Gerufen und verschenkt. Theologischer Versuch einer geistlichen Ortsbestimmung des Priesters

Liebe – „Lebensform“Gottes

Die Sendung des Priesters, der seiner Lebensgestalt entsprechen soll, will in ihrem innersten Grund, im Leben Gottes selber, verankert werden. Nur wer den Sendenden versteht, kann Sendung verstehen. Der Sendende aber ist jener, von dem es heißt: Er ist die Liebe (vgl. 1 Joh 4,10 und 16). Gibt es eine Möglichkeit, das Gemeinsame von Sendendem und Sendung in den Blick zu nehmen? Es ist also jenes Gemeinsame anvisiert, das ebenso das Wesen des Sendenden, sein inneres Leben ausmacht wie seinen Überschritt über sich selbst, in dessen Vollzug Sendung geschieht; darüber hinaus aber geht dieses selbe auch vom Sendenden kraft der Sendung [191] in den Gesendeten, in sein eigenes Leben über, um von seinem Leben nochmals überzugehen in jene, zu denen er gesendet ist, auf die seine Sendung hinzielt. Damit stehen wir vor der Aufgabe, so etwas wie den inneren Rhythmus der Liebe, ihre Gangart zu entfalten. Dies führt zu Aussagen, die ebenso Gottes Leben in sich, sein Wirken nach außen, die den Priester tragende Sendung, sein eigenes Leben wie auch die Kirche, der seine Sendung dient, im Auge haben. Solche Aussagen dürfen auf keinen Fall nivellierend und egalisierend gedeutet werden; sie stehen unter dem Vorzeichen, daß von Gott überhaupt nur im Sinne der Analogie gesprochen werden kann. Und dies um so mehr, als es hier um Aussagen geht, die nicht nur vom Geschaffenen hinweisend auf Gott zu sprechen, sondern um Aussagen, die zugleich von G ott her und ihn einbegreifend auf Geschaffenes angewendet werden sollen. Dieser Vorbehalt der Analogie ist nachhaltig zu unterstreichen, damit es nicht zu fundamentalen Mißverständnissen des Gesagten und Gemeinten kommt. Ist es dann aber überhaupt gut, einen solchen Ansatz zu erproben? Sinn und Grund der Existenz sowohl des Priesters wie der Kirche lassen sich nur verstehen, weil Gott selber sich offenbaren und mitteilen will. Er will nicht nur anderes sein lassen, sondern sich selbst diesem anderen lassen und in ihm gegenwärtig sein. Wer von Liebe so spricht, wie sie sich uns in der Offenbarung erschließt, der spricht vom Eigensten Gottes und vom Eigensten der Schöpfung, vom Eigensten zumal der Kirche und auch des Priesters. Wenn ich als Christ Gott denke, dann kann ich mich nicht mehr ablösen von jenem „Standort“, den wir eingangs als den Standort unserer christlichen und priesterlichen Existenz bestimmten. Ich kann mich nicht mehr ablösen vom Sohn, der sich dem Vater hingibt und der zugleich vom Vater ausgeht und der mit ihm, auch und gerade in der äußersten Spannung [192] des Hinausgehens in die Finsternis der Gottverlassenheit, in reiner und vollkommener Einheit verbunden ist im einen Geist. Ich entdecke: In diesem Geschehen, das zugleich Geschehen von Karfreitag und von Ostern ist, leuchtet die Seligkeit und Herrlichkeit Gottes selber auf, zu der wir gerufen und geladen sind, und zugleich das Anfänglichste, das Erste, dasjenige, vor dem es keinen anderen Anfang gibt. Dieser Gott ist von allem Anfang an Gemeinschaft. Nicht zuerst ein Einsamer, ein Anfang in sich, und dann, wenn ich näher nachdenke und zusehe, trägt sich in ihn noch etwas Zweites, der Sohn, das Wort, ein, und dann muß ich die beiden Pole wieder miteinander versöhnen und verbinden im einen Geist. Nein, Gott selber ist Liebe, und das heißt: Er ist mit keinem Gedanken zu denken ohne diese vollendete Gemeinschaft in sich selbst. Die reinste, ursprünglichste Einheit Gottes ist ein „Einander“. Wohin ich mich wende, wo immer ich Gott suche und das suche, worauf Gott es mit seinem Wirken angelegt hat: es geht um dieses „Einander“. Communio ist nicht ein nachträglicher Ausgleich der Interessen oder auch des Heiles vieler, sondern sie ist das eine Leben Gottes, an dem er uns teilgibt. Unser Heil ist Communio in der Teilhabe an Gottes „Einander“. Das ehrwürdige Wort von der Communio Sanctorum, von der Gemeinschaft der Heiligen, hat in der (älteren) ostkirchlichen und in der westkirchlichen Tradition eine verschiedene Färbung; aber nur beide Färbungen zusammen geben die eine, unverwechselbare Farbigkeit wieder. Im Osten meint Communio Sanctorum die Gemeinschaft im Heiligen, die gemeinsame Teilhabe am Heiligen, also am Leben Gottes selber; im Westen steht die Gemeinschaft der Vielen miteinander im Blick, die von Gottes Leben her geheiligt sind, in ihm miteinander kommunizieren. Gemeinschaft miteinander ist Gemeinschaft in Gott, gemeinsame Teilhabe an ihm, Eintreten in seine alles erfüllende und aufeinander beziehende, [193] zur Einheit vollendende Liebe. An Gott denken heißt: an Liebe denken; und an Liebe denken heißt: an Communio, an das „Einander“ denken. Wie aber können wir Liebe als Communio denken? Wir versuchen, eine Struktur des Geschehens von Liebe als Communio zu entwerfen, die dann auch den Raster abgibt, um die Lebensform des Priesters und der Kirche als Lebensform der Liebe zu verstehen. Das erste, anfängliche, sich in allem Folgenden auslegende Strukturmoment ist das „Einander“, die Communio als solche. In einem folgenden Paar von Bestimmungen (2. Und 3. Strukturmoment) soll die innere „Zeitlichkeit“ der Communio sichtbar werden, der Ausgang und Eingang der Liebe, in denen sie sich als Communio je schon konstituiert hat. Ein weiteres Paar von Bestimmungen (4. und 5. Strukturmoment) zeichnet entsprechend die innere „Räumlichkeit“ der Communio (ihren Glanz und ihr Walten, ihre „Herrlichkeit“ und ihren „Himmel“). Ein letztes Paar von Bestimmungen (6. und 7. Strukturmoment) entfaltet die kommunikative Grundqualität der Communio als solcher (als „Geheimnis“ und „Offenbarung“). Dieser schematisierende „Theaterzettel“ soll zur Übersicht im anschließenden, ein wenig abstrakten und verschlungenen Gedankengang verhelfen, welcher indessen den Grund für recht praktische und alltägliche Konsequenzen legt. Entfalten wir also das 2. und 3. Strukturmoment. Man könnte, in einem übertragenen, der Endlichkeit der Zeit entkleideten Sinn, von den beiden Richtungen sprechen, wie Communio sich zeitigt. Es ist einmal der Ausgang und zum anderen der Eingang. Wer liebt, der gibt an sich selber teil, der geht als Liebender aus sich heraus, über sich hinaus. Er ist nur so er selbst, er bleibt nur so in sich selbst. Sich haben heißt sich geben; in sich stehen heißt sich öffnen; selber sein heißt Ursprung sein, also entspringen lassen; Leben haben heißt [194] Leben geben. Licht strahlt; Quelle bedeutet entspringen lassen. Solchem Ausgang korrespondiert von Anfang an aber die Gegenbewegung des Eingangs. Wer liebt, der gibt Anteil an sich, der läßt in sich ein, der nimmt in sich auf. In seinem Ausgang ruht er zugleich in sich; in seinem Gehen aus sich geschieht zugleich Eintritt in sich. Ausgang und Vollendung sind eins. Bei unserer anfänglichen Betrachtung des Geschehens von Karfreitag und Ostern wurde bereits deutlich: Der sich mitteilende und der an sich ziehende Charakter von Liebe, der Abstieg Gottes in die Welt und der Aufstieg der Welt in Gott durch den Sohn Gottes im Geist – das sind Bewegungen, die zurückverweisen auf das Innerste Gottes selbst. Es sind Wesensmerkmale der Liebe, die mitteilt und teilgibt, die Teilgabe im aktiven wie im rezeptiven Sinn, als Ausgang wie als Eingang ist. Communio ist Ausstrahlung wie Einladung, Liebe geht aus und sagt dabei: Komm! Diese zwei „zeitigenden“ Momente in der Communio, Ausgang und Eingang, bezeichnen die Vollendung der Communio in sich selbst, im höchsten Maß: die absolute Vollendetheit des Gottes, der die Liebe ist, des dreifältigen Gottes, in sich selbst. Gerade diese Vollendung in sich selbst aber bezeichnet zugleich die Freiheit Gottes, seiner Liebe, sich zu überschreiten, anderes sein zu lassen, mehr noch: anderes, das er erschafft, an sich selber teilhaben zu lassen, in freier Gewähr ihm teilzugeben an der Liebe, an der Communio, die er selber ist. Wir gehen nun zum nächsten Paar von Momenten unserer Struktur, dem vierten und fünften, über. Wenn Gott etwas schafft, dann sind für das Geschaffene zwei Bestimmungen da, die Gott nicht zu erschaffen braucht, sondern die einfach mitgegeben sind, weil Gott da ist; weil Gott Gott ist: zum einen die Größe, der Glanz, die Herrlichkeit Gottes – zum ändern der Himmel, der entzogene un-örtliche Ort Gottes. Sicher kann Gott in der Welt abwesend und [195] verdunkelt, kann er ortlos und fremd erscheinen bzw. gerade nicht erscheinen. Aber zu ihm als Gott gehört dies nichtsdestoweniger: Er ist der herrlich Aufgehende, der in sich selbst Waltende und Wohnende – eben: Herrlichkeit und Himmel. Man könnte dies die „optischen“, „räumlichen“ Momente des Göttlichen nennen. Diese beiden heute fremd klingenden Merkmale – ihre Fremde ist ein Signum – gehören zum Urbestand des religiösen Bewußtseins der Menschheit. Doch inwiefern sind sie ursprüngliche Merkmale der Liebe als Communio? Liebe, Communio löschen die Partner nicht aus, aber sie verbinden diese, umfangen diese in dem einen, nicht mehr Anteile auseinanderlegenden Glanz der Seligkeit – dies ist die Herrlichkeit der Liebe. Und so wohnen die Liebenden beisammen, ist die Liebe selbst sich Haus und Himmel. Gottes absolut eines, unteilbares, mit ihm identisches Wesen, die Liebe, die er ist, kann man per definitionem nicht abtrennen von seinem Dasein, und dieses Dasein Gottes ist eben das Dasein in drei Personen. In dem trinitarischen Geschehen der Liebe geht dieses eine Wesen Gottes auf im absolut einen Glanz, in der Herrlichkeit, die Gott als Gott zugehört. Das von außen unzugängliche Licht, in dem Gott wohnt, legt – wiederum analog gesprochen – sich aus als Beziehungsraum, als Beieinander und Ineinander: Gott, der Herrliche, in dreifältiger Liebe in sich Vollendete, ist sich selber Himmel. Und wiederum: weil die Herrlichkeit und der Himmel Gottes die Liebe ist, deshalb kann Gott seine Herrlichkeit weiterschenken, aufstrahlen lassen nach außen und seinen Himmel öffnen – wir können „in den Himmel kommen“. Die Strukturmomente Herrlichkeit und Himmel, strahlender Aufgang und bergende, umhüllende Stätte, haben im Geschöpflichen, im Menschlichen, ihre Entsprechung. Herrlichkeit spiegelt sich in Leibhaftigkeit, die Ausdruck und gegliederte Fülle der Einheit des Lebens, der Person ist. [196] Himmel weist hin auf das Kleid und zumal auf das Haus, in welchem der Mensch geborgen, bei sich ist. Liebe macht Menschen zu einem Herzen und einer Seele, sie macht sie zum „einen Leib“ – Liebe läßt beieinanderwohnen, baut sich ein Haus. Und, Gott verehrend, formt der Mensch Gott ein Bild, mehr und tiefer: er ist selbst Gottes Bild; und dem, den die geschaffenen Räume Himmels und der Erde nicht fassen, errichtet er den Tempel, mehr und tiefer: wird er, wird die Gemeinschaft zum Tempel. Liebe hat sich uns zunächst also als Communio gezeigt. Sie hat als Communio sich entfaltet in die beiden „zeitigenden“ Dimensionen des Ausgangs und des Eingangs. Aus ihnen erfolgten die beiden – wiederum im nichtextensiven Sinne verstanden – „räumlichen“, genauer: Gott ortenden Bestimmungen der Herrlichkeit und des Himmels; diese stellten sich, ins Menschliche transponiert, als „Leibhaftigkeit“ und „Wohnung“ dar. Da nun Liebe kommunikativ, da sie selbst Eröffnung und Mitteilung ist, entsprechen ihr nicht nur das Ereignis der Communio (zeitigende Bewegung) und das Beieinandersein (räumliche Momente); aus diesem Beieinandersein erwächst etwas wie Durchdringung, Verstehen, Schau, Erhellung, die konstitutive, kommunikative Dimension, die Communio als solche ins Licht setzt. Hier bilden sich das sechste und siebte Moment. In sich ist Liebe das Wunderbare, Erstaunliche, schlechterdings Überraschende und darin doch den Zusammenhang des Ganzen Erhellende. Gott ist der Wunderbare, der Geheimnisvolle. Liebe selbst ist sein Geheimnis; und in diesem Geheimnis ist das Geheimnis von allem, der Zusammenhang von allem verborgen und geborgen. Nur die aus Gott selber stammende Weisheit erkennt ihn, den wunderbaren Gott, und erkennt in ihm das Geheimnis des Alls. Dieses Geheimnis wohnt in ihm selbst, dieses Geheimnis ist er selbst. Das sechste Moment: Geheimnis. [197] Als das Geheimnis, als das Wunderbare ist Liebe aber zugleich das Sich-Mitteilende und Mitzuteilende, das zu Rühmende, dessen Kunde alle miteinander verbindet, dessen Lobpreis Voraussetzung der einen Sprache ist, in welcher alle sich verstehen. Offenbarung, Mitteilung, Kündung, dies ist das siebte Moment der Liebe. Transponiert in die geschöpfliche Teilhabe an Gottes Communio- und Liebe-Sein: geschaffene Weisheit, die Gottes Geheimnis und in ihm den Zusammenhang des Ganzen kennt, sowie Mitteilung, die Gott weitersagt und darin Verbindung stiftet bzw. Kommunikation. Was Gott in sich selbst ist, das will er für uns sein. Und wie Gott ist, so sollen wir, in ihm lebend, sein Leben empfangend und weitertragend, selber sein. Es hätte genügt, die ersten drei Momente der Liebe zu entfalten, Communio, die in sich selbst Ausgang und Eingang umfaßt und daher offen und frei ist, sich über sich selbst hinaus mitzuteilen und an sich teilzugeben. In diesem fundamentalen Anfang, im Rhythmus des dreifältigen Lebens ist alles andere enthalten. Und doch ist es bedenkenswert, daß die Geschichte des Gottesverhältnisses der Menschheit die folgenden Momente ans Licht hebt: die Herrlichkeit Gottes und der von ihr durchwohnte Himmel, der sich irdisch im Gotteshaus, im Tempel, spiegelt; zum anderen Gott als der Wunderbare, als das Geheimnis, das indessen zur Bekanntmachung, zur Kündung, zum Weitertragen und Weitersagen drängt, sich seine Sprache, uns unsere Sprache erbildend. Gotteswissen drängt zum Weltwissen, enthält in sich Weltwissen – Kommunikation unter Menschen ist in den Kulturen der Menschheit verankert in der kultischen Kommunikation, in der Gemeinschaft der Feste und Feiern, in denen die Verherrlichung des Geheimnisses in die Gemeinschaft miteinander, in die Verbundenheit miteinander hinein umschlägt.  [198] Das Unerhörte christlichen Gottesbildes tritt indessen erst dann ans Licht, wenn wir unsere bisherige Aussagerichtung umkehren. Bislang prädizierten wir die gefundenen Momente von der Liebe. Diese Momente – die ja auch in vor- und außerchristlicher Religiosität Vorkommen – sollen uns jetzt hingegen zum Subjekt werden, von dem wir Liebe als das sie Erfüllende und Erklärende prädizieren. Die Aussagereihe hieße dann, knapp gefaßt, wie folgt: Vollendete Gemeinschaft ist Liebe; ganze Gemeinschaft in Gott und mit Gott kann nur von der Art der Liebe sein. Gottes Ausgang in sich und über sich hinaus ist Strahlung der Liebe. Gottes Anziehungskraft in sich selbst, Gottes Inwendigkeit und Abgründigkeit ist nichts anderes als Liebe. Gottes Herrlichkeit ist Liebe. Der Himmel ist Liebe. Das Geheimnis Gottes und das Geheimnis aller Schöpfung, die „Oikonomia“, die Weisheit, die das All durchwaltet, ist Liebe. Der Sinn des Kultes und der Kultur ist Liebe. Sowohl die Religion als menschheitliches Phänomen wie auch die menschliche Kultur und Zivilisation treten in ein neues Licht, wenn sie mit der Botschaft des Gottes, der Liebe ist, konfrontiert, von ihr her neu gelesen werden. Die Überraschung, die diese Botschaft auslöst, ihre Neuheit, ist frisch und betreffend wie am ersten Tag. Zeuge dieser Botschaft zu sein ist Auftrag des Priesters. Wie wird Liebe seine Lebensund Zeugnisform?