Christus nachgehen

Methodische Ansätze: von der Situation der Jugend aus zur Mitte der Botschaft hin

a) Menschliche Erfahrungen auf den Glauben hin transparent machen. – In vielen Zonen Europas nimmt die Zahl derer zu, die ihre menschlichen Erfahrungen als Kinder in der Familie, als Schüler in der Schule, als Kameraden und Freunde im Dorf oder Wohnviertel, als Heranwachsende im Kreis der Gefährten und Freunde, als Arbeitende in der Welt des Berufes nicht mehr unter dem Vorzeichen christlichen Glaubens machen. Kurz zusammengefaßt, Jugend steht in einer katechumenalen Situation besonderer Art. Entweder sie kennt zwar von klein auf Daten und Inhalte christlicher Überlieferung – aber diesen Daten und Inhalten entspricht nicht die Weise, wie ihre eigenen menschlichen Grunderfahrungen ihr selbst interpretiert und von ihr selbst daher verstanden werden. Oder aber Jugend wächst in einer anderen Deutung ihrer Grunderfahrungen heran, macht sie in einem anderen als dem christlichen Klima – und kennt dabei auch die Daten und Inhalte der christlichen Überlieferung nicht mehr. Ob so oder so, eine Grundaufgabe heißt: die menschlichen Grunderfahrungen auf Glaube, Christus, Kirche hin durchsichtig machen.

Man könnte diese Aufgabe verkürzt auf die zwei Sätze bringen: Das Schöne, das du erfährst, ist der [50] Traum von einem größeren Schönen, erfüllenderen Guten als jenem, was menschliches Glück und menschliche Leistung und gesellschaftliche Entwicklung dir vermitteln können. Das Dunkle, das du erfährst, verlangt nach einer Heilung und Lösung, die tiefer reichen als das, was du selber oder die Gesellschaft oder die mannigfachen Weisen zu vergessen, zu verdrängen, leisten können. Es geht also darum, in den menschlichen Erfahrungen einmal die verborgene Gabe aufzudecken, die sie in Gang bringt, zum anderen die verborgene Dynamik, die sie weiterführen will, und darin das Streben des jungen Menschen, sein Wollen und Suchen über die Angebote hinauszuführen, die ein bloßer Pragmatismus, die aber auch die Flucht in Ideologie oder Traum und Rausch oder Resignation bereithalten.

Die Ursehnsucht nach dem beate vivere, dem „glücklich leben“, bleibt auch heute der Ansatz. Ein anderer, der zugleich und heute besonders der Pflege bedarf: die Sehnsucht nach einem beate vivere aller, nach dem Wohl und Heil der Menschheit. Wo solche Sehnsucht zu sich selbst gebracht wird, muß sie zugleich kritisch gemacht werden gegen Resignation, Pragmatismus und Ideologie. Dies geschieht aber am besten auf positive Weise, dadurch, daß ihr im Evangelium und in der Gestalt Jesu eine anziehende Alternative angeboten wird. Wird diese Alternative verstanden, ist also eine „katechumenale“ Bereit- [51] schaft zu etwas wie Nachfolge gegeben, so genügt es freilich nicht, den Vorzug der in diesem Kontext gemachten Erfahrungen, die höhere Qualität dessen plausibel zu machen, was gelebtes Christentum, gelebte Nachfolge vermittelt. Auch die negativen Erfahrungen, die der Überforderung und des Scheiterns, sind hier wichtig. Sie dürfen nicht verdeckt werden – vielmehr ist hier gerade der Ansatz, um die tragende, geleitende, vergebende, erneuernde Kraft des lebendigen Christus und der lebendigen Gemeinschaft von Kirche aufzuschließen. Also genügt es nicht, aufzudecken, was am Christentum anziehend ist, sondern das, was zunächst an ihm befremdlich ist, muß im Vollzug des Glaubens als seine Tiefe, als sein verborgen tragender Grund deutlich werden.

b) Zeugnisse gelebten Glaubens erschließen. – Die Reflexion auf eigene Erfahrung, die Aufschließung der gemachten Erfahrung und die Anleitung zu neuer Erfahrung bedürfen einer wichtigen Ergänzung: Kommunikation mit der Erfahrung anderer. Es ist heute im Ansatz nicht weniger aktuell als in irgendeiner anderen Epoche der Kirchengeschichte, was uns das Leben der Heiligen lehrt. Sie sind sehr oft durch das Leben Heiliger Heilige geworden, durch das Zeugnis, daß Evangelium lebbar, in ihre eigene Welt und in ihre eigene Situation übersetzbar ist. Hier liegt doch auch die Anziehungskraft der Gestalt [52] Jesu selbst in unserer Epoche, hier das Interesse begründet, das markante Heiligengestalten wie ein Franz von Assisi, das aber auch große Glaubende von heute bei der jungen Generation erwecken. Daß Glaube geht und wie Glaube geht, ist nur am Beispiel anschaubar – und an diesem Beispiel ist auch anschaubar, daß gelebter Glaube mehr und nicht weniger zur Welt und zur Gegenwart befähigt als Resignation, Pragmatismus oder Ideologie.

Freilich ist auch hier eine Stufe der Übersetzung (ähnlich wie bei a) notwendig: Die „große“ Erfahrung kann nicht nur faszinieren, sondern auch abschrecken – sie braucht die Vermittlung durch die „kleine“ Erfahrung. Jener, der das Zeugnis der Großen vermittelt, muß auch zum persönlichen Zeugnis bereit sein, muß auch das Zeugnis der anderen aufdecken können, die erst die ersten Schritte im Glauben tun. Hier haben auch Scheitern und Versagen und der Mut, trotzdem weiterzumachen und neu anzufangen, ihre zeugnishafte Bedeutung.

c) „Auf dein Wort hin!“ – Der Sprung ins Wasser, um Schwimmen zu lernen, das Mitsingen, um musikalisch zu werden, der Aufenthalt in einem Land fremder Sprache, um sie zu erlernen – dies ist auch und noch mehr die Methode der Einübung in das Evangelium. Leb einmal so! Versuch es einmal mit diesem Wort! Spiel diese neue Rolle mit! – diese Me- [53] thodik des Sprungs ist auch die Methodik Jesu: Komm und folge mir! Die neue Sehweise und andere Lebensart des Evangeliums wollen unmittelbar, allein auf ihre innere Plausibilität gestützt, angeboten werden – gerade so werden sie zum Zeugnis. Der Unterschied zur ideologischen Überrumpelung oder gewalttätigen Verführung liegt freilich darin, daß das Angebot des Evangeliums absolut freilassen muß, nicht durch die Macht und die Mittel einer äußerlichen Werbung, sondern allein durch die immanente Plausibilität wirken darf. Und des weiteren muß derjenige, der sich auf den Anruf einläßt, aus der Perspektive der Nachfolge die Erfahrung integrieren können, die er vorher gemacht hat, nicht sie verdrängen oder verkürzen. Wer glaubt, sieht sich selbst und das, was unverständlich ist, nicht weniger, nicht oberflächlicher, nicht bloß schematisch, sondern tiefer und reicher.

d) Das Zeugnis der Kirche erschließen. – Es gibt nicht nur die eigene Erfahrung, das Zeugnis der Persönlichkeiten und Gemeinschaften, die Glauben beglaubigen, nicht nur den Ruf der Nachfolge, der sich unmittelbar im eigenen Nachfolgen einlöst. Es gibt auch das „objektive“ Zeugnis der Kirche. Es gerade stößt auf Widerstand, es gerade scheint fremd und abweisend. Bringt uns indessen nicht wiederum das Zeugnis der Heiligen, die in ihrer Unmittelbarkeit [54] zum Evangelium zugleich Kirche, Amt, Institution, Dogma, Sakrament, Norm zum Leuchten brachten, auf eine nur zu leicht vergessene Fährte? Wenn Menschen, die die Menschen und das Leben lieben, diese Kirche lieben, wird sie selbst zum Weg, sich verständlich zu machen. Daß Gott mehr schenkt als bloß den Imperativ und das subjektive Zeugnis und den persönlichen Impuls, daß er in Institution, Amt, Dogma, Sakrament einen Überschuß seiner Nähe darreicht, den der Mensch nicht durch sein Versagen zerstören kann, dies kann auch und besonders für junge Menschen anziehend und wichtig werden. Dann nämlich, wenn Kirche nicht als bloßer Inhaber von Ansprüchen oder als bloßer Automat verstanden wird, aus dem Kraftreserven Gottes abzurufen sind, sondern als das Ja der Treue Gottes zum Menschen, auch zum schwachen und versagenden Menschen. Sehnsucht nach Verbindlichkeit, Bergung, Väterlichkeit und Mütterlichkeit erwacht wiederum. Diese Sehnsucht kann zwiespältig sein. Wo aber Institution in Kommunikation, Amt in Dienst, Sakrament in Leben, Dogma in vollzogenen Glauben, Verbindlichkeit in liebende Treue eingelöst sind, werden sie, wird ihr objektiver Überschuß beglaubigt. Dies ist vielleicht der schwierigste methodische Ansatz, aber einer, der gerade deshalb doppelt wichtig ist.