Gerufen und verschenkt. Theologischer Versuch einer geistlichen Ortsbestimmung des Priesters

„Laß sie eins sein, wie wir eins sind“

Im Abschiedsgebet Jesu, das wir sein „Hohepriesterliches Gebet“ (Joh 17) nennen, faßt das Johannesevangelium sein Leben und Werk zusammen; der springende Punkt dabei ist genau die Verflechtung zwischen dem Einssein des Vaters und des Sohnes und dem Einssein der Glaubenden, wie Vater und Sohn eins sind. Greifen wir, abkürzend und verdichtend, einige Grundzüge aus der Botschaft dieses Kapitels heraus. Der Sohn bittet den Vater, ihn zu verherrlichen, wie und weil der Sohn den Vater verherrlicht hat (vgl. Verse 1 und 4f). Die Verherrlichung, die der Sohn vom Vater erbittet, besteht darin, daß dieser ihm die Herrlichkeit gibt, die der Sohn [121] schon vor Grundlegung der Welt beim Vater hatte (vgl. Verse 5 und 24). Zugleich ist aber davon die Rede, daß der Sohn in denen verherrlicht ist, die der Vater ihm gegeben hat und die zum Glauben gekommen sind (vgl. Vers 10). Und dieses Verherrlichtsein des Sohnes in ihnen erweitert und ergänzt sich darin, daß er für sie bittet, sie mögen die Herrlichkeit des Sohnes sehen (vgl. Vers 24). Ein weiterer Akzent: die Herrlichkeit, die der Sohn vom Vater erbittet, ist zugleich jene, die der Vater ihm gegeben hat – und der Sohn hat sie an jene, die glauben, weitergegeben, und zwar weil sie eins sein sollen bzw. damit sie eins seien (vgl. Vers 22).

„Herrlichkeit, Verherrlichung“

Leuchten wir knapp den Zusammenhang dieser vielfältigen Aussagen an. Es geht um Verherrlichung, um Herrlichkeit. Das Werk Jesu auf Erden besteht darin, daß er den Vater verherrlicht hat und im Begriffe ist, diese Verherrlichung in seiner eigenen Vollendung am Kreuz zu vollenden (vgl. Joh 19,30). Verherrlichen, das heißt doch: aufscheinen lassen, ins Licht setzen, in seinen Glanz bringen. Aber es ist nicht nur irgendein Glanz, ein Deutlichwerden, ein Zur-Geltung-Bringen, sondern es ist jener Glanz und jene Macht des seinshaften Ausstrahlens, die das Merkmal und Kennmal, die Atmosphäre Gottes sind, in der seine Göttlichkeit über sich hinausstrahlt, in welcher er über sich selber hinaus „da“ ist. Bei allen fälligen Differenzierungen und Verschiebungen dürfen doch die Begriffe der Herrlichkeit und der Gottesherrschaft (also: des Gottesreiches) in die Nähe zueinander gerückt werden. Gott ist groß, Gott ist als Gott da, Gott geht als Gott auf im Leben Jesu, in dem, was dieses Leben mitteilt, sagt, weitergibt, vollbringt. Gott geht auf. Und er geht auf nur in Jesus, nur im Sohn, nur in diesem seinem Werk und Wort. [122] Gott ist nicht ein Gott der vielen Strahlungen, die schillern und spielen und hinter denen er sich als der je Größere und Geheimnisvollere zurückhält. Gott ist der Gott, der sich ganz und gar gibt, mitteilt, der endgültig und unüberbietbar, ganz und ohne Vorbehalt aufgeht in Jesus Christus. Aller andere Glanz Gottes ist entweder Glanz von seinem Glanz oder trügender Schein. Dann aber haben Herrlichkeit und Verherrlichung Gottes mit Jesus zu tun, und zwar nicht nur wie mit einem Instrument dieser Verherrlichung und einem Ort, an dem sie nun eben einmal aufscheinen und sich für immer mitteilen will. Nein, Jesus ist vom Vater gesandt (vgl. Joh 17,3.18). Und diese Sendung erfolgt nicht, indem Gott nach einem Boten greift, dem er das, was er zu bringen hat, von außen her auflädt; vielmehr wird er, der da gesandt wird, aus der Kenntnis, aus der Vertrautheit dessen, was er zu bringen hat, ja aus dem Innesein in dem, was er zu bringen hat, gesandt. Der Sohn hat selber die Herrlichkeit des Vaters von seinem Ursprung her inne, von seinem Ursprung, der vor aller Welthaftigkeit, vor aller Schöpfung, im Geheimnis Gottes selber ruht, das Selbst-Sein Gottes selber ist (vgl. Verse 5; 24). Diese Herrlichkeit, die dem Sohn eigen ist, die des Vaters Ursprungsgabe an den Sohn ist, welcher aus seiner Liebe hervorgeht (vgl. Vers 24), soll nun vom Vater dem Sohn wiedergegeben werden. Er, der des Vaters Herrlichkeit mitteilte, sie in der Geschichte vollbrachte, ist hinausgegangen in die „Welt“ – wir werden noch davon zu reden haben. In dieser Welt ist durch den Sohn die Herrlichkeit des Vaters aufgegangen. Die Herrlichkeit des Sohnes ist vor der Welt in diesem seinem Hinausgehen aus dem Bereich des Vaters verdunkelt. Nun aber soll der Sohn in den Bereich des Vaters, in den Lichtglanz der Herrlichkeit zurückkehren. Jene, die in der Welt an den Vater durch Jesu Wort glauben, die also durch das verherrlichende Wirken und Leben des Sohnes sich [123] der Herrlichkeit Gottes öffneten, sollen beglaubigt und erfüllt sehen, daß es wahrhaft Gott ist, der sich in Jesus Christus verherrlicht hat; daß Gott selber Gott verherrlicht hat, indem Jesus Gott verherrlicht hat. Aber sie sollen es nicht nur sehen als Beglaubigung, sondern sie sollen einerseits eintreten in diesen Lichtkreis der Herrlichkeit Gottes, sie sollen anderseits in der Welt Zeugnis geben und Zeugnis bleiben, damit das den Vater verherrlichende Tun des Sohnes weiterstrahlt, die Welt durchdringt und gewinnt (vgl. Verse 21 und 23).

„Ewiges Leben “

Der Dialog der gegenseitigen Verherrlichung von Vater und Sohn, den der Sohn, vom Vater gesandt, in die Welt getragen hat, um ihn nicht nur im innergöttlichen Leben, sondern in der Geschichte zu fuhren, er tendiert über sich hinaus, er soll das „ewige Leben“, das Leben Gottes mitteilen, weiterschenken. Deshalb ist der Sohn zur Welt gekommen, deshalb hat er den Vater verherrlicht und bittet den Vater um seine Verherrlichung: „Denn du hast ihm Macht über alle Menschen gegeben, damit er allen, die du ihm gegeben hast, ewiges Leben schenkt“ (Vers 2). Und dieses ewige Leben besteht gerade darin, daß der Zusammenhang zwischen dem Vater und dem Sohn, ihr Zusammengehören in der gegenseitigen Zuwendung, in der gegenseitigen Verherrlichung ihnen offenbar, ihnen Lebens-raum und Lebens-inhalt wird: „Das ist das ewige Leben: dich, den einzigen wahren Gott, zu erkennen und Jesus Christus, den du gesandt hast“ (Vers 3). Leben selbst geschieht im Teilhaben an jener Herrlichkeit, an jenem Glanz, der aus der gegenseitigen Liebe des Sohnes und des Vaters erstrahlt, im Eintreten in ihren Einheitsraum. [124] Dies wird in unserem Text daran deutlich, daß alles, was in dem beschriebenen Geschehen eine Rolle spielt, nicht „in sich“ steht, sondern als vom Vater dem Sohn gegeben und vom Sohn dem Vater zurückgegeben dargestellt wird: die Herrlichkeit (Verse 22–24), das Wort (Vers 5), der Name (Vers 6), ja die Menschen selbst, die in der Welt zum Glauben kommen (Verse 2; 9; 24). So wird zu einer Schlüsselaussage des ganzen Kapitels der Satz: „Alles, was mein ist, ist dein, und was dein ist, ist mein“ (Vers 10 a). Die Gegenseitigkeit des Verherrlichens ist verankert in der Gegenseitigkeit des Zugehörens, damit aber in der Liebe, die Wesen Gottes ist und die sich in der Beziehung zwischen Vater und Sohn ereignet und durch den Sohn überspringt, sich mitteilt in die Welt hinein, in jene, die in Jesus sind und in ihm beim Vater sind (Verse 23f; 26).

„Welt“

Hier muß nochmals die Rede kommen auf die Bedeutung von „Welt“ in unserem Text. Sie zeigt sich in dreifacher Stellung. Einmal ist sie einfach das Erschaffene (vgl. Verse 8 und 24); sodann ist sie der Bereich, der dem Sein beim Vater und aus dem Vater, dem Bereich des neuen Lebens entgegengesetzt ist, der Bereich also, der draußen ist aus der vom Sohn vollbrachten, Leben stiftenden Beziehung zum Vater (vgl. bes. die Verse 9 und 14–16; fließend oder mehrdeutig zuzuordnen: Verse 11 und 19); schließlich meint Welt die Menschen insgesamt, Welt als zwar noch nicht von Gott erreichter, aber von Gott gerufener, zum Glauben berufener Bereich (Verse 21 und 23). Dieses Oszillieren des Weltbegriffs ist von Bedeutung für das Verstehen der Sendung Jesu wie für das Verstehen des Lebens, das im Bereich der gegenseitigen Verherrlichung, Liebe und Zugehörigkeit, im Bereich der Com-[125]munio statthat. Die Welt ist von Gott und soll sein. Aber ihr Daseinssinn und ihr Heil bestehen darin, daß sie sich als das andere Gottes nicht in ihrer Andersheit verfestigt, sondern eintritt, sich hineinnehmen läßt in die Beziehung zwischen Sohn und Vater. Sofern sie sich in sich selber verfestigt, anstelle dieser Beziehung die Selbstbehauptung setzt, ist sie widergöttlich. Verharren in der Selbstsetzung und Selbstverherrlichung ist Selbstausschluß vom Leben, demgegenüber auch das Bitten des Sohnes an den Vater gegenstandslos wäre. Heil der Welt, Heilung der Welt besteht allein darin, daß sie sich öffnet, daß sie zum Glauben kommt, und das heißt: daß sie als das Leben die Beziehung zwischen Vater und Sohn, die Gegenseitigkeit der Liebe erkennt und in sie eintritt. Von hier aus wird eine Doppelstellung der Glaubenden im Blick auf die Welt plausibel: Sie sind nicht von der Welt (Vers 14), sie sollen aber gerade nicht aus der Welt genommen werden, weil sie im Bereich der Welt gegen den Widerspruch sich absolutsetzender Welt die Alternative Gottes, die in Jesus hereingebrochen ist, gegenwärtigzusetzen haben (vgl. Vers 15); sie sind darum nicht nur in der Welt gehalten, sondern in die Welt gesandt (Vers 18). Sie müssen versiegelt sein im Namen des Vaters, im Wort des Vaters, sozusagen immunisiert gegen die andauernde Versuchung, dem Sein von sich weg und über sich hinaus zu entraten und sich in die Selbstherrlichkeit zu verschließen; der Sohn bittet den Vater, sie zu bewahren (Vers 11). Um sie zu bewahren, hinüberzuretten ins Leben, heiligt sich der Sohn für sie, will sagen: gibt er sich hin, schenkt sich in den Vater hinein in seinem Sterben, um sie so mit hineinzunehmen in seinen Standort beim Vater (Vers 19). In der Welt sind sie so zugleich bereits jetzt durch den Sohn verankert im Vater. Die Sendung des Sohnes in die Welt hinein entwickelt sich in unserem Kapitel sozusagen in drei Stufen. Zunächst voll-[126]bringt der Sohn ein für allemal das Werk der Rettung und Erlösung, das sich in seiner Liebe bis zum Letzten und in der darin erfolgenden Erhöhung vollendet. Dieses Geschehen gewinnt bereits die Jüngerschar, die glaubt, die aus der Welt herausgerufen und Keimzelle der neuen Communio ist (vgl. die Verse 1–19). Doch der Sinn ihrer Berufung und ihres Glaubens ist nicht nur, für sich selber das Leben zu haben, sondern es weiterzubezeugen und weiterzugeben. Durch sie sollen andere zum Glauben kommen (vgl. die Verse 20–26). Und diese anderen sind ihrerseits wiederum da für andere, eben dafür, daß die Welt zum Glauben kommen könne (vgl. Verse 21 und 23).

,,Einssein“

Nun aber die entscheidende Frage: Wie geschieht das? Und die entscheidende Antwort: Genau durch das, was sie in Jesus Christus sein läßt, sind sie die Chance für die Welt, daß sie glauben kann. Jesu Fürbitte für die Jünger, die unmittelbar durch ihn zum Glauben gekommen sind, und für jene, die durch sie zum Glauben kommen werden, spitzt sich auf denselben Punkt hin zu: „Damit sie eins sind wie wir“ (Vers 11b). „Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, daß du mich gesandt hast. Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast; denn sie sollen eins sein, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir. So sollen sie vollendet sein in der Einheit, damit die Welt erkennt, daß du mich gesandt hast und die Meinen ebenso geliebt hast wie mich“ (Verse 21–23). Bei genauerem Hinhören sind hier zwei Aussagerichtungen miteinander verwoben. Die Glaubenden sollen zum einen einfach im Vater und im Sohn sein, in ihrem einen Leben, [127] und sie sind es nur, wenn sie eins sind. Zum anderen wird aber diese Einheit zwischen den Glaubenden selber zum Spiegelbild der Einheit zwischen Sohn und Vater und damit zum Sakrament, zur wirkmächtigen Gegenwart dieser Einheit. Dem entspricht der Schluß des ganzen Kapitels: .. damit die Liebe, mit der du mich geliebt hast, in ihnen ist und damit ich in ihnen bin“ (Vers 26b). Zunächst einmal, dies versteht sich von selbst, kommt es darauf an, daß Menschen in die Beziehung, die das Leben eröffnet, ja, das Leben ist, in die Beziehung zwischen Sohn und Vater eintreten. Diese Beziehung ist eine einzige, und wenn viele in sie eintreten, mit ihr eins werden, dann sind sie untereinander eins. Dies ist aber nicht nur eine banale logische Anwendung, sondern eine aus dem Inhalt der Lebensbeziehung zwischen Sohn und Vater selbst resultierende Konsequenz, welche dem Glauben nicht nur äußerlich anhaftet, sondern ihn prägt, qualifiziert, vollendet: Ich kann die Beziehung der Selbstlosigkeit eines anderen nicht „haben“, indem ich sie für mich haben will. Ich kann Liebe nicht besitzend an mich reißen, sonst zerstöre ich sie oder entrate ihr. Liebe kann nur in Liebe gelebt werden und ankommen. Wer nicht mit sich selber eintritt in die Alternative zur sich selbst behauptenden Welt, dem bleibt diese Alternative äußerlich, er bleibt also in der Verfallenheit der Welt. Dann aber ist es klar: Es kann kein verschlossenes Nebeneinander im Lebensraum Gottes geben; er ist als Communio mit Gott auch Communio miteinander. Sodann aber ist er Communio in der Art und nach dem Maß, wie die grundlegende Communio zwischen Sohn und Vater geschieht: im gegenseitigen Innesein. Wenn Gott in seine dreifältige Communio, in das Sein des Sohnes im Vater und des Vaters im Sohn im einen Geist Menschen hineinruft; wenn er sie an dem Verbindenden und Vereinenden; wenn er sie an dem Geist – von welchem das ganze [128] 17. Johanneskapitel handelt, auch wenn es nicht ausdrücklich von ihm spricht, was jedoch in den Kapiteln zuvor geschah – teilhaben läßt: dann dreht sich wie von selbst die Achse der dreifältigen Beziehung um; sie wird auch Beziehung zwischen uns, wird in der Beziehung zwischen uns abgebildet, geht und strahlt in ihr auf. Dies ist doch die Aussage des gesamten Kapitels: Heil, ewiges Leben besteht in der Teilhabe an der Beziehung zwischen Vater und Sohn, Sohn und Vater im Geist. Wenn die Welt das Leben haben, wenn sie zum Glauben kommen soll, dann kann es nur durch den Eintritt in diese dreifältige Beziehung, durch ihre Beglaubigung, durch ihre Anziehungskraft, durch ihre Einladung geschehen. Missio, Glaubenkönnen der Welt erfolgt also nur, indem das Einssein von Vater und Sohn im Geist bezeugt, beglaubigt, gegenwärtig, „anschaubar“ wird. Der Sohn geht aus der Welt; die Jünger bleiben in ihr. Er bleibt in ihnen, er wirkt in ihnen, nur er kann das Werk des Vaters tun. Er bleibt in ihnen, indem sie in seiner Liebe, indem sie in seinem Einssein mit dem Vater bleiben und dieses Einssein mit dem Vater in ihrer gegenseitigen Beziehung, in ihrer Lebensgestalt mitten in der Welt dieser darreichen und aufscheinen lassen. Deshalb ist die Communio miteinander, das Einssein der Jünger Jesu das Zeugnis für die Welt. Es ist in sich ihr Leben, ihr Sein in Christus, ihr Sein in Gott. Es ist als verdankende Wiederholung und Darbringung ihres Lebens und Seins Verherrlichung Gottes, Aufgang des dreifältigen Gottes mitten in der Welt. Es ist, als Zeugnis, als Einladung der Liebe, als sich öffnend und weitergebend die Präsenz der Hingabe Gottes in Jesus für die Welt.