Franz von Baaders philosophischer Gedanke der Schöpfung

„Müssen" als Schlüssel zur Logik des Geschehens

Ein Stichwort, an dem sich erkennen läßt, daß wir es mit der Logik des [35] Geschehens zu tun haben, ist das „Müssen“. Die beiden Grundstellungen, in denen Müssen erscheint, sind zugleich Grundstellungen innerhalb der Logik des Geschehens, und was sie zu Grundstellungen des Müssens macht, das macht auch die innere Einheit der Logik des Geschehens aus.

aa) Dialektisches Verhältnis des „Müssens“ zur Vertrautheit Daß Müssen aus der reinen Vertrautheit hinausweist und ihre immanente Logik sprengt, lehrt schon ein flüchtiger Blick auf die Situationen, in denen von Müssen entweder die Rede ist oder nicht die Rede sein kann. Beruhigte Selbstverständlichkeit kennt kein Müssen. Wenn einer, dem etwas selbst­verständlich ist, meint, es „müsse“ so sein, so sagt nicht er dies, sondern sagen es die anderen, denen es nicht selbstverständlich ist. Er sagt es erst, wenn die Bestreitung der Selbstverständlichkeit ihn herausfordert, sie ent­ schieden zu behaupten, er damit aber der bloßen Vertrautheit entraten ist. Auch die Ergebnisse der zwingenden Vertrautheit werden innerhalb dieser nicht auf die Weise des Müssens, sondern des schlichten Seins ausgesagt. Eins und eins muß nicht zwei sein, sondern ist zwei.

Kommen jedoch nicht auch zwingende Strukturen des Denkens und so des in ihm anwesenden Seins auf die Weise des Müssens zur Sprache – etwa: Was ist, muß einen hinreichenden Grund haben? Dennoch be­gnügte sich die bloße Vertrautheit damit, zu sagen: Was ist, hat einen hinreichenden Grund. „Müssen“ bringt einen neuen, verwandelnden Klang in die reine Gegenwärtigkeit des Vertrauten.

Was ist der unterscheidende Anlaß, der das eine Mal die feststellende Redeweise des schlichten Seins, das andere Mal die Aussage des Müssens bedingt?

Beobachten wir den Unterschied an allgemeinsten Formen eines Vollzuges: Ich tue etwas – ich muß etwas tun; und eines Verhaltes: Es ist so – es muß so ein. Die Aussageweise des schlichten Seins, der „Indikativ“, bezeichnet die Unmittelbarkeit eines Vollzugs oder Verhalts. Das Subjekt ist unmittelbar im ausgesagten Vollzug oder Verhalt mit dessen Gehalt verbunden, nicht neben dem Vollzug oder Verhalt, sondern in ihn aufgehoben und in diesem Sinne: er selbst. So gehört der „Indikativ“ dem Stand des noch in der Vertrautheit (seiner selbst oder doch des Aussagenden) aufgehobenen oder des in der Entschiedenheit bereits wiederaufgehobenen Subjektes zu. Der Schwerpunkt des Vollzuges liegt im Ausgesagten, es ist der umfassende Raum für das Dasein des Subjektes; dieses tritt an sich selbst nicht hervor, die Richtung der Aussage weist von ihm weg.

Dem steht die Aussage des Müssens als mittelbare Aussage des be­ treffenden Vollzugs oder Verhalts gegenüber. Das müssende Subjekt verhält sich nicht in dem von ihm ausgesagten Vollzug oder Verhalt, ist nicht in ihm aufgehoben, sondern verhält sich im Müssen erst zum gemußten Voll­zug oder Verhalt. Es bildet nicht eine aktuose Einheit mit ihm und durch ihn mit seinem Gehalt, sondern hat im Müssen diese aktuose Einheit und also sich selbst vor sich und sich gegenüber. Das Subjekt tritt an sich selbst hervor. Die Aussage des Müssens faßt nicht die Aufgehobenheit des Sub-[36] jekts im Vollzug oder Verhalt selbst, sondern die Situation, aus der es sich zu dieser Aufgehobenheit hin aufhebt.

Wenn mir gegenwärtig ist: Ich muß etwas tun – es muß so sein, so sind mir zwei Komponenten gegenwärtig, aus denen sich das Müssen konstitu­iert. Einmal steht mir das Gemußte vor Augen als die – zeitliche oder logische – Folge, die sich aus dem Müssen ergibt: Ich werde das tun – es ist folglich so, und diese Folge ist, was sie ist, auf die Weise des Faktums, des feststellbaren Ergebnisses. Zum andern steht mir dasselbe Gemußte vor Augen in seinem Zukommen zum müssenden Subjekt, das, was ich tun muß bzw. wie es sein muß, als dem Müssen voraus festgelegt und es festlegend. Müssen selbst begreift sich sodann als Folge und Ergebnis der Zuwendung des gemußten Gehaltes zu seinem Subjekt.

Schlichtes Tun und Sein blicken in ungebrochener Hingabe nach vorne, auf den Gehalt, in dem sie und mit ihnen ihr Subjekt aufgehen. Der Blick des Müssens ist hingegen ein doppelter; er blickt nach vorne auf das von seinem Müssen Bedingte und zurück auf das sein Müssen Bedingende; in beidem sieht er dasselbe als das Gemußte, in beidem begegnet er dem Subjekt des Müssens in seinem müssenden Gegenübersein zu sich selbst. Der Vollzug oder Verhalt infolge des Müssens wiederholt den Gehalt, dessen Ankommen beim Subjekt auf Wiederholung hin eben Müssen ist. Müssen heißt so: wiederholen müssen.

Was muß das müssende Subjekt wiederholen, und welches sind entsprechend die beiden Dimensionen, in denen es sich gegenüber ist? Wie der Vollzug oder Verhalt aufgrund des Müssens, so ist auch das Zukommen des gemußten Gehaltes Faktum und Ergebnis, denn sonst könnte ich das Müssen ja nicht feststellen. Die Faktizität des Gehaltes des Müssens, sofern er das Müssen bedingt, ist jedoch anderer Art als die Faktizität, die er aus dem Müssen her annimmt. Der Gehalt des Müssens wird erst ein solcher, wenn der Blick auf die Folge des Müssens gerichtet ist, auf den vom Müssen bedingten Vollzug oder Verhalt. Ohne diesen Hinblick ist Müssen nicht; in der Hinsicht auf den gemußten Vollzug oder Verhalt aber ist der dem Müssen zukommende Gehalt nichts anderes als das Was des Vollzugs oder Verhaltes, das sich im Müssen erst zum Das, zu seinem Dasein hin bestimmt. Müssen steht so zwischen dem Was und dem Das, es wendet das Was zum Das und, näher betrachtet, nicht nur das Was des gemußten Vollzugs oder Verhaltes zu seinem eigenen Das, sondern das Wesen des müssenden Subjektes selbst zu seinem bestimmten und entschiedenen Dasein. Denn das Was des gemußten Vollzugs oder Verhalts gewinnt sein Da erst in diesem. Als Was aber ist es dem Müssen zuvor schon umgriffen vom Wesen des alsdann müssenden Subjektes. Was ich tun muß, ist mir möglich, und was mir möglich ist, ist mir wesentlich vertraut. Wie etwas sein muß, so kann es sein kraft dessen, was es ist. Die Durchführung des Gemußten ist Durchführung des vom Subjekt Vermochten und so Durchführung seines eigenen Wesens. Was also aufgrund des Müssens wiederholt werden muß, ist das Wesen seines Subjektes. Dieses ist im Müssen sich selbst gegenüber als dem Subjekt seines das Müssen bedingenden Wesens und als dem Sub- [37] jekt seines vom Müssen bedingten wiederholenden Vollzuges oder Verhalts.

Daß dies für das Vollziehenmüssen zutrifft, liegt dort am deutlichsten auf der Hand, wo nichts zum Dasein des Wesens Zusätzliches, sondern dieses selbst gemußt wird: Ich muß sein und also sein, was ich bin. Wo dagegen mein gemußter Vollzug zu meinem Dasein in meinem Wesen hin­ zukommt und dieses nur modifiziert, tritt die auch hier geschehende Wieder­ holung meines Wesens hinter den faktischen Bedingungen eben dieser Modi­ fizierung in der betreffenden Situation zurück; und doch rührt die eigentümliche Schärfe des Müssens allein daher, daß ich mich, das, was ich bin, den, der ich bin, vollziehen muß in diesen zu-fälligen Bedingungen, die wiederum mir nur zufallen können, weil ich bin, was ich bin. So wieder­holt der gemußte Vollzug mein Wesen je in der Tiefe und Dichte, in welcher es mir in dieser Situation begegnet.

Das Gegenübersein des müssenden Subjektes zu Wesen und Wieder­holung des Wesens bestätigt Unterschiedenheit und Bezogenheit zwischen den Ordnungen des Wesentlichen und des Müssens. Wo bloße Vertrautheit, da kein Gegenübersein zum Wesen, also kein Müssen – wo keine Gegenwart des Wesens, da auch keine Wiederholung des Wesens, also wiederum kein Müssen.

bb) Anlaß der Dialektik des Müssens Im Müssen geschieht eine eigentümliche Bestimmung seines Subjektes. Müssen heißt: nicht anders können – und lebt als Müssen von der Ausdrücklichkeit dieser Ausschließung. Wo Müssen ausgesagt wird, ist das Subjekt in der Aussage des Müssens diesem voraus gedacht als unbestimmt, d. h. im Spielraum von sodann im Müssen als unmöglich ausgeschlossenen Möglichkeiten. Müssen entsteht in der Begegnung einer Eindeutigkeit mit einer Mehrdeutigkeit durch die Unterwerfung („Subjektion“) der Mehrdeutigkeit unter die Eindeutigkeit. Das unterworfene Mehrdeutige „muß“ jeweils, wird „Subjekt“ des Müssens.

Aufs erste erscheint dieser Spielraum leicht als Spielraum des Wesens. Denn wenn ich etwas tun muß, so müßte ich es doch nicht tun; von meinem Wesen als solchem her könnte ich auch etwas anderes oder nichts tun. Und wenn ich sein muß, so muß ich doch sein, nur weil ich eben bin; ich müßte nicht sein; mein Wesen schließt seine Wiederholung in mir weder als notwendig ein noch als unmöglich aus.

Dennoch ist der Spielraum der im Müssen ausgeschlossenen Möglichkeiten nicht eigentlich Spielraum des Wesens, sondern seines Subjektes. Denn wo das Wesen nur in sich betrachtet wird und wo der Vollzug oder Verhalt in seinem Wesen noch aufgehoben und nicht an sich selbst hervorgetreten ist, taucht dieser Spielraum gar nicht auf. Wesen als solches ist eindeutig. Möglichkeit und Spielraum entstehen erst, wenn das Wesen auf seine Wiederholung im Vollziehen oder Verhalten des Subjektes hin gesehen wird. Sobald aber das Wesen im wiederholenden Vollzug oder Verhalten des Subjektes sein Da wirklich durchsetzt, herrscht wiederum die – nun- [38] mehr entschiedene – Eindeutigkeit des Wesens. Der Ausschluß des Spielraumes der Möglichkeiten im Müsse ist so die ist und das Mittel des Weges von der reinen Wesentlichkeit zur Verwirklichung des Wesens m seinem Subjekt.

Soll z. B. eine Idee wirklich, das heißt aber: gestaltet werden, so setzt die Gestaltung ein ihr zugestaltbares Medium voraus, einen Stoff, der für Gestaltung überhaupt und also für alle möglichen Gestalten empfänglich ist. Indem die eine Idee nun den Stoff und sich im Stoff gestaltet, werden die anderen möglichen Gestalten ausgeschlossen; der Stoff „muß“ die eine Gestalt annehmen; seine Vieldeutigkeit „an sich“ wird dahinein aufgezehrt, die Fülle der Einheit, die in der Idee verborgen liegt, zur Darstellung zu bringen. Es ist dabei nicht von Belang, ob im Prozeß der Gestaltung deren Me­dium außerhalb der Idee, „Stoff“ im engeren Sinne ist oder ob der Gestal­tende nichts anderes als sich selbst seiner Idee zu- und diese in sich selbst ausgestaltet. Gerade in der reinen Selbstbestimmung entspricht dem totalen Bestimmen, der reinen Freiheit, das totale Bestimmtwerden, das reine Müssen; nur so ist Freiheit bestimmt, ist Freiheit als solche. Nichts ist so bestimmt wie das sich selbst bestimmende Selbst.

Wo immer Müssen ausgesagt wird, wird das Wesen als seine Wieder­holung, sein Da vermögend gedacht, und so wird die Bestimmung eines Worin dieses Daseins mitgedacht – mag im höchsten Fall dieses Worin auch nichts neben und außer dem bestimmenden Wesen selber sein.

Dieses Worin ist je auf der Ebene bestimmt, der Spielraum je in der Weise ausgeschlossen, in welcher sich das Wesen seinem müssenden Subjekt zur Wiederholung auferlegt. Wird ein Vollzug oder Verhalt als zusätzliche Bestimmung des Daseins eines Subjektes in seinem Wesen gemußt (ich muß das tun), so ist der vorgängige Spielraum des Subjektes infolge seines Daseins in seinem Wesen. Wird das Dasein im Wesen als solches gemußt (ich muß, da ich bin, dasein), so ist der Spielraum des Subjektes der dem Dasein des Subjektes selbst vorgängige: sein zu können oder auch nicht. Wird hingegen eine wesentliche Gesetzlichkeit, eine Struktur des Seins als das Gemußte ihres Subjektes, des Seienden, gesetzt (was ist, muß seinen hinreichenden Grund haben), so sinkt der Spielraum zurück in den Irrealis. Denn es galt: Ich muß sein, müßte aber nicht sein. Hier jedoch gilt: Was ist, muß Grund haben und müßte ihn haben und könnte ihn nie nicht haben. Der Ausschluß des Spielraums geschieht nicht, sondern ist je geschehen aus dem inneren Anfang des Seins und der Wahrheit selbst.

Dennoch ist es nicht sinnlos, Strukturen des Seins als das Gemußte des Seienden, sofern es ist, auszusagen.

Der hier ausgeschlossene Spielraum gibt sich an sich selbst, wie er in Wahrheit also nicht ist, zu erfahren etwa in der Angst – Angst als die Abwesenheit des alles fügenden Grundes, des alles umfassenden Seins, der alles durchwaltenden Wahrheit für den Vollzug. Solche Abwesenheit besagt kein bloßes Nicht-Dasein, sondern darin eben Dasein des Nicht, des schlechthin unbestimmten und wuchernden Wesenlosen, das den Geängstigten aller Möglichkeit, gerade auch der des in sich Unmöglichen, preisgibt.

[39] Wo die Gesetzlichkeiten des Seins und der Wahrheit als vom Seienden gemußt erscheinen, ist dieser Abgrund verschlungen in den Glanz und Stand des Seienden in Sein und Wahrheit. Ihren Glanz und Stand dem Seienden leihend, sind aber Sein und Wahrheit selbst nicht mehr nur der Inbegriff ihrer Gesetze, diese nicht mehr nur das aus Sein und Wahrheit entwickelbare Ergebnis: Sein und Wahrheit gewinnen eine neue Dimension, die Dimension der „Macht und Herrlichkeit“. Sie ragen auf über dem Horizont des von je in ihnen aufgezehrten Nicht und Anders, das in ihnen und also überhaupt nicht als es selbst ist und doch als die Positivität seines Ausgeschlossenseins.

Der unterscheidende Anlaß des Müssens gegenüber dem schlichten Sein und der Dialektik des Müssens im Verhältnis zur Vertrautheit zeigt sich in der Verwandlung, die das Wesen erfährt, wenn es nicht mehr bloß als Gehalt, sondern als sein Gehalt gefaßt wird, als Vorwurf seines eigenen ausgeführten Da. In dieses vermittelt es sich durch die Unterwerfung (Subjektion) seines Worin im Müssen. Sie geschieht als die Ausschließung des Nicht und Anders von seinem Worin, im höchsten Fall: als die Positivität des Ausgeschlossenseins alles Nicht und Anders. Der Sinn von Unterschied und Bezogenheit des Wesentlichen zum Müssen tritt darin hervor: Der Umschlag ins Müssen vermittelt das Wesen erst in sein entschiedenes Da. Doch läßt sich dieser Umschlag nicht aus der Ordnung des Wesentlichen allein herleiten; also gründet die Logik des Geschehens in einem Ursprung, der dem Wesen und seiner Ausbildung in dem von ihm angeeigneten Worin vorläuft.

cc) Grundstellungen des Müssens Beim sein Wesen selbst vollziehenden, daher allein „eigentlich“ müssenden, so aber seinem Müssen je nochmals gegenüberstehenden Subjekt fallen zwei Grundstellungen des Müssens auf. Die zunächstliegende und scheinbar sogar ausschließliche ist die Stellung des Subjektes, das nachträglich zu seinem Wesen ist und sich mit seinem Selbstvollzug in dieser Nachträglichkeit aufhält. Da ich bin, in diese Verhältnisse gestellt bin, muß ich sein und muß dieses oder jenes tun.

Die Form der Freiheit, die dem Müssen in der Nachträglichkeit zum Wesen zugehört, ist Freiheit der Wahl. Ich kann nur wählen, wenn sich mir etwas zur Wahl stellt; es stellt sich mir aber nur zur Wahl, wenn es mir begegnet und so mein Gemußtes wird. Umgekehrt fällt die Weise, wie ich mein gemußtes Begegnendes vollbringe, je in meine Verantwortlichkeit, sie ist Sache meiner Wahl. Auch wo der äußere Verlauf einer Begegnung zwingend festliegt, bleibt mir zumindest der Spielraum des Gerne oder Ungern, des inneren Ja oder Nein, das erst eigentlich meine Tat konstituiert; und wo ich den Verlauf der Begegnung selbst wählen kann, muß ich doch wählen und je nur eine Möglichkeit wählen. Müssen hat meinen Vollzug zur unabdingbaren Folge, zur Folge aber über mein Wollen, das im Müssen zugleich herausgefordert wird und frei bleibt.

Dennoch weist das Gewicht des Ernstes, das wesenhaft, wenn auch [40] faktisch nicht immer gleich spürbar am Wählenmüssen hängt, darauf hin, daß in der Situation des Müssens auch die Freiheit des Müssenden innerhalb ihres Freiseins eine eigentümliche Bestimmung erfährt. Es ist von meinem Wesen her nicht gleichgültig, wie ich es als mein gemußtes vollziehe. Indem im Begegnen mein Müssen in die Mitte tritt zwischen mein Wesen und seinen gemußten Vollzug, tritt es auch in die Mitte zwischen mein Wollen und sein Sollen. Der gemußte Vollzug ist zugleich meine freie Tat, mein gemußtes Wesen ist zugleich das Gesollte meiner Freiheit, nicht nur unvermeidliche Last, sondern meine Last und als solche Anspruch an mich. Hier­ durch tritt die Wahl erst aus immanenter Gleich-gültigkeit in ihren eigentlichen Rang. Das Wahre, das, was ist, was es ist, erhebt sich zugleich als das Gute, als das, was sein soll.

Von hier aus eröffnet sich eine zweite Grundstellung des Müssens; sie läßt sich von der umrissenen ersten aus phänomenal ermitteln.

Bleibt dem Müssen der Nachträglichkeit zum Wesen die Spanne zwischen Gerne und Ungern offen, so erhält das Müssen seine Schärfe im Ungern­ Tun; denn das Gerne-Tun hebt spontan die Differenz der Nachträglichkeit des Subjektes zu seinem Wesen wieder auf, es verweilt nicht in der Kehre des Umschlags aus der Vertrautheit. Das Gerne verzehrt das Müssen, das Ungern hält dagegen die Spannung seiner Nachträglichkeit zum Wesen und seines darin aufgebrochenen Gegenüberseins zu sich als Selbstentzweiung unaufge­hoben in der gemußten Eindeutigkeit des Vollzuges fest. Indessen macht sich das Müssen in einem neuen Sinn dort wieder geltend, wo das Gerne in seine Vollendung kommt. Die Begeisterung ist der Inbegriff des Gerne, und gerade der Begeisterte „muß“ – der Liebende, der Künstler, der Prophet. Zwar stehen diese nicht minder zu ihrem Wesen in der Nachträglichkeit getreuer Wiederholung und demütigen Gehorsams, und doch ist ihr „Müssen“ qualitativ verschieden von dem Müssen der Differenz des Ungern, ja sein extremer Gegensatz, die Gegenstellung des Müssens.

Auch sie müssen ihr Wesen im nachfolgenden Vollzug wiederholen. Sie haben ihr Wesen empfangen, sind, was sie sind, kraft des sie gründenden Zuspruchs der Wahrheit. Das Besondere dieses Zuspruchs aber ist dies: er hebt sie nicht nur auf aus der bloßen Vorhandenheit in die vertraute Gegenwart der Wahrheit, sondern aus dieser nochmals hinein in die Helle des Grundes, aus dem her sie sich ihnen anwesend setzt und zuspricht, um dessentwillen sie sein sollen: du bist, was du bist, damit diese Liebe geschehe, dieses Werk entstehe, dieser Auftrag verkündet werde. „Sendung“ ist nichts Zusätzliches zum Wesen, sondern vorsätzlich zu ihm, sein es selbst von Anfang an leitender Vorsatz; und wo der Vollzug aus der bloßen Nachträglichkeit zu seinem Wesen in das Licht der Teilhabe an seinem gründenden Vorsatz gelangt, wird sein Müssen identisch mit seinem selbstverfüg­baren freien Können. Ein Liebender, Künstler oder Prophet ist nie nur, was er ist, sondern immer auch, damit er sei, was er ist.

Die Stellung des müssenden Subjektes ist hier nicht wie beim Wählenmüssen das nachträgliche lnnewerden des gesollten Wesens, sondern das Weilen beim Vorsatz des Sollens selbst, um dessentwillen das Wesen ausge- [41] führt und wiederholt werden muß. Von hier aus wird das Müssen und seine Nachträglichkeit zum Wesen vorumgriffen, vorweg dem Sollen unterworfen, und ist nichts anderes als der notwendige Durchgang zum Er­ reichen des Gesollten; die Freiheit findet sich nicht wie im Wählenmüssen ihrem Müssen und Sollen nachträglich gegenüber, sondern in beider Ursprung und geht von dort aus mit ihnen den Gang des Geschehens. Aus der Durchsichtigkeit des setzenden Vorsatzes selbst erhält das Müssen den höchsten Glanz der Freiheit.

An dieser Freiheit hat indessen der Mensch überhaupt und in allem Vollziehen Anteil: er muß die Erfüllung seines Wesens wollen, er kann nicht anders; und dieses Müssen ist nicht Begrenzung seiner Freiheit, sondern ihr ebenbürtig, sie selbst in ihrem Ursprung.

In diesem Ursprung ist sie nicht Freiheit der Wahl; denn sie ist hier vor der Auseinandersetzung des Wesens und des Gegenüber zum Wesen zu Hause im Vorsatz des Sollens, der beides als Momente im einen Gang des Geschehens setzt. Die höchste Freiheit ist eindeutig.