Glauben – wie geht das?
Methodische Rechenschaft
Unser Versuch, die Botschaft Jesu Christi und die Botschaft von Jesus Christus als einen Weg zu verstehen, hat uns von der Ansage der Gottesherrschaft in der Predigt Jesu bis hin zu den Letzten Dingen geführt. Wir haben also einen Weg in der Zeit zurückgelegt. Sicher, wir haben da oder dort eingehalten und umgeblickt, so daß uns Früheres später und Späteres früher auffiel. Der Grundrhythmus blieb indessen jener zeithafte des Weges Jesu und des Weges der Kirche durch die Welt zum Ende hin.
Dieser Zeitbezug ist nicht zufällig, nicht beliebig. Denn wir sind ausgegangen vom Erfülltsein der Zeit, das Jesu Botschaft ausruft. Das „Schon“ und „Noch-nicht“ der Gottesherrschaft bestimmte unseren Gang und unsere Sicht. Damit ist das entscheidende Wort gefallen, jenes, das den führenden Gesichtspunkt des Ganzen bestimmt: Gottesherrschaft. Wenn die Herrschaft Gottes anbricht, dann verändert sie die Gangart unseres Lebens und der Geschichte; denn Herrschaft Gottes bedeutet die neue Gangart Gottes, in welcher er auf uns zukommt, in unser Leben einbricht, auf neue und unerhörte Weise unser Gott wird.
Herrschaft Gottes, das ist keineswegs das einzige Interpretationsmodell des Neuen und Einmaligen, was Jesus bringt. In der Schrift selbst begegnen uns andere Deutemöglichkeiten. Und Herrschaft Gottes ist durch die auslegenden Striche, in denen wir ihren Inhalt zu erschließen suchten, keineswegs umfassend und erschöpfend entfaltet. Wohl aber scheint es möglich, die grundlegenden Aussagen der Schrift unmittelbar über die Herrschaft Gottes wie auch den Zusammenhang dieses Verstehensmodells mit wichtigen anderen, die das Neue Testament anbietet, einsichtig zu machen. Was bestimmt und beherrscht den Menschen? Woraus lebt er? Was blockiert seine Freiheit oder setzt sie frei? Was nimmt ihm seine Zeit aus der Hand oder gibt sie ihm in die Hand? Was erschließt oder entzieht ihm und der Menschheit die Zukunft? Das sind Fragen, an denen wir nicht vorbeikommen, wenn wir den Weg suchen, wie Glaube heute geht. Auf sie ist Antwort gefordert, auf sie wird Ant- [212] wort gegeben, frappierende, befremdende und doch er-lösende Antwort in der Botschaft von der Herrschaft Gottes.
Von der Seite der Botschaft selbst her gesagt: Wir legten Herrschaft Gottes so aus, daß wir die andere Gangart, die andere Bewegung des Lebens Gottes und unseres Lebens mit Gott von der Initiative und Vorgabe Gottes her in den Blick bekamen. Dieses Vorgehen eröffnete sodann etwas Überraschendes: Andere Seh- und Denkweisen innerhalb des Neuen Testamentes zielen auf ein selbes Verstehen Gottes und ein selbes Gehen unseres eigenen Weges ab, es ergibt sich eine merkwürdige Übereinstimmung unterschiedlicher „Theologien“ im Neuen Testament. In diesem Sinn versuchten wir die Aussagen verschiedener Schichten neutestamentlicher Theologie parallel zueinander zu lesen.
Sicherlich ist die hierbei angewandte Weise, mit den Texten der Heiligen Schrift umzugehen, von mancherlei Seiten her befragbar. Ziel und Art dieses Buches verboten eine breit angelegte Rechtfertigung exegetischer Art im einzelnen und auch eine Rückkoppelung an die exegetische Fachliteratur. Das Neue Testament wurde weder einflächig als Ansammlung gleichartiger Belegstellen für dogmatische Aussagen noch als kritisch-historisch aufzubereitendes Nebeneinander religionsgeschichtlicher Quellen für die Erforschung der Worte und Taten Jesu und ihrer Rezeption durch die junge Kirche betrachtet. Vielmehr galt das Neue Testament uns als Buch der Kirche, das einen geistgewirkten Prozeß des Zeugnisses von Jesus, seinem Werk und seiner Botschaft verbindlich in die Kirche hinein weitergibt. Die Texte wurden von ihrem Wohin, sie wurden als Schritte auf Glauben und Leben aus dem Glauben hin gelesen. Die Analyse des Woraus, des Bezugsrahmens und Kontextes, der Schichtung und vielfältigen Geschichte, die „hinter“ ihnen steht, erforderte weitere und andere methodische Bemühungen, die hier keineswegs als unwichtig abgetan, die hier aber auch nicht geleistet werden sollten. Wort Gottes, sich zusprechend im menschlichen Wort aus Glauben auf Glauben hin, dies könnte eine Formel für das von uns zugrunde gelegte Verständnis der Schrift sein.
So fügten sich uns „vordogmatische“ Unmittelbarkeit der [213] Schrift, kirchliche Tradition, dogmatische Reflexion und geistliche Weisung fürs Leben aus dem Glauben zu einer Einheit des Weges, wobei Weg gerade das nicht in glatter Identifizierung an dieselbe Stelle schiebt, was er in seinem Gang miteinander verbindet.
Was soll diese methodische Bemerkung? Was hat sie mit der uns bewegenden Frage zu tun, wie Glauben geht? Vielleicht darf es einfältig so ausgedrückt werden: Schau, wie dein eigenes Sehen und Gehen, wie du selbst und deine Sicht Gottes und der Welt sich verändern, wenn du dich glaubend auf das einläßt, was als Gottes Botschaft, als sein Weg zu dir im Evangelium angeboten wird! Dann kannst du entdecken, wie Gott, Welt und Mensch sie selbst bleiben und dir doch neu werden im selben Weggeschehen. Dann wirst du erkennen, wie verschiedene Schichten und Perspektiven der Schrift sich ineinander spiegeln und bei aller Verschiedenheit zusammengehören. Dann wirst du die Verbindung zwischen Evangelium, Kirche, und persönlichem Lebensvollzug entdecken.