In welchen Fragen sollen Kirche und Christen öffentlich sprechen?

Konsequenzen für den Menschen

Lesen wir den Menschen vom Bund Gottes her, so zeigen sich sowohl in der Vertikalen wie in der Horizontalen einige Grundmomente, die für alle gesellschaftlichen und weltlichen Gestaltungsfragen Kriterien setzen. In der Vertikalen: das heißt in seiner Verhältnisbestimmung nach oben, zu Gott hin; in der Horizontalen: das heißt an dem, was der Mensch im Verhältnis zu sich, zum Mitmenschen und zur Welt ist.

Momente der Vertikalen: Transzendenz: Wenn der Mensch zum Bund mit Gott gerufen ist, dann schließt er sich nicht in sich selbst, sondern ist über sich hinaus offen, er reicht zum schlechthin Anderen seiner selbst, zu dem, was ihm entzogen ist, zum Unbedingten.

Immanenz: Aus demselben Grund, aus der Berufung zum Bund, folgt aber auch das scheinbare Gegenteil, die Immanenz. Wenn nämlich der Mensch Partner Gottes ist, so muß er sich selbst in die Beziehung zu Gott einbringen, so ist er in sich von Gott ernst genommen, so ist er nicht in Gott hineinnivelliert, sondern in sich stehendes Gegenüber zu Gott. Das Stehen des Menschen in sich und in seiner Welt wird in seiner Bundesbeziehung zu Gott gewährleistet, vorausgesetzt und erfüllt.

Momente der Horizontalen: Versuchen wir den Menschen in sich selbst, das heißt als den potentiellen oder wirklichen Bundespartner Gottes zu verstehen, so fallen drei Grundbestimmungen an ihm auf, die gegenseitig aufeinander bezogen sind: er ist selbst, er ist nicht [190] von sich selbst, er ist nicht allein. Weil er Partner Gottes ist, ist er verantwortlich, ist er Ursprung, geht er von sich selber aus; daß er verantwortlich, selbst, frei ist, hat er indessen nicht von sich selbst, sondern es ist ihm gegeben. Er ist sich gegeben, und die Bedingungen sind ihm gegeben, unter denen er zu sein und selbst zu sein hat; Selbstsein und Gegebensein beziehen ein Drittes mit ein: daß menschliches Dasein sich auf andere hin öffnet, ihnen mitteilt und diese anderen hineinreichen in den eigenen Horizont, ihn mitbestimmen. Wer den Menschen nur von einem dieser Momente her sähe oder eines dieser Momente ausklammerte oder nicht in Beziehung zu den beiden anderen setzte, dem entstände ein verkürztes Bild des Menschen. Wer jedoch den Zusammenhang dieser drei Momente beachtet, der erhält durch sie eine „Lesehilfe“, um auch die vielfältigen, inhaltlichen und konkreten Bestimmungen des Menschseins und seiner Situation in der Welt zu entziffern.

Um der Bedeutung der uns beschäftigenden Frage willen seien diese Momente noch einzeln in ihrer Kontur fixiert:

Freiheit (Selbstsein): Daß der Mensch von sich her ist, daß er sich selbst entwirft und verantwortet, ist das ihn konstituierende Grundvermögen. Es ist als solches zugleich sein Grundrecht, aber auch seine Grundpflicht, der er sich nicht entziehen darf, weil nicht entziehen kann; denn auch wenn der Mensch den Vollzug seiner Freiheit verweigerte, müßte er dies gerade verantworten.

Gegebenheit: Daß der Mensch ist und frei ist, steht ihm nicht zur Disposition, sondern er ist in diese seine Grundsituation eingesetzt und durch sie zugleich eingesetzt in die Ordnung von Welt, von Grundbezügen, ohne die er nicht sein könnte, in denen er aber, wenn er ist, sein muß. Auch diesem Gegebensein des Menschen an sich selbst und Gegebensein der Welt an ihn eignet der doppelte Charakter der Begabung und der Bindung, die wiederum nicht nur Begrenztheit, sondern die Freiheit herausrufender und herausfordernder Anspruch ist.

Gemeinschaft (Mitsein): Daß der Mensch nicht allein, sondern immer im Horizont von Kommunikation ist, könnte einfach als ein Datum innerhalb seiner Gegebenheit erscheinen. Es ist aber mehr als nur dies; denn erst indem die Freiheit des Menschen der Freiheit anderer begegnet, ist sie im vollen Sinn Freiheit – dies nicht allein deshalb, weil sie andere Freiheit zu ihrer Erfüllung braucht, sondern [191] vor allem dadurch, daß sie als Freiheit andere Freiheit mitbestimmt. Was ich bin und was ich tue, ist Gegebenheit und Anspruch für andere, ob ich will oder nicht; was andere sind und tun, ist Gegebenheit und Anspruch für mich, ob sie es wollen oder nicht. Diese „Gegenseitigkeit“ ist das eigentlich Neue von Gemeinschaft, die nicht in bloßer Freiheit und bloßer Gegebenheit aufgeht.