Berufungspastoral um die Jahrtausendwende
Konsequenz: Programmskizze für einen Ansatz von Berufungspastoral
Es ist nicht die Aufgabe dieses Beitrages, aus dem gezeigten Ansatz heraus Maßnahmen vorzuschlagen, ein operationalisierendes Programm zu entwerfen. Wohl aber scheint es sinnvoll, an einem einfältigen Sprachspiel anthropologische und theologische Aufgaben für eine Berufungspastoral zu verdeutlichen, die sich dem gezeichneten Ansatz verpflichtet. Da empfehlen sich mir – und es ist für mich mehr als nur ein Spiel – die persönlichen Fürwörter unserer Sprache als Leitfaden. Wenn das Denken anders wird, dann klingen die Grundworte anders, und zu diesen Grundworten gehören eben: ich; du; er, sie, es; wir; ihr; sie. Diese Pronomina, diese Fürwörter bezeichnen das Gefüge, in dem wir uns mit den anderen, mit den Dingen, mit Menschheit und Welt befinden. Wer an den dreifaltigen Gott glaubt und von ihm her sich und alles sieht, dem gewinnen diese Worte einen neuen Klang. Diesen neuen Klang hörbar und sprechbar zu machen mit der Stimme und mit dem Leben, ist eine Grundaufgabe von Pastoral, von Berufungspastoral.
Ich: Niemand hat mehr Mut, ich zu sagen, als jener, der weiß: ich bin gerufen, ich bin gemeint. Er sagt: Da bin ich. Und wenn er dies sagt, dann weiß er, daß fortan sein Ichsagen in Anspruch genommen ist von dem, der ihn ins Dasein und im Dasein ruft. Freiheit wird zur Bindung, zur Möglichkeit einer Hingabe, die das Kreisen ums Ich, die Sorge ums Ich aus der Hand legt. Ichsagen wird durch den „Verzicht“ in Ehelosigkeit, Gehorsam und Armut nicht halbiert, erdrückt, verarmt, son- [13] dern in der Entblößung von verfügbaren Gütern und Konzepten und erfüllender menschlicher Gemeinschaft vollbringt der Gerufene das Ichsagen als ein zugleich exklusives Dusagen zum Herrn und universales Dusagen mit ihm zu den andern. Ichstärke als Kraft der Ich-gabe, Mut zum ersten Schritt als Antwort, dies ist die neue Qualität in einer Anthropologie des Rufes.
Du: Im Grunde hätte mit diesem Wort die Reihe der Fürwörter anfangen müssen, da in jedem Ich das Du mitgesagt, besser: da nur im Dusagen das Ich mitgesagt werden kann. In der Antwort erwache ich zu mir selbst. Diese Antwort aber ist nicht funktionalisiert, damit ich ich sagen könne, sondern du bedeutet Zuwendung und Zulassung. Ich lasse dich an mich heran und lebe mein Ich außer mir, in dir. Dieses Du hat in einer Anthropologie des Rufes den unlöslichen Zweiklang, Anrede Gottes und Anrede des Nächsten zu sein. Die unteilbare und eine Liebe: in der Liebe zu Gott Liebe zum Nächsten, in der Liebe zum Nächsten Liebe zu Gott – qualifiziert christliches Dusagen, ist Stigma der Berufung, die als Berufung zu Gott immer zum Menschen und als Berufung zum Menschen immer zu Gott hin führt.
Er, sie, es: Man ist versucht zu sagen, es dürfe in einer Anthropologie des Rufes keine „dritte Person“ geben im Sinne einer bloß mittelbaren Beziehung. Richtig daran ist, daß ich nie jemand auf diese „dritte Person“ fixieren dürfte, so als ob er abgeschrieben und ausgeschlossen wäre von meinem Dusagen. Mein Leben ist Leben in der Gegenwart aller, die Gott gegenwärtig sind, wenn es Leben in Gottes Gegenwart, im Dusagen zu ihm ist. Aber zu dem entschlossenen Leben im Ruf gehört es auch, jemand und etwas lassen, Ihm, dem göttlichen Du lassen zu können. In der Zuwendung zu Gott aber ist der, den ich lasse, das, was ich lasse, gegenwärtig, „anempfohlen“. Die Grundform der dritten Person ist christlich: die Fürbitte. Freilich geht es um noch ein Er. Um jenes Er, das z. B. der Jünger, den Jesus liebte, zu Petrus nach der Auferstehung sagte, als der Herr am Ufer stand: „Es ist der Herr!“ (Vgl. Joh 21,7). Der Gerufene ist gerufen zum Zeugnis, zum Hinweis, zum Sprechen von dem, wovon sein Herz erfüllt ist, oder auch zum schweigenden Dasein, in welchem dieser „Er“ durchscheint. Er will da sein als der Dritte, wenn wir beieinander sind (vgl. Mt 18,20).
Und noch einen Augenblick müssen wir verweilen beim Es. Die Dinge lösen sich in einer Anthropologie des Rufes nicht auf, sondern sie werden zur Gabe, die uns gegeben ist – zum Geben. Die rechte Beziehung zu den Dingen, ihr Eigenwert als Communiowert, ihr Geschaffensein-für, als ihre Schönheit und ihr Rang: dies gehört ausdrücklich in eine Anthropologie des Rufes hinein.
Wir: „Gemeinschaftsfähigkeit“ ist nicht eine Qualität, die zur Ichstärke und individuellen Beziehungsfähigkeit hinzuaddiert werden könnte. Das „Ich“ des Bekenntnisses stimmt immer ein in das „Wir“ des Glaubens. Im Ich wie im Du, aber auch im Es wird dieses Wir je ergriffen, es ist der Horizont, aus dem ich und du und es mir begegnen, und geschieht zugleich der Überschritt in jene liebende Ganzheit hinein, als welche Kirche existiert und als welche sie Sakrament der die ganze Menschheit umfangenden und einenden Liebe Gottes ist (vgl. LG 1).
Ihr: Das problematischste Fürwort [14] scheint das Wörtchen „Ihr“ zu sein. Abgrenzung, Gegenübersein? Ja, auch dies muß geschehen können. Einung und Unterscheidung lassen sich nicht trennen, Unterscheidung ist Bedingung der Einung und, freilich mehr noch, umgekehrt. Das Prinzip „ungetrennt und unvermischt“ reicht über seinen christologischen Ursprung hinaus. Der Gerufene muß den Vielen gegenübertreten können, muß Zeichen des Widerspruchs sein können, doch auch als solches Zeuge der Liebe sein, in der Anrede, in der Zuwendung bleiben. Die Position „zwischen Martyrium und Dialog“ gehört in die Anthropologie des Rufes mit hinein.
Sie: Das Eintreten für die Vielen, für alle, die Annahme derer, zu denen der Herr sendet und für die er bestellt, das Zugehen auf jene, die ich noch nicht kenne und für die ich doch da bin, die Einfügung in den universalen Horizont der Menschheit, Dasein für sie, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben (vgl. Joh 10,10): dies ist der Horizont der Berufung.
Sicher, die Einübung in die Fürwörter ist immer und überall eine Leitlinie für die Berufungspastoral. Die allgemeinen menschlichen Voraussetzungen, wie die konkreten Kriterien für das Vorliegen eines Rufes und für die Fähigkeit, ihm zu entsprechen, lassen sich an ihnen ablesen. Ich denke jedoch, daß gerade in unserer Situation auf 2000 zu die Umwandlung des isolierten Ich und des kollektivierten Wir durch die Fülle der Beziehungen, die dem „aus der Einheit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes geeinten Volk“ entsprechen, von grundlegender Bedeutung dafür sind, daß Samuel die Stimme des Herrn hören und wir als Eli sie ihm deuten können.
Ihre letzte Tiefe erhalten diese Fürwörter, wenn wir sie als die stumme Sprache des am Kreuz Ausgespannten deuten. Er ist der Gerufene schlechthin. Er ist der Rufende, in dem Gott sich hinausgibt in die äußerste Fremde und Ferne und in dem Gott uns hineinzieht in sein dreifaltiges Leben.
Der Durchbohrte allein ist der Verherrlichte, er ist das Zeichen der Zeit.