Gerufen und verschenkt. Theologischer Versuch einer geistlichen Ortsbestimmung des Priesters

Liebe – Lebensform des Priesters

Jesus Christus, sein Kommen, sein Gehen und sein Bleiben sind die Transmission der Liebe, die Gott ist und die Gott schenkt, in unser Leben hinein. Von ihm her wird die Lebensform Gottes, übertragen auf unsere Verhältnisse, [199] aber in struktureller Entsprechung, zur Lebensform aller Christen. Wir leben als Glaubende in Communio – und dies muß Auswirkungen haben bis in unseren Umgang mit den Gütern dieser Welt, den geistigen wie materiellen, in unsere Weise, füreinander und miteinander diese Güter zu haben. Wir leben als Gesandte, in der Dynamik der sich mitteilenden, verschenkenden Liebe. Wir alle sind Boten und Angebot dieser Liebe für die anderen, sollen ihre anziehende und einladende Kraft sein, sozusagen ein Strahl aus dem Licht, das Gott selbst ist. Wir sind eingeladen und eingelassen in Gottes Tiefe, dürfen schon jetzt in ihm weilen; wir sind in der Kraft seines Geistes angezogen, durch seine Wunde hindurch Einkehr zu halten in seinem österlichen Licht, in seinem Weilen beim Vater. Wir wissen unseren Leib als den Tempel seiner Herrlichkeit, die freilich durch Kreuz und Leiden wächst. Ja, indem wir Kreuz und Leiden auf uns nehmen im Dienst an den anderen und sie verwandeln in solchen Dienst, wird sie schon jetzt anfanghaft offenbar als die Herrlichkeit der Liebe. Und durch diese Liebe wachsen wir schon jetzt zusammen zum einen Leib, in welchem einer dem anderen dient, einer dem anderen „verherrlicht“, einer vom anderen und für den anderen lebt. Liebe bestimmt und erfüllt auch jetzt schon das Haus der Glaubenden, auf daß es in aller Bescheidenheit ein Anfang des Himmels sei. Jeder, der eintritt, soll bei Christus zu Gast sein und zugleich sich selber wie Christus und als Christus aufgenommen finden. Liebe gibt uns die Weisheit, das Licht, um das Geheimnis Gottes in dieser Welt und dieser Welt in Gott zu verstehen. Nicht, daß wir alles an Problemen und Fragen auflösen, alle Hintergründe aufdecken könnten. Und doch erscheinen alle Dinge neu, wenn wir sie im „Lichte des Lammes“ sehen. [200] Als Glaubende werden wir durch dieses Licht zugleich aus aller Isolation geöffnet, um uns mitzuteilen, um ein Netz der Freundschaft zu knüpfen, um zu allen hin Kommunikation zu suchen. Die ungezählten und sich durchkreuzenden Bahnen einer mit ungezählten Informations- und Kommunikationssystemen überspannten Welt werden erhellt, wo Wissen-Wollen zum Anteilnehmen-Wollen, wo Information zum Teilnehmen-Lassen wird. Die Strukturen der Liebe werden zum Lebensprogramm und Lebensstil der Christen als einzelne und der Christen miteinander, der Christen mitten in einer Welt, der die Christen vor allem dieses eine schulden: Seine Liebe. Aufgabe des Priesters ist es, Zeuge und Anwalt dieser Liebe zu sein, ihre Quellen für alle offenzuhalten und der Communio in dieser Liebe zu dienen. Die Liebe ist der Auftrag an sein Tun wie an sein Dasein. Liebe als Lebensform des Priesters ist somit integraler Bestandteil seiner Sendung. Nicht, daß dadurch sein ganzes Leben „verdienstlicht“ würde. Im Gegenteil: Es wird „vermenschlicht“. Nur wenn auch die Menschlichkeit des Priesters von der Liebe geprägt ist, ist sie erlöst, ist sie frei vom Druck eines bloß äußeren Muß und besteht doch auch kein Bruch zwischen den Bereichen seines Dienstes und seines Daseins als Mensch unter Menschen. Doch wie können die Strukturmomente der Liebe sozusagen zu einem Leitfaden werden, der priesterliche Existenz durchsichtig und gestaltbar ordnet? Stellen wir zunächst, den Strukturmonumenten der Liebe folgend, einen Fragekatalog auf, sozusagen eine „Gewissenserforschung“, die es ermöglichen soll, das Ganze des Lebens in den Blickzu nehmen, oft überseheneoderausgesparte„Ecken“ des Lebens einzubeziehen in den Gestaltungsansatz Liebe.

1. Communio: Ist mein Lebensstil auf Gemeinschaft hin angelegt? Wie gehe ich mit meinen geistigen und materiellen Gütern um? Wie habe und gebe ich?

[201] 2. Missio: Wie bin ich, wirke ich, begegne ich? Wie stimmen dienstlicher Anspruch und Lebensgestaltung überein? Geht von meinem Leben die einladende Kraft des Evangeliums aus?

3. Spiritualität: Wie glaube ich, lebe, bezeuge ich den Glauben? Gehe ich selber in den „Innenraum“ Gottes hinein und nehme ich andere in diesen Raum mit, lasse mich von anderen in ihn mitnehmen?

4. Leibhaftigkeit: Wie leide ich, leide ich mit, helfe ich, erhole ich mich? Bin ich Glied am einen Leib des Herrn, von dem gilt: Wenn ein Glied leidet, dann leiden alle mit, wenn ein Glied sich freut, dann freuen sich alle mit? Gestalte ich mein Leben bis in die Leibhaftigkeit hinein aus der ausschließlichen und so doch gerade allen zugewandten Liebe zum Herrn?

5. Haus, Kleidung, Beheimatung: Wie wohne ich? Wie kleide ich mich? Ist meine Wohnung weder „Burg noch Bude“? Weiß sich der andere angenommen wie Christus, nehme ich wie Christus den anderen auf? Hat meine Wohnung die beiden Dimensionen von clausura und hospitium, von Diskretion und Offenheit?

6. Weisheit: Nehme ich mir Zeit, die Dinge des Glaubens und der Welt, der Kirche und der Kultur aus dem Licht der göttlichen Weisheit zu sehen? Wie rede und denke ich? Wie bilde ich mich – über ein zweckbezogenes und manchmal kaum reflektiertes Benutzen von aktuellen Hilfen für meinen Dienst hinaus?

7. Kommunikation: Wie halte ich Kontakt mit anderen, mit wem halte ich Kontakt, wie und wem bin ich Freund? Kapsele ich mich ab, oder verliere ich mich in eine Fülle von Kontakten? Habe ich den Mut, bei mir zu bleiben und aus mir herauszugehen, zu den anderen hin? Ist mein Schreiben und Telefonieren, mein Reisen und Einladen von der Liebe, von der Mitbrüderlichkeit, von meiner geistlichen Verantwortung mitgeprägt?

[202] Diesen knappen Fragen wollen wir noch einige Kontexte beigeben, die den geistlichen Hintergrund wie die praktischen Konsequenzen verdeutlichen.

ad 1) Wo Jesus von der Nachfolge spricht, machen zumeist das Haben und das Geben, das Lassen der Güter, die Freiheit von der ängstlichen Sorge, die aus Liebe leeren Hände den Anfang. „Alles, was mein ist, ist dein, und was dein ist, ist mein“ (Joh 17,10): Dieser sein Innerstes und sein Äußerstes prägende „Umgangsstil“ mit dem Vater ist Herzstück der neuen Lebensart, die wir von ihm her leben und als Sauerteig in die Welt bringen dürfen. Das Modell der Urgemeinde in Jerusalem oder das Miteinander und Füreinander der Gemeinden in der Sammlung des Paulus für Jerusalem (vgl. bes. 2 Kor 8,8–10) weisen daraufhin, daß aus der personalen Anforderung, die Jesus erhebt, eine neue Einstellung auch der Gemeinden sich als innere Konsequenz ergibt. Der Weltpriester ist aus gutem Grund nicht zu einem genau reglementierten Zeugnis der Armut verpflichtet, während der Zölibat die gemeinsame Lebensform des Presbyteriums darstellt. Aber darf der Verzicht auf eine äußere pflichtmäßige Ordnung den Ausfall einer Grunddimension des Evangeliums bedeuten? Was evangelische Armut meint, zielt beim Weltpriester zumindest und vor allem auf Gemeinsamkeit und Gemeinschaftsbezogenheit des Lebensstils: eben auf Communio, auf eine womöglich mit anderen in konkreter Verbindlichkeit gesehene und gelebte Weise des Austauschs, des Daseins füreinander und des gemeinsamen Daseins für andere.

ad 2) Wer das Warum seines Lebens darin sieht, die Sendung Christi weiterzutragen, der kann nicht nur in bestimmten Funktionen sein Gesandter sein, sondern ist es mit seinem Leben. Dies bedeutet nicht eine Verwandlung des ganzen Lebens in Funktion, wohl aber die Verwandlung der Funktionen in Leben und darin eine Alternative der Lebens-[203]art. Um nochmals auf das Bild zurückzugreifen: Ist der Priester in der Tat Strahl des einzigen Lichts, von dem her er lebt und sieht und wirkt? Und sind wir miteinander, die Priester gemeinsam, aber auch Priester und Mitarbeiter, Priester und Gemeinde, Strahlungsraum, der Erlöstsein bezeugt, dazu einlädt, an die Erlösung zu glauben und aus ihr zu leben? Es geht um ein Apostolat des Seins und ein Apostolat des Miteinanderseins. Das Verbrennen von Resignation und Urteil im Licht der Liebe sind entscheidende Schritte, um ein solches Apostolat des Seins und des Miteinanderseins in Gang zu bringen.

ad 3) Priesterliche Spiritualität kann und soll nicht uniformiert werden; viele Weisen geistlicher Prägung und geistlicher Gemeinschaft unter Priestern sind legitim. Unerläßlich aber ist es, daß der Priester ein „Geistlicher“ sei, der aus der Tiefe in die Nöte und Sorgen an der Oberfläche kommt und von hierher immer neu in die Tiefe durchzustoßen vermag. Der Weg des Priesters führt durch die Kreuzeshingabe Jesu hindurch in sein geistgewirktes Verhältnis zum Vater. Dort muß der Aufenthalt seines Lebens sein. Von dort aus muß er das Wort, das er zu künden, die Sakramente, die er zu feiern, den Dienst, den er zu verrichten hat, angehen, um sie zugleich mit seiner Erfahrung des Geistes und mit seinem eigenen Leben zu durchtränken. Es geht hier nicht ohne zarte Diskretion, ja ohne Einsamkeit. Diese aber ist polar auf das Miteinander bezogen, auf die Gemeinschaft. Der Priester, der mit anderen und vor allem mit anderen Priestern nicht über den Glauben reden kann, wird selber nur schwerlich für andere Quelle des Geistes, Quelle des Glaubens werden.

ad 4) Wer den Leib des Herrn den anderen darreicht; wer in der Eucharistie nicht nur das Geheimnis des Leibes und Blutes Christi sakramental vergegenwärtigt, sondern darin auch das Mysterium der Kirche vollzieht, die der geheimnisvolle Leib des Herrn ist, dem muß die eigene Leibhaftigkeit [204] etwas bedeuten: in sich selbst und in der Hinordnung auf die anderen Glieder des einen Leibes, zu dem er gehört. Leib ist Ausdruck der Liebe, ist ihre Gestalt, in welcher sie geborgen und geordnet ist und in welcher sie zugleich über sich hinausreicht zu den anderen. Von der Liebe her Leibhaftigkeit zu bestehen und zu gestalten, besagt Leben mit dem eigenen Tod und der eigenen Auferstehung. Der Tod und das Vergehen dürfen nicht nur schrecken; sie wollen angenommen, gestaltet, „gelebt“ werden. Die Hoffnung auf die Auferweckung des Leibes gibt die Freiheit, nicht angstvoll an der eigenen Gesundheit zu kleben, und zugleich das Bewußtsein der Verantwortung, daß jeder Augenblick „Materie“ für das Bleibende, das Kommende, für die erwartete Verherrlichung ist. Die Liebeskraft des Leibes ist ebenso Ausdruck der Liebe, mit welcher ich mein Geliebtsein vom Herrn, der sein Leben für mich hingab, beantworte und weitergebe. So ist der priesterliche Zölibat nicht Verleugnung, sondern Gestaltung der Geschlechtlichkeit, Leben der Ausschließlichkeit unserer Zuwendung zu Jesus Christus bis in den Leib hinein – und von ihm her zugleich lautere, nur um so freiere Zuwendung zu allen. Leibhaftigkeit aber gliedert zumal ein in den umgreifenden Zusammenhang des Sorgens füreinander und des gegenseitigen Dienstes. Der einzelne trägt um der anderen, um des Ganzen willen auch Verantwortung für seine eigene Gesundheit; er schuldet den anderen einen womöglich ausgeruhten, wachen, bereiten Bruder und Freund. Andererseits ist er aber nicht ängstlich um sich besorgt, wenn ihm äußerster Einsatz im Dienst an den anderen abverlangt ist. Brüderlichkeit, in der sich einer um den anderen kümmert, wird ihm zum Gleichgewicht, zu jener Gelassenheit helfen, die dem Herrn in der Mitte der Seinen mehr zutraut als nur sich allein. Sich verausgaben wird durch die Liebe ermöglicht, oft sogar gefordert – und doch ist dies in der gemeinsam gelebten Liebe nicht der [205] „Normalfall“. Gefordertsein wie Gelassensein, Anstrengung und Ruhe finden ihr Maß in der Verantwortung füreinander, in der gegenseitigen Liebe, in welcher einer auf den anderen achtet und dem anderen dient. Aus der Liebe geprägte Leibhaftigkeit ist, geistlich gesprochen, „dreidimensional“. In ihr falten sich jene drei Dimensionen aus, die sich im österlichen Geschehen der Kreuzeshingabe und Auferweckung Jesu eröffneten. Leibhaftigkeit ist Leibhaftigkeit für Gott, gottgehörige Leibhaftigkeit. Sie ist Leibhaftigkeit für die anderen, für die Welt, eingefügt in ihre Lebensbedingungen und in ihre Lebenskultur, zum Dienst ausgeliefert an diese Welt, recht verstanden: Brot für die Welt. Sie ist schließlich bezogen auf die Communio der Kirche, auf die Gegenseitigkeit des Dienens und „Daseins für ...“, das sich für den Priester zumal im Presbyterium verdichtet.

ad 5) Liebe birgt und beherbergt, Liebe schützt und macht schön. Liebe, die einmal der Himmel sein wird, baut dem Menschen ein Haus und bereitet ihm ein Kleid. Das Kleid birgt das Geheimnis des Menschen – und eröffnet es zugleich, bringt es ein in die Welt. Diskretion und Mut zum Zeugnis, Nähe zu allen und um aller willen, das Angebot des eigenen Dienens und Daseins: dies drückt sich in der Kleidung des Priesters aus. Weder untertauchen noch auffallen, weder Anbiederung noch selbstherrliche Absetzung entsprechen dem Stil des Priesters. Er wird sich bekennen zur Gemeinschaft des Presbyteriums, er wird sein Anderssein, das Anderssein für die anderen ist, weder verschweigen noch selbstgefällig auskosten. Und im Grunde steht es sehr ähnlich mit seinem Haus. Dieses ist ihm oft, vielleicht quer zum eigenen Stil und Wollen, einfachhin vorgegeben. Das Wie seines Wohnens bleibt dennoch gestaltbar. Man soll gerne beim Priester sein, sich bei ihm eingeladen und willkommen fühlen. Ordnung [206] und Schönheit sollen in Schlichtheit zutage treten, so daß der Einfachste nicht denkt: „Dahin gehöre ich nicht!“, so daß aber auch der Vornehme nicht abgestoßen ist von Unordnung und Schmutz. Der Priester soll sich auch bei sich selber zu Hause fühlen, freilich nicht so, als ob er hier eine „bleibende Stätte“ hätte. Ein bißchen muß sein Haus also „Schneckenhaus“ sein, will sagen: Haus, das für einen dient, der unterwegs ist. Und unterwegs zum Herrn, zueinander, zu den anderen bleiben wir zeit unseres Lebens. Das Haus des Priesters – dies sei eigens betont – ist aber nur das seine, wenn es zumal Haus für die Mitbrüder ist. Wie die Leibhaftigkeit, so ist auch die Häuslichkeit des Priesters „dreidimensional“: Der Priester wohnt in der Welt und ist da für die Menschen, da in ihrer Mitte. Der Priester wohnt bei Gott; Gott soll in seinem Haus wohnen und nicht nur nebenan in der Kirche. Und die Wohnung des Priesters ist umgekehrt auch selber: Kirche, Haus der Communio, des Miteinander. So wollte Jesus wohnen, dessen letzte und entscheidende Wohnung das Kreuz war: mitten in der Welt, ganz beim Vater und in der Mitte der Glaubenden. Man könnte, von Ostern auf die Anfänge des Lebens Jesu zurückgreifend, auch an das Haus von Nazaret erinnern: Haus mitten unter den Häusern, Haus des Wohnens mit Gott, Haus liebender Gemeinschaft.

ad 6) Der Priester soll ein Verstehender, ein Weiser sein. Darum auch ein Theologe. Doch dies hat nicht nur einen funktionalen Grund: um der Verkündigung willen. Sag mir, was du kennst, und ich sage dir, was du liebst. Zu Gott hin und von Gott her Menschen, Dinge und Umstände zu sehen, dies ist Voraussetzung für den, der im Koordinatensystem der österlichen Wege des Herrn zum Vater hin, zu den Menschen hin und in die Mitte der Gemeinschaft hinein seinen Standort hat. Theologie will also integriert werden ins Ganze priesterlichen Daseins. Es geht – wir betonten es bereits – um die [207] Weisheit, in welcher der Priester mit dem Geheimnis Gottes und dem in Gott gegründeten Geheimnis des Menschen und der Welt vertraut sein soll. Und diese Weisheit ist begründet und verankert in der Liebe. Die Blickrichtungen der Liebe – und entsprechend der aus ihr geborenen Weisheit und der ihr zugehörigen Theologie – sind wiederum durch die genannten „österlichen Wege“ markiert. Im Lichte des Lammes, also in der Sicht von Kreuz und Ostern auf die Welt, auf den Vater und in das Leben der Kirche hineinschauen, das ist hier gefordert. Wie aber kann der Priester im Drang seiner Verpflichtungen sich Zeit und Raum schaffen, um zu solcher umfassenden Weisheit zu gelangen? Ohne den Mut zum Abstand mitten in allen Anforderungen ist dies nicht möglich. Solchen Mut gewinnt der Priester vor allem in einer Communio mit den Mitbrüdem, im regelmäßigen Gespräch, das über Tagesfragen und Klerusfragen hinausreicht. Hier kann er von der Sicht des anderen lernen, Erfahrungen, Gehörtes, Studiertes, Probleme austauschen und so mit den Brüdern auf den Herrn, auf die Welt und auf die Kirche blicken. Dies ist der Resonanzraum, ohne den auch das – stets notwendig bleibende – persönliche Lesen und Studieren rasch verhallt.

ad 7) Communio bildete den Ausgangspunkt unserer Erläuterung priesterlicher Lebensform als einer Lebensform der Liebe. Solche Communio fuhrt in letzter Konsequenz hin auf die Communicatio, auf das Netz des gelebten Miteinander. Man könnte auch die Richtung umdrehen: Kommunikation ist der Ansatz, sie bildet das Netz, das den Priester beim Wagnis einer solchen Lebensform allein aufiangt und trägt. Heute werden dem Priester kommunikative Fähigkeiten und Kontakte in Fülle abgenötigt, die ihn oft überfordem, ja denen kaum einer wahrhaft gewachsen ist. Dies verleitet leicht zur Oberflächlichkeit, Flüchtigkeit, damit zugleich aber auch zur Einsamkeit und manchmal sogar zur Isolierung, [208] zum Abschotten des innersten Kerns, der dann erstickt. Vielerorts sind Krisen im priesterlichen Leben gerade in solchen Situationen zu orten, in denen vom Dienst her eine Fülle von Beziehungen und Kontakten gegeben und abverlangt werden. Doch meist, wo es zu einer Krise, zu einem inneren oder äußeren Zusammenbruch im Leben und im Dienst eines Priesters kommt, fehlte jene stetig gepflegte und unkompliziert offene, aber bis in die Tiefe reichende mitbrüderliche Beziehung, die ihn getragen hätte. Presbyterium kann aber nur dann Halt bieten und Lebensort sein, wenn es genauso als Aufgabe, als „Termin“, als unaufschiebbare Verpflichtung gesehen wird wie Gottesdienst, Katechese und Jugendarbeit. Einander anrufen, zum Bruder hinfahren, wenn einem die Decke auf den Kopf fällt, ihn aufstöbem, wenn er sich in einen Fuchsbau der Einsamkeit zu verschanzen droht: dies ist für das Gelingen priesterlichen Lebens und Dienstes von kaum zu überschätzender Bedeutung. Kommunikation, die aus der Kommunion wächst und zur Kommunion führt, dient freilich keineswegs nur der Abwendung oder Bemeisterung von Notfällen; sie ist das „Normale“ und das „Wesentliche“, wenn die gezeichnete Konzeption des Priesterseins stimmt. Und wo eine solche Kommunikation im Presbyterium gelingt – daß in ihr der einfach vorgegebene und aufgegebene „Nächste“ ebenso Vorrang hat, wie frei gewählte geistliche Gemeinschaft von hoher Bedeutung sein kann, wurde bereits erwähnt –, dort wächst dem Priester auch die Leichtigkeit und Sensibilität zu, aus einer inneren Verankerung in den anderen Feldern anzusprechen, zuzuhören, zu kommunizieren. Kommunikation als Lebensform gründet im Gespräch mit dem lebendigen, anwesenden Herrn. Bei ihm sind Rast und Atem in der Bedrängnis der tausend Erwartungen und Ansprüche. Von ihm geht aber auch die Kraft aus, nicht nur zu [209] funktionieren, sondern eben zu kommunizieren. Der Weg zum Herrn führt den Priester zumal zu seinen Mitbrüdem im Presbyterium, und der Weg zu diesen Mitbrüdem führt ihn zugleich zum Herrn. Das Presbyterium aber ist nicht Getto, liegt nicht im Windschatten, sondern ist der Ort, an welchem im Miteinander Licht und Kraft wachsen, sich allen zuzuwenden, Freund aller Freunde des Herrn zu sein; und seine Freunde sind gerade die Kleinen und Schwachen, jene, die weit draußen stehen.