Glauben – wie geht das?

Kontexte bei Paulus und Johannes

Umkehren und dem Evangelium glauben heißt – dies ist nur eine andere Weise, dasselbe nochmals zu sagen: damit anfangen, daß Gott anfängt, das Anfangen Gottes mittun, seinem Wort, seiner Zusage, seinem Handeln den Vorrang einräumen und auf sein Wort und seinen Anfang hin das Leben neu leben. Wenn uns diese Dynamik deutlich ist, dann werden wir entdecken, daß scheinbar ganz andere theologische Modelle des Neuen Testamentes uns dieselbe Auskunft auf die Frage geben, wie Glauben geht.

Bei Paulus

Zum einen ist da an die Theologie des Paulus zu denken, wie sie uns vor allem der Römerbrief und der Galaterbrief vor Augen stellen. Nicht Leistung, sondern Glauben, nicht Gesetz, sondern Gnade schenken uns Gottes neue Gerechtigkeit. So läßt sich die Formel des Paulus für Gottes Heilswirken in Jesus Christus zusammenfassen. Gott steht nicht mehr gegenüber mit einem Anspruch, den wir durch unser Tun abgelten könnten, so daß wir von uns aus vor diesem Gott bestehen und letztlich unseren Stand in uns vor Gott, Gott gegenüber hätten. Er ist der Vergebende und Schenkende, alles, unser Heil und unsere Gerechtigkeit und das, was wir selber sind, liegt allein an ihm. Das Unsere geschieht im Glauben, den zwar ebenfalls er uns schenkt, in dem aber zugleich wir uns und unsere Freiheit ihm verschenken, uns einfach verlassend auf ihn, von ihm und seinem Verheißen und Handeln den Ausgang nehmend.

Sicherlich entspricht der Absicht dessen, was Paulus sagen will, in [33] der ursprünglichen Frömmigkeit des Alten Bundes mehr, als es in manchen seiner scharf gemeißelten Antithesen aufs erste den Anschein hat. Israels Frömmigkeit geschieht bereits als Glauben, das sich nicht auf sich, sondern allein auf Gottes Verheißung verläßt. Und doch ist mit diesem Ansatz radikal in Jesus ernstgemacht, bricht in ihm die neue, endgültige Position Gottes im Heilsgeschehen durch: er schenkt in Jesus sich selbst, und so wird alles Geschenk (vgl. Röm 8,32). So werden wir befreit zur ganzen Freiheit, zu jener Freiheit, welche die Fülle des Gesetzes in der Liebe vollbringt (vgl. Röm 12,10; Gal 5,13f.). Der rechtfertigende Glaube des Paulus und der Glaube, den die Predigt Jesu vom nahenden Gottesreich fordert, haben dieselbe Struktur, sie gehen in derselben Gangart, mit demselben Schritt.

Bei Johannes

In der johanneischen Theologie können wir auf zwei Motive verweisen, die denselben Ansatz besonders deutlich werden lassen.

Glauben kann nur jener, der nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren ist (vgl. Joh 1,12f.). Das Geborenwerden in der Dimension menschlichen Lebens allein genügt nicht, um das Neue, das Jesus bringt, zu fassen; wir müssen von neuem, wir müssen von oben geboren werden (vgl. Joh 3 insgesamt, besonders 3,3 und 3,31–36). Mitvollzug, geschenkter und zugleich frei sich entscheidender Mitvollzug der Herkunft Jesu aus der anderen Dimension, aus dem Oben Gottes ist der einzige Weg, um nicht in den Verfangenheiten und Ausweglosigkeiten des Unten, der Verzweiflung, der Selbstgerechtigkeit, der Lieblosigkeit steckenzubleiben.

Der von Gott geschenkte Anfang, die Geburt von oben, muß dadurch lebendig und wirklich bleiben, daß wir „von oben“ leben, das heißt aber in Jesu Wort und seiner Liebe bleiben, aus ihm herauswachsen, aus dem Leben Gottes, das er uns bringt (vgl. bes. Joh 14 und 15). Solche Liebe ist zwar unsere Tat, uns aufgegeben und von uns zu vollbringen. Aber sie fängt nicht damit an, daß wir lieben, [34] sondern daß er zuerst geliebt hat (1 Joh 4, 10). Glauben heißt von Gott her anfangen und in Gott bleiben, indem wir in Gott „gehen“, will sagen: lieben wie er. Glauben geht in der Liebe, die sich darin gründet, daß wir an den glauben, der uns zuerst geliebt hat. Das johanneische Urcredo heißt: „Wir haben an die Liebe geglaubt, die Gott zu uns hat“ (1 Joh 4,16). Es ist Reflex und Vollendung dessen, was am Anfang steht: Jesu Botschaft von der Herrschaft Gottes. Herrschaft Gottes bedeutet: Gott geht über sich hinaus, Gott bricht auf in die Mitte unseres Lebens, Gott schenkt sich – und nichts anderes ist jene Liebe, jene agape, von der die johanneischen Schriften sprechen, wenn sie von Gottes Handeln und von Gottes Wesen sprechen.