Caritas – eine theologische Reflexion zwischen Konzil und Synode

Liebe als Mitte zeitgerechten Christseins

Liebe als Mitte des Christentums zu sehen, scheint an der Zeit zu sein. Mit dogmatischen, moralischen oder gar juridischen Fixierungen um ihrer selbst willen vermögen viele nicht mehr ins reine zu kommen. Solche Fixierungen werden nur in dem Maß akzeptiert, in dem sie als Ausdruck oder Stütze lebendiger, liebender Gemeinschaft mit Gott und miteinander einsichtig zu machen sind. In der verwirrenden Vielfalt neuer Probleme und Aufgaben scheint es nur einen überzeugenden Weg christlichen Handelns zu geben: sich in jeder Situation am Grundmaß der Liebe als des einen und einzigen Gebotes zu orientieren.

Christentum steht in der Konfrontation mit anderen Weltanschauungen. Es fällt hier zwar den Christen zu Recht schwer, mit ihrer angeblich größeren Liebe konkurrieren zu sollen – Erfahrungen radikaler Hingabe und Menschlichkeit außerhalb der eigenen Reihen sind für viele sogar Anlaß der Verunsicherung im Glauben. Doch gerade daran wird deutlich, daß Liebe in der Tat das Unterscheidende des Christentums ist; sie ist es jedoch nicht als Leistung, die [132] sich anderen Leistungen gegenüber ausspielen ließe, sondern als Glaube an die Liebe (vgl. 1 Joh 4,16), in der Gott sein unerfindliches und unerzwingbares Ja zum Menschen gesagt hat. Die Deutung der Kirche, die dem Zweiten Vatikanischen Konzil zugrunde liegt, läßt sich auf diesen Nenner bringen: Kirche ist Liebe, Sakrament der Liebe Gottes für die Welt.

Die Schwierigkeit des Glaubens, die heute weithin die religiöse Situation kennzeichnet, ist in der Tat Schwierigkeit des Glaubenkönnens an die Liebe Gottes in einer Welt, in der mit dem Grad der Machbarkeit ihres Glücks und ihrer Zukunft der Grad der Konfrontation mit Sinnlosigkeit und Sinnentzug wächst. Die Glaubwürdigkeit des Evangeliums und die Glaubwürdigkeit der Kirche hängen davon ab, wie glaubwürdig die Liebe Gottes in der Liebe der Christen erscheint.