Was haben Evangelium und Wirtschaft miteinander zu tun?

Konturen einer Phänomenologie der Wirtschaft*

  1. Wird der Vorgang des Wirtschaftens reflektiert, fallen zunächst die ihn leitenden Vollzüge auf: Erwerben, Veräußern und Besitzen; Werterhaltung, Streben nach Wertgewinn und Vermeiden von Wertverlust; Konsumieren, Produzieren und Gütertausch. Ist mit solchen Begriffen das Feld vorläufig abgegrenzt, in welchem Wirtschaft angesiedelt ist, läßt sich aber eine zweite Feststellung treffen.

  2. Alles, was dem Menschen begegnet und ihn bestimmt, findet sich schon in einer zumindest indirekten Beziehung zu den genannten Vollzügen und somit zu dem Feld der Wirtschaft. Sicher wird man einwenden können, daß innerste Überzeugungen zunächst nicht in die Vorgänge der Wirtschaft hineinreichen. Aber auch die Menschen, die für ihre innersten Überzeugungen einstehen, leben und handeln in ökonomisch bestimmten Kontexten, und so berühren auch innerste Überzeugungen das Feld der Wirtschaft. Es mag vielleicht auch so scheinen, als habe spontane christliche Nächstenliebe zunächst nichts mit der Wirtschaft zu tun. Aber auch der barmherzige Samariter mußte für den Mann, der unter die Räuber gefallen war, eine Aufwendung von zwei Denaren bei dem Wirt hinterlegen, durch den er den Verletzten versorgen ließ (vgl. Lk 10,35). Alle menschlichen Verhältnisse, auch die ethischen und kulturellen, reichen mit ihren Voraussetzungen, Folgen oder Kontexten in den Vorgang des Wirtschaftens hinein. Wirtschaft ist dadurch charakterisiert, ein umgreifendes, universales, die einzelnen Bereiche transzendierendes, und das heißt: transzendentales Feld des Lebens zu sein.

  3. Zwei weitere, andere in sich bergende, transzendentale Felder sind in diesem Zusammenhang leitend; diese stehen ihrerseits wiederum in Relation zu dem Vorgang des Wirtschaftens: Natur und Kommunikation.

    Zunächst: Alles was ist, findet in den Zusammenhängen der Natur ihm entsprechende Vorbedingungen, Konsequenzen oder Kontexte. Jedes Geschehen der Natur hat fundamentale Rückwirkungen auf den Menschen in seinem Selbstsein. Der Ausgriff des Menschen in [4] die Welt ist stets hineingehalten in den universalen Kausal-, Final- und Wirkzusammenhang von Natur, die als solche vorgegeben ist.

    Das zweite universale Feld ist das der Kommunikation. Der Mensch steht in seinem Sein und Handeln und angesichts dessen, was ihm begegnet und in sein Lebensfeld hineinreicht, im Zusammenhang der Mitteilung: des Zeichens und des Wortes; des miteinander Denkens und Sprechens, des sich gemeinschaftlich Verfassens der Zeichen und Worte, die vom einen zum anderen hin und her gehen.

    Die immanenten Zusammenhänge der Natur und der Kommunikation treffen nun ihrerseits wiederum im Feld der Wirtschaft aufeinander: Wirtschaft ist bestimmt von Verhältnissen, die als solche vorgegeben sind und einen geregelten Austausch fordern. Im Vorgang des Wirtschaftens geht es um den gesteuerten Austausch von Gütern und damit um einen kommunikativen Prozeß, der für den Menschen fruchtbar ist. Damit aber gewinnt Wirtschaft einen hohen menschlichen Rang: Wirtschaft ist in der Tat nicht nur allumfassendes Feld neben anderen, sondern eines, in welchem das menschliche Leben ins Ganze hineinragt und in welchem das Ganze das menschliche Leben mitprägt.

  4. Wirtschaft birgt in ihren Möglichkeiten deshalb auch Gefahren. Wirtschaft muß sein, weil der Mensch kein isoliert für sich lebendes, einsames Wesen ist; aber weil Wirtschaft den Charakter des Notwendigen und Unvermeidbaren hat, indem sie alles heimlich mitbestimmt und der Mensch unlöslich mit ihr verflochten ist, kann sich der Gedanke aufdrängen, im Grunde sei Wirtschaft alles. Wir wissen zwar, daß der Mensch mehr als die bloße Funktion der Wirtschaft ist, aber wir stehen alle mitunter in der Gefahr, unbedenklich die Grenze zu überschreiten, welche die Wirtschaft in ihrem Vorgang begrenzt. Weil Wirtschaft sein muß, wird unterstellt, das, was der wirtschaftliche Prozeß fordere, sei ein absolutes Postulat. Sobald etwas den Anschein gewinnt, es müsse der Wirtschaft wegen sein, bekommt er den Prägestempel des Unabänderlichen, den eines Sachzwanges, dem nicht zu entweichen sei.

    Sicher lassen sich Sachzwänge nicht einfach umgehen. Aber wenn der Rang der Wirtschaft sich in seine Absolutsetzung verfestigt und zum letzten Maßstab wird, von dem allein her der Mensch sich, andere und anderes zu verstehen können glaubt, wird die mögliche Gefahr, welche die Wirtschaft in sich birgt, zu einer wirklichen. Wir werden der Verantwortung, sachgemäß zu wirtschaften, nur gerecht, indem Wirtschaft sich selbst begrenzt.

    [5] Dies geschieht im Vorgang der Wirtschaftens auch stets: Was sich als wirtschaftlich unabdingbar notwendig ausgibt, steht immer schon unter der Prämisse, daß Wirtschaft auf eine bestimmte Weise nur wirtschaftlich sei. So liegt in jedem Ansatz, wie Wirtschaft zu verstehen ist – und Wirtschaft wird von denen, die wirtschaften, unterschiedlich verstanden –, eine Vorentscheidung. Eine solche zu treffen ist unvermeidlich. Schlechthin vorurteilsfreie Wirtschaft, die allein in sich selbst begründet ist, gibt es nicht; Wirtschaft hat stets Grundentscheidungen vor und in sich – Wirtschaft hat ein ihr immanentes Ethos.