein bricht und auslegt. Diese mit dem Sein selber deckungsgleichen „Farben“ des Seins lauten in der Tradition, die eine nicht durch Ableitung vermittelte Grunderfahrung spiegelt: seiend, eins, wahr, gut, schön – und bei Thomas fügen sich hinzu: je etwas und je anders (ens, unum, verum, bonum, pulchrum – res, aliquid als aliud quid).

Nun also: Wiederholen sich in einer neuen Sicht des Seins, welcher die Liebe das Älteste und Ursprünglichste ist, diese transzendentalen Bestimmungen, treten neue an ihre Stelle, verwandeln sich die alten, werden sie selber neu? Es kann hier nur in groben Strichen eine Skizze, eine zugleich gewagte und zögernde Intuition geboten werden.