Caritas – eine theologische Reflexion zwischen Konzil und Synode
Liebe als Kampf
Das Unbehagen an einer Nivellierung der Gegensätze im fraglos Allgemeinen, das niemand und dem niemand weh tut, hat indessen schon längst eingesetzt: eine gegenläufige Hermeneutik des Christlichen dringt vor. Liebe, so wird argumentiert, ist das Zielgut einer von Zwängen und Vorurteilen freien Kirche und Gesellschaft, und alles, was in Kirche und Gesellschaft nach Herrschaft, Ungleichheit, Fixierung aussieht, muß aufgesprengt werden; dieses Konzept von Liebe entwickelt eine Dynamik, die alles eher als „tolerant“ ist, sie schließt Polarisierung, Kampf, ja Gewalt nicht aus. Als Liebe wollen derlei Aktion, Kampf und Gewalt sich ausweisen allein durch ihren Einsatz für die Entrechteten und Unterdrückten. Gemeinsamer Hintergrund
Die Übergänge dieser im Grunde diametral entgegengesetzten Deutungen von Liebe sind faktisch dennoch fließend, ja die Gegenpositionen können in den Gedanken oder Verhaltensweisen derselben Menschen koexistieren.
Vielleicht steckt hinter beiden Interpretationen der Liebe etwas Gemeinsames, eine konstitutionelle Kurzatmigkeit im Bestehen von Spannungen: entweder werden Spannungen nivelliert in den neutralen Kompromiß hinein oder sie werden hochgetrieben auf eine rasche, wenn auch kurzschlüssige Lösung zu. Dem entspricht die heute verbreitete Scheu vor endgültigen Entscheidungen, die durch demonstrative Äußerungen der Selbstbehauptung kompensiert wird.
[133] Der Horror gegenüber Spannungen treibt eine latent das Bewußtsein vieler prägende Interpretation von Liebe hervor: Liebe erscheint als Mitleid, das tragische Spannungen in der Existenz der einzelnen oder der Gesellschaft zu eliminieren sucht. Es wäre gewiß verkehrt und verkürzt, wollte man das gängige Aufbegehren gegen institutionelle Fixierung einmaliger Lebensentscheidungen – erinnert sei an die Diskussion um Unauflöslichkeit der Ehe und Zölibat –, gegen die rechtliche Sicherung werdenden Lebens, gegen konfessionelle oder andere Grenzen, die nicht augenblicklich und ohne weiteres übersprungen werden können, nur als Äußerungen dieses Mitleids deuten. Daß es in den Emotionen eine starke Rolle spielt, kann dennoch nicht übersehen werden: niemand soll in einen tragischen Konflikt oder Verzicht gebracht werden dürfen, der sich nicht aus äußerer Unabänderlichkeit der Situation herleitet, sondern in ethischen, dogmatischen oder personalen Verbindlichkeiten begründet ist. Der Blickwinkel des „Therapeuten“, dessen, der im Einzelfall helfen will und helfen soll, erhält normative Bedeutung in der allgemeinen Meinung.