Lerne am Herd die Würde des Gastes

Lerne am Herd die Würde des Gastes

Von der Schriftstellerin Ingeborg Bachmann (1926–1973) ist die Äußerung überliefert: „Ich habe kein Italienerlebnis, nichts dergleichen, ich lebe sehr gerne hier.“1 In Anlehnung an dieses Diktum könnte ich im Hinblick auf Klaus Hemmerle sagen: Er hatte kein Italienbild, nichts dergleichen, er ist nur seit Ende der 1950er Jahre oft und gerne in Italien gewesen. Allerdings: „Leben in Italien ohne Erlebnis Italiens, wie geht das zusammen?“2 Und wie sollte jemand über viele Jahre Italien aufsuchen und dabei nicht ein wie immer geartetes Bild von diesem Land gewinnen?

Das Dementi ist denn auch nicht das letzte Wort in dieser Angelegenheit, aber ein erforderliches erstes. Ob nämlich eine deutschsprachige Dichterin auf ihr Italienerlebnis hin angesprochen oder nach dem Italienbild eines katholischen Bischofs gefragt wird, beides ist kein „unschuldiges“ Fragen. In beiden Fällen transportiert die Frage bereits einen bestimmten Deutungs- bzw. Erwartungshorizont.

Insofern musste Ingeborg Bachmann ein Italienerlebnis zunächst einmal dementieren. Zu sehr bot es sich an, sie, die es immer wieder nach Italien gezogen und die sich schließlich in Rom niedergelassen hatte, hineinzuverrechnen in die „Traditionslinie der Italiensehnsucht“:3 in das Vorstellungsmuster vom Künstler, den es nach Italien zieht, um dort im Kunst- und Naturerleben als Künstler wiedergeboren zu werden. – Insofern wird aber auch zum Italienbild Klaus Hemmerle Relevantes nur gesagt werden können im Durchgang durch eine Verneinung. Denn was liegt bei einem Mitglied der Hierarchie der katholischen Kirche näher, als zu erwarten, dass sein Italienbild vornehmlich ein Rombild und zudem ein vatikanzentriertes Bild von Rom ist? Doch gerade dies ist bei Hemmerle nicht der Fall.

Im Folgenden werden deshalb nicht nur die zugänglichen schriftlichen Dokumente aus der Hand Klaus Hemmerles4 und die greifbaren biographischen Informationen5 daraufhin zu untersuchen sein, inwieweit sie die Rede von einem Italienbild Hemmerles überhaupt rechtfertigen können, sondern es wird auch ein Vorgehen nötig sein, das eher einem Krebsgang gleicht als einer systematischen Rekonstruktion.


  1. Bachmann, Ingeborg: Wir müssen wahre Sätze finden. Gespräche und Interviews, hg. v. Christine Koschel u. Inge von Weidenbaum, 3. Aufl., München 1991, 65. ↩︎

  2. Oehlenschläger, Eckart: „... zum Schauen erwacht“. Über Ingeborg Bachmanns Wahrnehmung Italiens, in: Comi, Anna/Pontzen, Alexandra (Hg.), Italien in Deutschland – Deutschland in Italien. Die deutsch-italienischen Wechselbeziehungen der Belletristik des 20. Jahrhunderts, Berlin 1999, 201. ↩︎

  3. Ebd. ↩︎

  4. Dabei muss offen bleiben, inwieweit aufgrund weiterer – im Nachlass Hemmerles (Bischöfliches Diözesanarchiv Aachen) oder in Privatbesitz befindlicher – Dokumente und aufgrund von Zeugnissen ehemaliger Weggefährten Hemmerles das Folgende zu ergänzen oder zu korrigieren wäre. – Publikationen Klaus Hemmerles werden ohne Autorenname angeführt. Das Sigel „AS“ steht für: Hemmerle, Klaus: Ausgewählte Schriften, 5 Bde., hg. v. Reinhard Feiter, Freiburg i. Br. 1995–1996. In dieser Online-Version sind online verfügbare Texte zusätzlich verlinkt. ↩︎

  5. Für allgemeine biographische Informationen vgl. Feiter, Reinhard: Klaus Hemmerle (1929–1994). Eine biographische Skizze, in: Geschichte im Bistum Aachen, Bd. 4, hg. v. Geschichtsverein für das Bistum Aachen, Aachen/Kevelaer 1998, 481–490; Hagemann, Wilfried: Alle eins damit die Welt glaubt. Klaus Hemmerle ein Bischof nach dem Herzen Gottes [...], Manuskriptdruck, Münster 2000; Bader, Wolfgang/Hagemann, Wilfried: Klaus Hemmerle. Grundlinien eines Lebens, München 2000; Schreier, Josef: Art. „Hemmerle, Klaus (1929–1994)“, in: Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder 1945–2001. Ein biographisches Lexikon, hg. v. Erwin Gatz, Berlin 2002, 43–47. ↩︎