Glauben – wie geht das?
Leben aus dem Geist – Leben in Gottes dreifaltiger Einheit
Was geschieht, wenn wir uns dem Geist öffnen, wenn wir seine Vorgabe übersetzen in den Gang unserer Freiheit, unseres Lebens?
Das Erste: Wir sind in Christus. Sein Leben wird unser Leben, wir bekennen nicht nur, daß er der Herr ist, und rufen nicht nur den Vater in seinem Vertrauen und seinem Freimut an; wir werden mit Christus „lebendiges und heiliges Opfer“, „das Gott wohlgefällt“ (Röm 12,1). Der Geist Gottes ist es, von dem wir uns führen und treiben lassen, und so bewähren wir uns als Söhne Gottes (vgl. Röm 8,14).
Leben in Christus, Sein wie er sind aber keine bloß innerliche und keine bloß individuelle Angelegenheit – so sehr ich als ich selbst, ich im Einmal meines Lebens davon betroffen bin. Wenn das Leben aus dem Geist als Leben im Leibe Christi und dieses Leben im Leibe Christi als Dienst eines Gliedes am anderen und am Ganzen von Paulus dargestellt werden (vgl. 1 Kor 12 insgesamt, besonders 4–13; Eph 2,18; 4,1–13), so hebt dies den unlöslichen Zusammenhang zwischen unserem Leben in Christus und unserem Leben in gegenseitiger Einheit ans Licht.
Besonders eindrucksvoll geschieht dies ebenfalls in einem Text, der ausdrücklich vom Heiligen Geist nicht spricht. Er entfaltet jedoch exemplarisch, was Leben aus dem Geist meint. Es ist jene Er- [149] mahnung des Paulus zur gegenseitigen Liebe, zum gegenseitigen Dienen, zur gegenseitigen Höherschätzung in der Gemeinde im Philipperbrief. Er begründet sie mit der Gesinnung Jesu, der sich dem Vater gehorsam hingibt und von ihm erhöht wird (vgl. Phil 2,1–11). Die gegenseitige Verherrlichung von Vater und Sohn wird zum Maß dessen, wie wir uns zueinander verhalten sollen.
Von hier aus ist es nur noch ein Schritt hinüber zu jener abschließenden, wiederum den Geist deutlich voraussetzenden, aber nicht mehr eigens nennenden – Erhellung des christlichen Lebens in Jesu hohepriesterlichem Gebet. Die gegenseitige Einheit von Vater und Sohn, ihre absolute Gütergemeinschaft (vgl. Joh 17,10), ihre Hinordnung zueinander in der Verherrlichung des Vaters durch den Sohn und des Sohnes durch den Vater: dies ist Modell, Anstoß und Ziel der Gemeinschaft zwischen den Jüngern im Namen Jesu und der Einheit aller Glaubenden zum Zeugnis für die Welt (vgl. Joh 17,11.21–23). Wie der Vater im Sohn ist und der Sohn im Vater, so sollen sie in den Vater und den Sohn hineingenommen sein – und gerade dadurch ist Christus in ihnen, wie der Vater in ihm ist. In der Hinordnung auf Vater und Sohn im einen Geist sollen sie das Spiegelbild der Einheit von Vater und Sohn in diesem Geiste sein.
Solche Einheit erfordert zweierlei – beides aber ist im Vollzug dasselbe. Zunächst einfach die Hinorientierung auf Vater und Sohn, das Bleiben in ihnen, will sagen jene Verbindung mit Jesus, dem wahren Weinstock, in Sakrament und Wort und gegenseitiger Liebe, die in jedem einzelnen und zwischen allen das eine und einzige Leben Gottes aufgehen läßt und bezeugt. Das Zweite, das im Ersten aber bereits enthalten und die Marke der Echtheit und Glaubwürdigkeit für dieses Erste ist: gegenseitige Einheit miteinander, Maßnahme an der Lebensbewegung zwischen Vater und Sohn im Leben miteinander, Hören aufeinander, Haben miteinander, Dienen füreinander.
Nehmen wir nochmals das zweite Kapitel aus dem Philipperbrief hinzu: Wie der Vater den Sohn verherrlicht und wie der Sohn gehorsam sich ganz und gar, bis zum Tod, an den Willen des Vaters hingibt, so soll auch zwischen uns das „dreifaltige Rollenspiel“ In- [150] halt unseres Lebens sein. Das eine Leben Gottes leben wir, indem wir uns in dieses „Spiel“ hineingeben. Wie der Vater ganz und gar den Sohn aufgehen läßt aus sich, alles von sich selbst in ihn hineingibt und sich in ihm gibt, so sollen wir all unser Handeln, all unsere Aktivität, all unsere Initiative und Vollmacht in diese hingebende Liebe verwandeln. Und wie der Sohn sich vernehmendes, sich verdankendes Wort des Vaters ist, wie er reiner Ausdruck des Vaters ist und darin ihn, seinen Auftrag, seine Liebe weitergibt, sein Werk vollbringt, so soll unser Hören, Dienen und Empfangen Ausdruck des Nächsten sein, der jeweils der Sprechende, Handelnde, Bestimmende ist. Freilich wird es nicht selten auch unsere Aufgabe sein, jene vermittelnde und verbindende, jene im Verborgenen die Einheit gewährende und Atmosphäre stiftende Rolle des Geistes zu übernehmen, durch den das Miteinander aufgehen, der Zusammenklang aller gelingen kann. Eigentlich haben wir nie etwas anderes zu tun als die Rolle zu erkennen und zu übernehmen, die es je jetzt im Sinne des dreifaltigen Lebens zu spielen gibt. Und so gerade wird unser Leben, wird unser Miteinander Ausdruck der göttlichen Einheit sein. Wo gibt es eine kühnere Alternative zu isolierendem Individualismus und einebnendem Kollektivismus? Alle eins wie Vater und Sohn, damit die Welt glaube.