Zur Entwicklung der nachkonziliaren Räte in der Bundesrepublik

Krise des Autoritätsverständnisses

Der Trend zu mehr Kompetenz, zu mehr Anteil der Räte an der verbindlichen Regelung des gesamten kirchlichen Lebens hat verschiedene Wurzeln. Er ist teilweise eine Auswirkung der positiven Impulse konziliarer Theologie: Alle Glieder des Volkes Gottes stehen in derselben Würde der Berufung, haben einen gleich wichtigen Anteil an der Sendung der Kirche im ganzen. Daraus müssen gewiß Konsequenzen gezogen werden. Mitunter werden jedoch diese Konsequenzen vorschnell gezogen: Aus einem gleich wichtigen Anteil aller wird im Bewußtsein unter der Hand ein gleichartiger Anteil aller. Die Funktion des kirchlichen Amtes wird faktisch mitunter allein in einer Art Verkehrsregelung gesehen, deren man um der Ordnung willen bedarf, die aber perfekter im Grunde von einer Signalanlage, von einem sensiblen Computer geleistet werden könnte.

Diese Entwicklung entspricht einer Verschiebung, ja man darf sagen: einer allgemeinen Krise des Verständnisses von Autorität in unserer Gesellschaft: Autorität, als regelnder Einfluß auf die Gestaltung der gesellschaftlichen (bzw. kirchlichen) Verhältnisse betrachtet, darf durch nichts anderes als durch allen transparente Argumente kontrollierbaren Sachwissens und ebenfalls allgemein evidente funktionale Notwendigkeiten begründet werden. Das Element der Macht im regelnden Einfluß muß vom funktionalen Träger der [21] Autorität, von ihrem Funktionär hinweg auf die Gesellschaft (bzw. die Glieder der Kirche) im ganzen verlagert werden; das Recht zu programmieren hat allein die Mehrheit. Als Kontrollinstanz der Mehrheit wird allenfalls die Wissenschaft anerkannt. In der gezeichneten Entwicklung sind wichtige und nicht wieder rückgängig zu machende, vielmehr nach vorne weisende Erkenntnisse mit gefährlichen Verkürzungen und Verkennungen verquickt. An die Stelle eines einsinnigen und im Grunde quantitativen Verständnisses von Autorität müßte ein qualitatives treten, das zwar Autorität durchweg als Dienst am Ganzen sieht, jedoch als Dienst, der in sich verschiedene Arten und Stufen von Zuständigkeit umfaßt, die freilich ohne Ausnahme in dialogischen Vorgängen ans Gesamt zurückzubinden sind, dem der Dienst der Autorität gilt. Es darf also nicht an die Stelle einer monolithischen Allzuständigkeit des Amtes eine ebenso monolithische Allzuständigkeit von Mehrheiten innerhalb oder außerhalb der Räte treten. Dialogische Ausübung von Autorität setzt eine Pluralität von Zuständigkeiten und ihre gegenseitige Zuordnung voraus.