Wandlungen des Gottesbildes seit dem II. Vatikanum

Konzil und Gottesfrage

Ist es überhaupt sinnvoll und legitim, Gottesbild und Gottesfrage mit dem II. Vatikanum in Beziehung zu setzen? Die Gottesfrage und das Gottesbild zählten doch nicht zu den beherrschenden Themen und Problemstellungen des Konzils. Zwar ist heute wieder von Gott allenthalben die Rede, kehrt sich das Interesse vieler dem zu, ob er zu erfahren und wie er zu verstehen sei. Doch weder diese Aufbrüche noch die verschiedenen Akzentsetzungen im philosophischen und theologischen Sprechen von Gott während der letzten Jahre lassen sich ursächlich mit dem Konzil verknüpfen. Viel eher fallen hier zwei Tendenzen ins Gewicht: zum einen die Abkehr von den ekklesiologischen Strukturfragen zur Frage nach der Mitte christlicher Botschaft, nach Jesus und seinem Vater, und das Eindringen aller Gedanken und Bewegungen des säkularen Bereichs ins Innere des Glaubens und der Theologie.

Doch gerade diese Tendenzen stehen, wenn auch auf verschiedene Weise, im Kontext des Konzils. Das Konzil hat die Tore der Kirche zur Welt weit aufgestoßen, einer seiner Schwerpunkte war [434] die Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“. Zum Vollzug christlichen Glaubens gehört es, die Bewegung Gottes, der sich einläßt auf die Welt, mitzuvollziehen, und so wandte sich das Interesse der Christen mit neuer Intensität dem zu, was in der Welt gedacht, gefragt und erfahren wird. Das hat seine Rückwirkungen auf die Weise theologischen Denkens und Sprechens bis hin zur Gottesfrage: Die Logik und Grammatik des Sprechens von Gott wird mehr denn je mitbestimmt von der Logik und Grammatik des Sprechens der Menschen über ihre eigenen Interessen und Probleme. Der andere Schwerpunkt des Konzils war die Kirche selbst. Nicht nur in der Dogmatischen Konstitution „Lumen gentium“, sondern auch in vielen anderen Schemata stellte sie sich Fragen, die lange zu kurz gekommen waren und mit Ungeduld an sie gerichtet wurden: Wie muß die Kirche aus dem Willen Gottes zum Heil der Welt heraus sich selbst verstehen, vollziehen und darstellen? Das Konzil hatte so in Theologie und kirchlicher Praxis zunächst eine starke Konzentration auf den Themenbereich der Ekklesiologie zur Folge. Dies entsprach indessen nur teilweise dem treibenden Impuls des Konzils selbst; denn so wichtig die Fragen kirchlicher Strukturen und ihrer Reformen auch sind, das Neue oder zumindest neu ins Licht gehobene Alte in der Ekklesiologie des Konzils besteht darin, die Kirche nicht nur als ein zwar notwendiges, durch göttliche Institution gestiftetes und verfaßtes Instrument zur Vermittlung der Wahrheit von Gott und des göttlichen Heils zu sehen, sondern als Gemeinschaft, in der Gott selbst sein Leben hineingibt in die Welt und in der dieses Leben Gottes Raum und Gestalt gewinnt in der Welt. Das führende Bild der Ekklesiologie des Konzils war das vom pilgernden Gottesvolk, in dessen Mitte der Herr mitzieht auf den Wegen der Geschichte. Wo Kirche aber in sich selber das ganze Interesse der Reflexion und die ganze Kraft der Aktion auf sich zieht, wird das verdunkelt, um dessentwillen sie da ist, und so holt der „Gegenstoß“ gegen die bloße Ekklesiologie in der neuen Zuwendung zu der Frage nach Jesus und nach Gott den ursprünglichen Impuls eher ein, als daß er das Konzil überholte.1

Am ausdrücklichsten wird die Verbindung zwischen Konzil [435] und nachkonziliaren Weisen des Denkens und Sprechens über Gott jedoch sichtbar, wenn wir seine vielfältigen Anstöße zum Dialog in Rechnung ziehen: ökumenischer Dialog innerhalb des Christentums, Dialog mit dem Judentum, Dialog mit allen, die an Gott glauben, Dialog mit allen Menschen guten Willens. Zumal darin formulierte sich vieles von dem, was heutige Theologie anders fragt und anders sagt – auch und gerade in ihrem Sprechen über Gott.


  1. Vgl. hierzu Fries, Heinrich: Gesichtspunkte der Theologie, in: Schultz, Hans Jürgen (Hg.): Wer ist das eigentlich – Gott?, München 1969, 86–97. ↩︎