Botschaft: Kirchenbau
Liturgische Vergegenwärtigungen des Heiligen*
Nun wird uns in einem zentralen Abschnitt des Zweiten Vatikanischen Konzils, in der Liturgiekonstitution, wird uns eine mehrfache Gegenwart Christi auch in der Liturgie vor Augen gestellt (vgl. SC 7). Es sind drei Weisen; aber ich möchte den dortigen Ansatz durch zwei weitere Weisen ergänzen, die durchaus im Sinne dessen, was das Konzil sagt, theologisch komplementierend von Bedeutung sind. Der Herr ist gegenwärtig in Opfer und Mahl, die dargebracht werden; er ist gegenwärtig in dem, der bestellt ist, der Eucharistie als Repräsentant Christi für die Kirche vorzustehen; er ist gegenwärtig in der Verkündigung.
Diese drei Weisen sind die spezifisch liturgischen: der Herr in seinem Wort, der Herr in der Eucharistie, der Herr im Vorsteher der Eucharistie. Dabei wird, und dies ist nun entscheidend, etwas Weiteres in diesem Abschnitt der Konzilskonstitution auf Liturgie bezogen: Der Herr ist einfach dadurch gegenwärtig, daß Menschen sich in seinem Namen versammeln. „Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ (Mt 18,20). Hierbei müssen wir, wenn wir streng biblisch vorgehen, noch zwei Dinge bedenken, die nicht äußerlich-funktional in die Liturgie hineingehören: Christus ist gegenwärtig in jedem von uns, in jedem Glaubenden. Wer ihn liebt, dem wird er sich offenbaren: „Wenn jemand mich liebt, wird er an meinem Wort festhalten; mein Vater wir ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und bei ihm wohnen“ Joh 14,23). Der Herr wohnt durch den Glauben und durch die Liebe in unserem Herzen; der Herr wohnt also in der Liebe des einzelnen. Aber er wohnt auch im je anderen und gerade in dem am Rande Stehenden, im Geringsten: Was wir einem der geringsten Brüder getan haben, das haben wir ihm getan. (Vgl. Mt 25,40; selbst wenn die Stelle unmittelbar im „Geringsten“ den sieht, der den apostolischen Dienst für die Gemeinde tut, ist die elementare und allgemeine Auslegung auf den Armen, auf jeden Nächsten legitim.) Dann hat also Kirche als gelebte Kirche, als Kirche, die wir sind, insgesamt eine sechsfache Gegenwart Christi, die sich in der Liturgie verdichtet, aber nicht in ihr erschöpft. Wir haben sozusagen eine dreifach „objektive“ und dreifach „subjektive“ Weise der Gegenwart Jesu.
Oder wir können auch auf zwei Brennpunkte hinweisen, die gegenseitig aufeinander bezogen sind und voneinander leben. Das eine ist die in der Eucharistie sakramental gegebene, das Ganze integrierende Gegenwart Jesu, und das andere ist die in der Versammlung der Glaubenden sich vollbringende Gegenwart Jesu. Immer und überall, wo Glaubende sich vereinen, ist der Herr in der Mitte, sofern sie in seinen Lebensrhythmus, in sein Lebensgesetz eintreten, so daß jeder den Herrn in sich leben läßt und jeder ihn im anderen annimmt und erkennt. Wo wir einander so begegnen, ist der Herr – und da wächst Kirche. Diesem je aktuellen, je von den Anwesenden anhängenden ereignishaften Modus der Gegenwart Jesu steht nun das andere gegenüber: die unverfügbare Vorgabe, die vom Herrn einfach als Gewähr seiner Präsenz in seine Kirche hineingegeben, sakramental ihrer Grundstruktur eingestiftet ist. Wo sein Wort da ist, da ist Er, und an seinem Wort wird es nicht mangeln bis zum Ende. Wo sein priesterlicher Stellvertreter aus der apostolischen Sendung heraus verkündet und sakramental wird, da ist Er; und das persönliche Defizit des Gesandten kann nicht aufheben, daß Christus in ihm sich schenkt, sofern der Priester das tut und tun will, was Kirche tut, getreu dem Auftrag dieses Christus. Dies geschieht, wenn aus seiner Weihe heraus der Priester als der Gesandte Christi das Wort verkündet und in der Eucharistie den Tod des Herrn und seine Auferstehung vergegenwärtigt. Diese beiden Realitäten, Wort und Eucharistie, aber sind aufeinander bezogen. Eucharistie und Wortverkündigung und priesterlicher Dienst können im Grunde nur dort das zur Geltung, zum Leuchten bringen, wo Menschen von sich aus aufbrechen im Glauben und sich mitbringen, sich gegenseitig lieben und so miteinander versammelt sind, daß der Herr in ihrer Mitte sein kann. Und wo Menschen Ihn in der Mitte haben, da zeichnet sich der Raum ab, der sich öffnet für die Vollendung der Communio in der Eucharistie.
Über den Kirchenbau als Kyriake-Bau lassen sich zunächst folgende Sätze sagen: 1. Es braucht Raum, in dem Christen sich versammeln, damit der Herr in ihrer Mitte ist und in dem sie einander so begegnen, daß er in ihrer Mitte sein kann. 2. Es braucht Raum, in dem sich in diese Versammlung hinein durch den Dienst des Priesters der lebendige Herr in Wort und Sakrament gibt. Es braucht also den Liturgieraum und den Versammlungsraum. Beides ist nicht voneinander zu trennen; aber Versammlung ist mehr als Eucharistie; wir können uns versammeln, ohne daß wir Eucharistie feiern; und Eucharistie ist mehr als eine bloße Versammlung; denn nicht jedesmal, wenn wir uns versammeln, feiern wir auch Eucharistie. Beides: das Ereignis des Sich-Versammelns und die je neue und doch immer selbe Gabe, die aus dem Ursprung herkommt in der Eucharistie, dies sind die zwei Zentren, dies sind die zwei Bewegungen, die einen Raum brauchen.
Nun aber ist jeder dieser beiden Sätze ist auf je drei andere bezogen. Ich möchte diese jeweils drei Sätze nennen: a) Einmal ist Kirche als Raum der Versammlung der Raum, in welchem der einzelne sich so sammeln können soll, daß er zum Herrn, der in ihm wohnt, vordringen kann. Er braucht einen Raum, wo dies möglich ist, wo er den Herrn in sich in der Stille entdeckt, b) Er braucht einen Raum, in dem er den anderen nahe ist und in dem er den Glauben des anderen erfahren und ihm seinen Glauben bezeugen kann, c) Er braucht einen Raum, in dem man sich mit allen versammeln und begegnen kann, damit die Gegenwart des Herrn in der Mitte gestärkt wird.
Die drei anderen Sätze, die sich auf den Kirchenraum als Liturgieraum beziehen: a) Die Eucharistie soll gefeiert werden; es muß daher ein Raum sein, in dem die Stellung des Priesters als des Vorsitzenden der Eucharistiefeier (nicht im Sinn einer klerikalen Absonderung, aber einer repräsentierenden Zuordnung auf Christus hin) für alle sichtbar wird, wo sichtbar wird: Der Herr bringt seine Gegenwart in die Eucharistie ein, er geht auf die [16] Gemeinde zu, seine Gegenwart wächst nicht nur wie in der ersten Dimension aus ihr heraus, b) Es muß ein Raum sein, in dem Mahl und Opfer möglich sind und die eigentliche Mitte bilden. Und es muß c) ein Raum des Verkündens und Vernehmens, also ein Raum sein, in dem das Wort vernehmbar und betreffend an die Menschen ergehen kann.
Wenn ich zuerst vom Versammlungsraum spreche, dann spreche ich im Grunde von einem Raum, wie er überall sein soll und kann, auch in der Familie. Es ist sozusagen das Zentrum unseres christlichen Lebens, daß ich immer in mir Jesus finden, immer den anderen lieben, immer mit dem anderen eins sein soll. Das Spezifische und Unterscheidende des Kirchenraums ist dann tatsächlich dies, daß Eucharistie hier möglich ist. Aber eigentlich kann Eucharistie nur fruchtbar werden, wenn eben die drei anderen Momente mit da sind: sich versammeln können, still werden und einander begegnen können.
Mir scheint, daß das Neue am heutigen Kirchenbau in folgendem liegt: Wir leben nicht mehr in der Selbstverständlichkeit, daß diese drei Momente einfach gegeben sind. Es ist weniger selbstverständlich als früher, den Herrn in mir, im Bruder und in der Mitte zu finden. Zugleich aber gewinnen diese drei Weisen heute viel mehr Kontur. Diese Gegenwart Jesu in unserer Mitte, aber auch seine Gegenwart im einzelnen, im Nächsten waren in der Epoche zuvor theologisch vor dem „Objektiven“ zurückgetreten. Nicht, weil man nicht daraus lebte, sondern weil man in die vorgegebenen Strukturen und Bedingungen einer christlich geprägten Gesellschaft eingebettet war und so das Unselbstverständliche des Vollzugs als eines solchen nicht eigens zu reflektieren brauchte. Dann aber markieren doch heute gerade Sich-Versammeln und Communio eine neue Anforderung an unsere Kirchen als Versammlungsraum.