Weltdienst – Heilsdienst

Konsequenzen

Die unmittelbare Konsequenz für die Orientierung und Arbeit des organisierten Laienapostolats heißt: Bei jedem Thema, das zu behandeln ist, müssen ebenso die Weltdimension wie die Heilsdimension komplementär deutlich werden. Es kann keine gesellschaft- [63] liche Aufgabe, keine Aufgabe des Weltdienstes und der Weltverantwortung geben, die nicht ihren Reflex in Theologie und Pastoral hätte. Das will nicht sagen: alles vereinnahmen für Theologie und Pastoral, für jedes und alles theologische Begründungen suchen. Es geht nicht nur um „Begründungen“, sondern um das Leben der Gründe, aus denen christliche Stellungnahme und christliches Handeln wachsen. Wenn wir uns etwa fragen, wie wir unseren Beitrag leisten können zur Weiterentwicklung des Strafrechts oder zur Befestigung des Konsenses in den Grundüberzeugungen und Grundwerten innerhalb unserer Gesellschaft oder zum Ausbau der Kommunikation über den eigenen Raum unseres Landes hinaus mit anderen Ländern, dann ist derlei nicht bloß Sache des Weltdienstes. Es braucht dazu auch und gerade eine innere Erneuerung, eine innere Besinnung; solcher Dienst an Welt und Gesellschaft hat Rückwirkungen auf die Pastoral, Rückwirkungen darauf, wie wir den Glauben verstehen, verkünden und leben.

Umgekehrt gibt es aber auch keine theologische und pastorale Frage, die nicht ihren gesellschaftspolitischen Reflex hat. Ich bin z.B. zutiefst davon überzeugt, daß die Dogmen von der Inkarnation und von der Trinität mit der Gesellschaft und ihrer Gestaltung etwas, sogar sehr viel, wenn nicht alles zu tun haben. Nur vom Innersten unseres Glaubens her vermögen wir das Wort zu finden, das die Welt braucht.

Das Ineinander von Gotteswort und Menschenwort verlangt es – dies eine zweite Konsequenz –, sie macht es zu einem Kennzeichen ebenso christlicher Spiritualität wie christlichen Weltdienstes, daß der Christ und daß zumal die Initiativen des Laienapostolats jeden Zollbreit geistlich und weltlich denken und handeln. Wir können daher weder an den Menschen, den Verhältnissen, den Fragen der Welt vorbeigehen, noch können wir uns in ein weltloses Wort Gottes zurückziehen. Wir müssen es wagen, [64] diese Spannung auszuhalten, diese Übersetzung zu wagen, den Ausgang des Wortes in die Welt und die sammelnde Rückkehr der Welt ins Wort immer mitzugehen. Wir müssen jeden Augenblick die Menschen, die Welt „drinnen“ haben, wir müssen aber auch das Wort Gottes „drinnen“ haben.

Und deswegen das dritte. Solche Vermittlung kann nur als gelebte Vermittlung, nur als gelebte Synthese gelingen. Die spirituelle Orientierung des Laienapostolats scheint mir eine Orientierung am ganz verstandenen und ganz gelebten Wort Gottes sein zu müssen. Ich glaube daran, daß die Worte Gottes, die uns in der Schrift begegnen, eben tatsächlich Worte des Wortes sind, Worte, in denen das Wort sich uns zusagt, in dem alles erschaffen und erlöst ist. Und ich glaube auch: Gerade indem wir die menschliche und die göttliche Dimension des Wortes (sie lassen sich nicht halbieren) jeden Augenblick zur prägenden Macht unseres Lebens werden lassen, vermögen wir auch die hermeneutische Frage anzugehen, jene Frage des Verstehens, des Übersetzens, des Gestaltens aus dem Wort Gottes heraus, ohne dabei über dieses Wort selber verfügen zu wollen. Dieser Weltdienst kann nur eingeübt werden, wenn wir uns einüben am Wort Gottes, es verstehen und annehmen als Wort für jeden von uns und als Wort für die Welt. Denn wer nicht persönlich mit dem Wort Gottes umgeht, der verliert die Welt aus dem Blick, die ja dem Wort zugehört, weil das Wort menschwerdend ihr zugehören wollte.

Anfangen beim Wort Gottes, es aber nicht nur als Theorie verstehen, sondern als Wort zum Leben – diesen Anfang können wir nie hinter uns bringen. Gerade neuere Exegese zeigt uns, wie Worte der Schrift erst aus dem Lebenszusammenhang der Gemeinden niedergeschrieben wurden und so wiederum für die Gemeinden zum Leben geworden sind. Deswegen können auch wir nur dann dieses Wort ganz verstehen, wenn wir es in die Praxis unseres eigenen [65] persönlichen Daseins übersetzen und wenn wir die Versuche, die wir auf diesem Weg machen, auch mutig miteinander austauschen, wenn wir also dieses Wort leben und es gemeinsam leben. Ich meine, wir dürfen in einer Versammlung wie der unseren außer über den § 218 StGB – um nur irgendein Beispiel herauszugreifen – auch über unsere Erfahrungen mit dem Wort Gottes reden, und wir werden dann sogar noch menschlicher und noch christlicher auch über den § 218 sprechen können. Genau hier liegt doch die Chance der Initiativen des Laienapostolats: daß wir im Dienst an einer konkreten Sache Gemeinschaft sind, Gemeinschaft, die letztlich aber nicht durch diese konkrete Aufgabe zusammengebunden ist, sondern weil wir uns auf dasselbe Wort eingelassen haben. Also: miteinander das Wort leben, es leben im Angesicht der Erfahrungen und Aufgaben der Welt, es leben in diesen Erfahrungen und so seine lebendige Übersetzung ermöglichen. Ist nicht dies gerade der innerste Auftrag des Laienapostolats: im Fleisch der Welt gelebtes Wort darstellen und es einbringen ins Leben der Kirche?

Wo das Wort gelebt wird, wo es Gemeinschaft und Welt prägt, wird sich die befreiende Alternative des Christlichen erweisen: Macht verwandelt sich von knechtender Herrschaft zu gestaltendem Vermögen; Freiheit meint nicht mehr Kreisen um die eigene Emanzipation, sondern sie meint Freiheit, sich zu überschreiten in Einsatz und Hingabe, sie meint Freiheit, sich im Verlieren zu gewinnen; Kommunikation wächst über den Schlagabtausch fixierter Parolen oder über den verbesserten Kompromiß hinaus zur Verständigung, welche Vielfalt wahrt und Einheit gewährt. Der „Rest“ der Ohnmacht, der Unfreiheit, der Isolation, der zurückbleibt, wird zum Stachel des Hoffens und Handelns.